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Dokumentarfilm

Der Kapitalismus

als „Systemfehler“



Bewertung:    



Wenn man dem Untertitel von System Error – Wie endet der Kapitalismus? folgt, dann ist es für den Regisseur und Drehbuchautor Florian Opitz keine Frage, OB der Kapitalismus endet. Zunächst erklärt er die Entstehungsgeschichte der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, und man braucht kein Wirtschafts- oder sonstiger Wissenschaftler zu sein, um zu erkennen, dass UNbegrenztes Wachstum – die fatale Maxime des Kapitalismus – auf einem BEgrenzten Planeten wie der Erde ein Widerspruch in sich ist.

In den vier Jahren der Vorbereitungszeit für seine Dokumentation hat Florian Opitz die Marschrichtung geändert. Er wollte erst über kleinteilige Lösungen wie solidarische Landwirtschaften, Regionalwährungen etc. berichten, fand aber, dass in dieser Zeit schon eine ganze Reihe von Filmen über diese Themen produziert wurden. [Wir haben v.a. in der Reihe Unsere Neue Geschichte immer wieder darüber berichtet.] Opitz entschied sich für einen anderen Ansatz und wollte Folgendes herausfinden: „Warum streben wir eigentlich wie die Verrückten immer noch mehr Wachstum an, obwohl wir doch schon seit Jahrzehnten wissen, dass es uns am Ende umbringt? Wir haben den Fokus für unseren Film deswegen um 180 Grad gedreht.“ Deshalb suchte er einige kapitalistische Akteure auf, aber nicht um sie vorzuführen, sondern um zu verstehen, warum sie das Wirtschaftswachstum für ein „Naturgesetz“ halten und trotz anders lautender Tatsachen an seine absolute Notwendigkeit glauben.

Opitz lässt uns in die Welt südamerikanischer Agrarproduzenten eintauchen. In Brasilien sucht er Argino Bedin auf, den Vertreter einer der größten Sojaproduzenten, der weiter expandieren will und sich über die Einschränkungen in Bezug auf die Abholzung des Regenwaldes beschwert, weil 25 Prozent des Gebietes als Naturreserve stehen bleiben müssen. Auch der Hühner- und Schweineproduzent Carlos Capeletti ist felsenfest von der Massenproduktion überzeugt, ebenso wie der Rinderzuchtexperte Matheus Vieira Expansion und Wachstum für unabdingbar hält. Vieira sagt, dass sie Leute bezahlen, damit die bestehenden Umweltgesetze abgeschafft werden. Sie halten ihre Arbeit für einen Beitrag zur Welternährung und blenden die mögliche Vernichtung unseres Planeten dabei völlig aus. - Der Wirtschaftswissenschaftler Tim Jackson ist einer der renommiertesten Wachstumskritiker und führt uns praktisch durch den Film. Jackson ist Experte in nachhaltiger Entwicklung und Autor des Standardwerks Wohlstand ohne Wachstum und kommentiert kompetent die Sachlage.



System Error - Der Kapitalmarkt als alles beherrschende Kraft | © Copyright Port au Prince Pictures 2018


Es stellt sich heraus, dass die Anhänger der Wachstumsideologie eigentlich keine konkreten Fakten anführen können, während die Wachstumskritiker eindeutig die besseren Argumente haben. Der Fokus von Opitz bleibt aber auf den Kapitalisten, die durchweg sympathisch wirken. Es stimmt, dass sie ihren Anteil am Wohlstand geleistet haben und leisten. Aber um welchen Preis? Der Wohlstand ist für Wenige, der Raubbau am Planeten betrifft alle und wird Auswirkungen auf künftige Generationen haben.

