Mord und
Totschlag
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Bewertung:
Was für ein bitterer, schonungsloser Film! Ein Film über die moralische Sklerose innerhalb einer Gesellschaft, in der Zynismus, Missgunst und Willkür andauernde Handlungsmaximen sind. Die Entwertung aller zivilisierten Werte als Folge dieses Zustandes könnte auch in zwei Diktaturen spielen, doch bei der Ukraine und Russland handelt es sich um Staaten, in denen zumindest Wahlen abgehalten wurden – auch wenn in Russland rechtstaatliche Prinzipien teilweise unterlaufen wurden. Nun befinden sich beide ehemaligen Brüdervölker in einem nicht erklärten, inoffiziellen Kriegszustand – auch das macht die Lösung der Kämpfe so schwierig, für die es schon seit Jahren einen insbesondere auf deutsche Initiative ausgearbeiteten Plan gibt. Doch die russische Regierung zeigt keinerlei Interesse an dessen Umsetzung.
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Welche Folgen der Krieg auf die benachbarten Staaten hat, der täglich große Kapazitäten an Menschen und Material verschleißt, zeigt Regisseur Sergei Loznitsa in seinem neuen Film mit dem schlichten Titel Donbass – dem Namen der Kriegsregion. Loznitsa, der 1964 in der weißrussischen Sowjetrepublik geboren wurde, in der Ukraine aufwuchs und heute in Deutschland lebt (wo seine Filme meist vom Osteuropa-affinen Produzenten Heino Deckert koproduziert werden), erzählt keine durchgehende Geschichte wie in seinem Vorgängerfilm Die Sanfte (2017), sondern anhand von lose miteinander verknüpften Episoden, die ein Kaleidoskop der gesellschaftlichen Verrohung und moralischen Verheerung in den ostukrainischen Kriegsregionen Donbass und Donezk ergeben.
Manchmal denkt man als Zuschauer angesichts der permanenten Gewalt, die zwischen Bürgern und Bürokraten bzw. Mächtigen in Worten und/oder Taten herrschen, schlimmer kann es ja nicht kommen. Und dann zeigt Loznitsa in der nächsten Episode noch Schlimmeres, noch Zynischeres. So löst sein Film ähnlich wie bei einem Horrorfilm Erschrecken und Erschauern aus, wobei es als Zuschauer auf die Dauer schwerfällt, aus dem dreckigen Dutzend der Zynismen noch so viel "Unterhaltungswert" zu ziehen, dass sich nicht ein Gefühl deprimierender Hilflosigkeit ausbreitet. Loznitsa ist kein Künstler, der schlichte Aussagen trifft oder gar Propaganda betreibt. Auch in Donbass herrschen inzwischen unübersichtliche politisch-ideologische Verhältnisse, die in seinem Kriegsdrama Im Nebel von 2012 buchstäblich im Nebulösen endete.
Gezeigt werden Notärzte und Regionalfürsten, die sich permanent an Hilfsgütern und Bestechungsgeldern bereichern, hilflose Bürger, die bei allgegenwärtigen Straßenkontrollen willkürlich drangsaliert werden und selbst auf kitschig arrangierten Hochzeiten nationalistische Appelle über sich ergehen lassen müssen, aber auch konkrete Kriegshandlungen an den östlichen Fronten, in denen Freischärler und wild zusammengewürfelte Armeesoldaten für einen deutschen Kriegsreporter posieren, der bei genaueren Nachfragen als Faschistensohn diffamiert und verarscht wird. Dass auch auf ukrainischer Seite Korruption und Erpressung wuchern, hindert den differenziert vorgehenden Loznitsa nicht daran, klar gegen die von russischer Seite unterstützten Separatisten Stellung zu beziehen.
In einer der bedrückendsten und schonungslosesten Szenen wird ein kämpfender Freiwilliger, der in eine ukrainische Flagge gehüllt ist, irgendwo östlich des Landes von den Separatisten an den Pranger gestellt, sprich: an eine Laterne gefesselt. Der ältere Mann wird von Jugendlichen geprügelt und bespuckt. Als man vermutet, dass die älteren Menschen aus Barmherzigkeit eingreifen wollen, eskaliert die verbale und tätliche Gewalt gegen den Mann nur noch mehr, der von seinen Bewachern vor dem rasenden Mob kaum noch bewahrt werden kann. Dass diese wie alle anderen Szenen so authentisch wirkt, ist Loznitsas überwiegende Arbeit als Dokumentarfilmer (Maidan,2014, oder Austerlitz, 2016) zu verdanken.
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Es wird in diesem Herbst noch weitere – und für meinen Geschmack bessere – Filme über die Folgen des grausigen Abnutzungskrieges zwischen der staatlichen ukrainischen Armee und den russisch-beeinflussten Separatisten geben. Loznitsa schon die Zuschauer mit seinem Blick in die Vorhölle nicht; Hoffnung ist bei ihm nicht in Sicht. Jedenfalls wird es wohl mehr als eine Generation dauern, bis wieder ein halbwegs zivilisierter Umgang zwischen den Bürgern beider Nationen denkbar ist. Das wird uns als Europäer also auch eine schrecklich lange, lange Zeit noch beschäftigen. Hoffen wir, dass unsere Politiker einen Weg finden, Hilfe zu leisten.
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Donbass von Sergei Loznitsa | (C) Edition Salzgeber
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Max-Peter Heyne - 1. September 2018 ID 10882
Weitere Infos siehe auch: https://www.donbass-film.de/
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