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DVD-Besprechung

Blick zurück im Zorn (I)





Die aktuell im Kino und auf DVD ausgewerteten Neuen Deutschen Filme Schonzeit für Füchse und Baal vermitteln viel über das Lebensgefühl Ende der sechziger Jahre in Deutschland



Der Zufall will es, dass mehrere interessante Filme, die in der Zeit kultureller wie gesellschaftspolitischer Umbrüche, nämlich zwischen 1966-1973 gedreht wurden, nun innerhalb weniger Wochen im Kino und auf DVD erscheinen: Traumstadt (1973) und Trotta (1971) von Johannes Schaaf, Schonzeit für Füchse (1966) von Peter Schamoni und Baal (1969) von Volker Schlöndorff, der vierzig Jahre lang wegen eines absurden Verbotes überhaupt nicht zu sehen war. Die Regisseure der Filme galten als prototypische Vertreter des so genannten Neuen Deutschen Films, wenngleich nur Schamoni zu den Unterzeichnern jenes legendären Manifestes zählte, das während der 8. Oberhausener Kurzfilmtage 1962 „Opas Kino“, also den oberflächlich-kommerziellen und weitgehend unpolitischen Nachkriegsfilm, für künstlerisch tot erklärte. Die erwähnten Spielfilme sind durchdrungen vom damaligen Zeitgeist des Aufbruchs zu neuen erzählerischen und ästhetischen Ufern, aber nicht von Optimismus und Enthusiasmus, sondern von Melancholie und sogar Schwermut, als ahnten die Filmemacher bereits, dass das Erreichen der ersehnten Ufer nicht das Ende aller Probleme sein würde.

Ausgerechnet der zeitlich am frühesten entstandene Film, Schonzeit für Füchse, der anlässlich des 80. Geburtstages von Peter Schamoni seit 27. März als digital restaurierte Fassung vorliegt, ist der melancholischste und abgeklärteste. Denn Schamoni zeigt, dass viele junge Leute, die sich damals für eine gesellschaftliche Liberalisierung engagierten, in einem persönlichen Zwiespalt befanden und teilweise gegen ihre eigenen Interesse handelten: Als Vertreter eines Großbürgertums, das alle Kriege überstanden hatte, lehnten sie die verzagten Denk- und Lebenskonventionen ihrer Eltern zwar entschieden ab, aber auf die weichen Kissen einer finanziellen Sorglosigkeit wollten sie im Kampf um mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft nicht gänzlich verzichten. Peter Schamoni (1934-2011), der älteste von drei Produzenten- und Regie-Brüdern aus wohlhabender Familie, skizziert ein Milieu, dem er entstammt: Seine Hauptfigur, im Abspann schlicht „Er“ genannt (Helmuth Förnbacher) und sein Freund Viktor (Christian Doermer – ein weiterer Oberhausener) sind zwei studierende Mitzwanziger aus bestem Hause, genauer gesagt aus vorstädtischen Villen des industrialisierten Westens der damaligen Bundesrepublik, in denen nach großen Jagdausflügen gediegene Gesellschaftsabende abgehalten werden. Wenn dann noch einer der Gäste lyrische Naturschwärmereien zum Besten gibt (ein Gastauftritt Willy Birgels, der zwanzig Jahre zuvor in einem Nazi-Propagandafilm „für Deutschland ritt“), suppt die stickige Atmosphäre geradezu von der Leinwand. Doch zugleich ist auch die Verführungskraft nicht zu leugnen, die von dieser bizarren, dekadenten Szenerie ausgeht und die es den Filmsöhnen so schwer macht, ihrem Unbehagen unmissverständlich Luft zu verschaffen.

Anhand mehrerer aufschlussreicher Skizzen beschreibt Schamoni eine restaurierte Nachkriegsgesellschaft, die uns heute nicht nur altmodisch, sondern abenteuerlich fremd erscheint: Wenn „Er“ mit seiner neuen Flamme Lore (Monika Peitsch) ein Restaurant besuchen will, müssen sie Wartezeiten vor der Tür in Kauf nehmen – nicht wegen eines missliebigen Türstehers, sondern weil die Ausgehkultur des Jahres 1966 noch unterentwickelt war. Das Paar weicht in eine Jazzkneipe aus, in der es wenigstens locker zugeht, aber um (für Gespräche!) wirklich ungestört zu sein, ist „Er“ bereit, einen Haufen Geld für ein teures Hotelzimmer zu investieren. Aber ach: man ist ja nicht verheiratet, also auch dort Pustekuchen.