Der Kapitalismus erlebte eine Art Quantensprung während des Zweiten Weltkrieges, als die Massenproduktion ungeahnte Rekorde erzielte. Danach begannen v.a. die westlichen Staaten ihre Wirtschaftspolitik am Bruttoinlandsprodukt BIP anstatt nach dem Einkommen auszurichten. Wenn der BIP wächst, wachse angeblich auch der Wohlstand. Der BIP war/ist ein trügerisches Symbol für den Fortschritt, denn die hohen Wachstumsraten nach dem Krieg waren natürlich nur aufgrund der vorherigen Zerstörungen möglich. 30 Jahre später war das Wirtschaftswunder vorbei, und es folgte in den 1970er Jahren die Ölkrise. 1972 erstellte der Club of Rome die Studie Die Grenzen des Wachstums mit dem Ergebnis, dass eine Weiterführung dieser Art des Wirtschaftens zum Kollaps der Erde führen würde. (Auch spätere Studien bestätigen diese Prognosen.) Trotzdem wurde/wird so weitergemacht.

In den 1980er Jahren wurde sogar die Deregulierung des Marktes eingeführt, der nun keiner Kontrolle durch Regierungsorgane mehr unterworfen war. Monetarismus hieß das neue „Zauberwort“, und es durfte nun mit allem gezockt werden inklusive der Altersversorgung der Bürger. Mit diesem schleichenden Prozess hat sich die Politik selbst entmachtet, und heute entscheiden die Finanzmärkte über uns, nicht mehr die Regierungen. Markus Kerber, Cheflobbyist für die deutsche Industrie, sagt, dass die Politik vom Wachstum so begeistert sei, weil das die Zustimmung der Wähler brächte. - Aber wer sind die „Finanzmärkte“? Andreas Gruber, Chefinvestor der Allianz, ist verantwortlich für 600 Milliarden Euro, und seine Anlagestrategie basiert auf den Wachstumsmärkten. Er glaubt an die Selbstregulierung des Kapitalmarktes ohne Eingriffe der Politik oder Notenbank. Er sagt mit Überzeugung in die Kamera, dass das Wachstum ökologisch verkraftbar sei.

Andrew Bosomwirth, Leiter der Investmentgesellschaft Pimco, erklärt unverblümt, dass das System auf Schulden basiere. - In den 1980er konnten auch Menschen mit geringem Einkommen leichter Kredite und Kreditkarten erhalten und so über Schulden den Konsum und damit das Wachstum ankurbeln. Stewart Cowley, langjähriger Fondsmanager, nennt es „Gameshow“, und Tim Jackson bezeichnet es sogar als Wettgeschäft. 2008 erfolgte der Börsencrash. Kurzzeitig griff die Politik wieder ein und rettete die Banken auf Kosten der Steuerzahler. Heute ist der Kapitalmarkt wieder dereguliert, und in China boomt er besonders. Zum Beispiel werden dort Flughäfen in Rekordzeit gebaut, und die Firma Airbus hat einen riesigen Absatzmarkt für noch mehr Flugzeuge. „Erst“ 1,5 Milliarden Menschen fliegen regelmäßig, da ist im übertragenen Sinne noch Luft nach oben - derweil filmt Opitz in China ein startendes Flugzeug, das vor lauter Smog kaum zu erkennen ist.

Heutige Börsengänge finden im Internet statt. Markus Koch, das „deutsche Börsengesicht“ bei n-tv, erklärt, dass Großkonzerne trotz realer Verluste Gewinne am Aktienmarkt machen, denn der bläht sich auf und hat sich längst von der echten Wirtschaft und der Realität verabschiedet. - Aufgrund des technischen Fortschritts haben Computersysteme den Börsenhandel übernommen. Der automatisierte Hochfrequenzhandel benötigt kaum noch menschliche Arbeitskraft. Auch am sehr beeindruckenden Beispiel der Autoproduktion der Audi AG werden verbesserte Technologien gezeigt, die aber insgesamt immer mehr Arbeiter und Arbeitnehmer überflüssig machen, und so gibt es immer weniger Konsumenten, die noch über genug Einkommen oder Kreditfähigkeit verfügen, um für Wachstum zu sorgen. Somit schafft der Kapitalismus das für ihn lebenswichtige Wachstumspotential selbst ab.

*

Florian Opitz hilft, mit dieser gut bebilderten Dokumentation und fantastischen Interviewpartnern die Geschichte und den derzeitigen Stand des Kapitalismus zu verstehen, und der erweist sich als ein gravierender Systemfehler.
Helga Fitzner - 9. Mai 2018
ID 10688
Weitere Infos siehe auch: http://www.systemerror-film.de/


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