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Französisches Kino

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Bewertung:    



Selten war Regisseur Olivier Assayas, der seit nunmehr 20 Jahren thematisch höchst unterschiedliche, stets sehenswerte Spielfilme inszeniert, so französisch wie in seinem neuesten Werk Zwischen den Zeilen (im Original: Double Vies = Doppelleben oder Doppelte Leben). Das fängt schon bei den Protagonisten an, die geradezu stereotype Vertreter der linksintellektuellen Pariser Bohème sind: Sie schwadronieren unablässig über die großen Themen des Lebens, auf dass die Synchronsprecher und Untertitler kaum hinterherkommen. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit wird geflirtet und fremdgegangen, und etwaige Anflüge moralischer Skrupel werden mit Rotwein oder Likören heruntergespült. Assayas, der mit Carlos – Der Schakal (2013) oder Personal Shopper (2016) auch mit Blick auf ein großes, internationales Publikum Geschick bewiesen hat, nimmt sich diesmal also ein Milieu vor, aus dem er selbst stammt und entsprechend gut kennt. Eine der Stärken des Films ist daher, dass Assayas diesen Personen- und Dunstkreis mit seinen unaufgelösten Widersprüchen – wenn auch mit Humor und Verständnis – kritisiert und vorführt. Dazu gehört zum Beispiel die permanente Abwertung der Sphäre der Politik im Allgemeinen aus der bequemen Beobachterposition der Bohémiens, ohne zu konstruktiven Lösungen bei den gesellschaftlichen Fragen beizutragen.

Allerdings hätte diese Kritik schärfer ausfallen müssen, denn so sanftmütig wie Assayas sie hier illustriert, bleibt sie oberflächlich, was das Grundthema zusätzlich etwas verstaubt aussehen lässt: Nach eigener Aussage wollte Assayas zeigen, was die Digitalisierung für die alltägliche Arbeit und Kommunikation jedes Einzelnen von uns bedeutet. Und das ist dann schon ein gewisses Problem, denn sooo neu sind die Phänomene YouTube, Face- und E-Book ja nicht – zumindest, wenn man nicht gerade CDU-Funktionär oder Klosterbruder ist. Assayas zeigt einen Verleger, Alain (Guillaume Canet, bekannt u.a. aus Meine Zeit mit Cézanne), der eine junge Mitarbeiterin, Laure (Christa Théret), engagiert, die sich um die Social Media-Kanäle und die sukzessive Umstellung auf digitale Publikationen kümmern soll. Bald schon kümmert er sich allerdings auch privat um die schöne, kluge Laure, wobei aber weder diese Beziehung noch die digitale Transformation seines Verlages so richtig Fahrt aufnehmen und Perspektiven entwickeln.

Laure meint im Gegensatz zu Alain, dass die Entwicklung in Richtung E-Book schneller und umfassender gehen wird und bewertet dies generationengemäß positiver. Alain glaubt an die Zukunft des gedruckten Buches, obschon er sich mit den digitalen Trends täglich beschäftigt. Seine Skepsis lässt ihn vorschnelle Dummheiten vermeiden – auch was seine Ehe betrifft. Getoppt wird diese Skepsis durch die völlige digitale Abstinenz des Schriftstellers Léonard (Vincent Macaigne), der bei Alain unter Vertrag ist, aber schon seit einer Weile keine Romane mehr verfasst, die für große Neugier unter den Kritikern und Lesern sorgen. Er bewegt sich standesgemäß nicht in einer Parallelwelt, sondern einem Elfenbeinturm.

Verwoben ist die schwierige Beziehung zwischen der Künstlernatur Léonard und dem Geschäftsmann Alain mit der – scheinbar – unkomplizierten und herzlichen Beziehung Alains zu seiner Frau Selena (Juliette Binoche), die sich als Schauspielerin in hippen Hochglanz-Krimiserien verdingt. Was Alain nicht ahnt: Selena unterhält schon seit Längerem eine Affäre mit seinem Schützling Léonard. Und auch hier stutze ich: Was eine so bezaubernde Frau wie Selena (die Binoche!) mit dem zu Verschrobenheit, Verwahrlosung und Übergewicht (!) neigenden Léonard hinzieht, bleibt das Geheimnis des Drehbuchautors (Assayas). Intellektualität kann es jedenfalls nicht sein, die hat Selena ja auch bei ihrem Alain. Aber es mag ja grandiose Frauen geben, die verpeilte Schriftsteller mögen, also lasse ich diesen Aspekt mal durchgehen.

Dritte im Bunde ist schließlich Léonards Freundin Valérie (Nora Hamzawi), die sich dessen dreiste und machohafte Art auch ziemlich lange – zu lange, wie ich wiederum finde – bieten lässt. Valérie sorgt als eine, die sich für einen Lokalpolitiker engagiert, für das Einflechten des politischen Hintergrundrauschens im Angesicht digitaler Umbrüche. Die Zutaten, die Olivier Assayas durchaus flüssig und nahtlos sich ineinanderfügend ausbreitet, stimmen. Indes: er begnügt sich allzu sehr mit dem Anreißen der bedeutsamen Themen, sei es die Fragilität von Beziehungen oder die Digitalisierung. Beides wird von den Protagonisten in Essensszenen zwischen Souper und Dessert flüchtig angesprochen, Konsequenzen für das Drehbuch aber haben sie nicht. Dabei wäre der Druck, den die Digitalisierung auf die Verlagsbranche ausübt, ein Thema gewesen, dass außer geistreichen Dialogen auch noch bei Aufregung bei den Hauptpersonen und entsprechend für Spannung im Handlungsverlauf hätte sorgen können.

Humor und Kurzweil hat der Film. Erkenntnisse über die französische Bohème, die Claude Lelouch oder Claude Sautet nicht schon deutlich besser inszeniert haben, hat er leider nicht zu bieten.



Zwischen den Zeilen | (C) Alamode-Filmverleih

Max-Peter Heyne - 5. Juni 2019
ID 11472
Weitere Infos siehe auch: https://www.alamodefilm.de/kino/detail/zwischen-den-zeilen.html


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