Scheinbar zufällig ins Bild geratene Details wie die aufstrebenden Riesenpfeiler einer neuen Autobahntrasse lassen die Bauwut der damaligen Zeit augenfällig werden. Eher zeitlos wirkt hingegen die Szene, in der „Er“ und seine Dauerfreundin Clara deren Mutter zum Nachmittagskaffee in ihrer kleinbürgerlichen Mietwohnung besuchen: Edda Seipel nimmt hier einige ihre anderen Mutterrollen wie etwa in der TV-Literaturverfilmung Ein Kapitel für sich (1979) vorweg und gestaltet eine Hausfrauenfigur, der vor lauter Fürsorge kaum individuelle Freiheiten zu kennen scheint. Doch letztlich sind alle Frauen im Film in ihrer Emotionalität sympathischer als der unentschlossene und entscheidungsschwache „Er“, der hofft, als zukünftiger Journalist ohne Risiko die Welt verändern zu können (und damit ein krasses Gegenbild radikaler Zeitgenossen abgibt, die dies als Terroristen versuchten).


Bewertung:    




Schonzeit für Füchse von Peter Schamoni - Foto (C) ASCOT ELITE Home Entertainment

Baal von Volker Schlöndorff - Foto (C) Weltkino Filmverleih



Der Dichter Baal hat als Titelfigur in Volker Schlöndorffs Spielfilm von 1969 deutlich weniger Skrupel, sich durchzusetzen und die Umwelt gefügig zu machen. Im Gegenteil: Der Dichter und Bohemien – unverkennbar ein Alter Ego seines Erfinders, Bertolt Brecht und kongenial verkörpert vom damals 24jährigen Rainer Werner Fassbinder – bezieht seine Lebensenergie daraus, Menschen vor den Kopf zu stoßen und gefällt sich als Bürgerschreck. Auch in diesem Film spielt eine signifikante Szene inmitten einer feinen Gesellschaft, der Baal am Büffet verächtlich vorwirft: „Ich will nicht Ihr Geschwätz mitfressen, wenn ich mir den Bauch vollschlagen will.“ Erstaunlicherweise trifft die direkte, selbstbewusste, aber auch unverschämte Art Baals bei manchen Frauen auf starken Wiederhall, die ihre Neugier und ihr Interesse am Dichter und Denker aber jedes Mal bitter bereuen müssen (ungewollte Schwangerschaften und Vergewaltigungen inklusive). Insofern führt die Werbung zum Film in die Irre: „Nicht die Verherrlichung nackter Ichsucht und die schrankenloser Lebensgier eines asozialen Dichters ist das Thema des Stückes, sondern die Reaktion eines ungebrochenen Ich auf die Zumutungen und Entmutigungen einer Welt, die selber asozial ist.“

Für Schlöndorffs Variante des Stücks gilt eher das Umgekehrte, was nicht zuletzt an der Besetzung mit dem damals aufstrebenden Filmregisseur Fassbinder liegt, dem Baal wie auf den Leib geschrieben scheint. Rotzfrech schnöselt sich Fassbinder als „Kindskopf mit dem fetten Herzen“ durch die streng gegliederte Szenerie. Das quasi zur Kenntlichkeit verzerrte Selbstbild Brechts konnte dessen Witwe Helene Weigel verständlicherweise nicht gefallen, die nach der Erstausstrahlung des Films durch den Hessischen Rundfunk 1970 (zur Primetime!) von Ostberlin aus als Rechteinhaberin an Baal weitere Filmaufführungen untersagte. (Dazu Schlöndorff zutreffend in seinen Memoiren: „Der Film passte ästhetisch und politisch nicht in ihr offizielles Brecht-Bild.“) Bei diesem Bannfluch blieb es unglaubliche 40 Jahre lang, bis erst Juliane Lorenz von der Fassbinder-Foundation bei einem der Brecht-Erben endlich auf Verständnis stieß. Die Wiederauferstehung des Films geriet bei der diesjährigen BERLINALE zu einem nostalgischen Treffen von Veteranen vor allem aus dem Umfeld Fassbinders, denn Schlöndorff hatte dem Kollegen seinerzeit die Erlaubnis erteilt, große Teile des Teams zusammenzustellen. Auch Klaus Doldinger, bekannt als Komponist des Tatort-Vorspanns, war zu Gast, der Baal mit einer seiner ersten, noch recht bluesigen Filmmusiken bereichert hatte.

Baal wurde mit wenig Aufwand und vermittels damals noch relativ neuer Handkameratechnik im Münchener Umland gedreht, was reizvolle Kontraste zwischen dem gestelzten lyrischem Sprachduktus des Entstehungsjahres des Stücks, 1918, und der modernen Umgebung schafft. An diesem und anderen Verfremdungseffekten, auf die sich ein Zuschauer von heute einlassen muss, hätte Brecht wohlmöglich auch seine Freude gehabt.


Bewertung:    

Max-Peter Heyne - 31. März 2014
ID 7717
Besprechungen der DVDs Traumstadt und Trotta folgen im April. / MPH


Post an Max-Peter Heyne



 

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= schon gut


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