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Wer das Glück hatte, ihn auf der Bühne erleben zu können, wird sich an seine Intensität und seinen Charme erinnern. Dem französischen Pantomimen Marcel Marceau (1923-2007) war eine fast 60jährige erfolgreiche Bühnenkarriere beschieden, die ihn rund um den Globus führte und mit der er über einen langen Zeitraum nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch zur Völkerverständigung beitrug. Der Schweizer Filmemacher Maurizius Staerkle Drux hat ihm posthum die Dokumentation Die Kunst der Stille - Marcel Marceaus Geheimnis gewidmet.

Marceau begann seine Schauspielausbildung nach dem Zweiten Weltkrieg in Paris und spezialisierte sich sehr schnell auf Pantomime. Er war schon als Kind von den Stummfilmstars Charlie Chaplin und Buster Keaton begeistert, die er gerne nachahmte. Als er die Bühnenfigur Bip ersann, stammte dieser mit seinem weiß geschminkten Gesicht und dem Ringelhemd optisch noch aus der Harlekin-Tradition des 19. Jahrhunderts; Marceau hatte aber auch Elemente von Chaplin, Keaton & Co. integriert. Mit diesen Verknüpfungen und seinen Solo-Pantomimen hatte Marceau praktisch im Alleingang die Kunst der Pantomime reformiert.

Als Meister der Illusion war er in der Lage, allein durch seine Körpersprache zu tieferen menschlichen Wahrheiten vorzudringen. Bip war zwar erwachsen, doch wie ein Kind in die Welt geworfen, mit großen Augen, einem reichen, unverdorbenen Gefühlsleben, wurde aber auch herumgeschubst und ausgegrenzt. Und doch hat er sich die natürliche Reinheit der Kinderseele bewahrt, die ihn immer auch das Schöne erkennen und bewundern ließ. Bips Hut war zwar zerbeult, aus ihm erwuchs aber eine Blume. - Die nonverbale Körpersprache ist universell und allgemein verständlich; das verbindet. Marceau sagt in einer der vorzüglich ausgewählten Dokumentaraufnahmen, dass die Menschen auf aller Welt einen gemeinsamen Herzschlag haben. Alle Menschen kennen Schmerz und Angst, und Marceau führte uns die Zerbrechlichkeit unserer Existenz vor Augen, unsere Kreatürlichkeit. Im Interview erwähnt er scherzhaft, dass er sehr oft auf der Bühne stirbt. Und doch wohnt uns Menschen etwas inne, das unzerstörbar ist, und durch Marceaus große Empathiefähigkeit zählt am Ende das Gemeinsame und Verbindende, überall auf der Welt.

Der Filmemacher Staerkle Drux hat einen gehörlosen Vater, der Pantomime ist. Christoph Staerkle und anderen Gehörlosen wurde in der Kindheit verboten, die Hände und den Körper zur Kommunikation zu verwenden. Sie mussten Lippen lesen und „sprechen“ lernen. Wer nicht parierte, wurde bestraft. Die Pantomime war für Christoph Staerkle eine Befreiung. Das erklärt die Faszination von Vater und Sohn für Marceau. Als Maurizius Staerkle Drux das Konzept vorbereitete, wollte er zunächst eine klassische Doku aus Dokumentaraufnahmen produzieren. Dann erwiesen sich einige von Marceaus Hinterbliebenen als so interessant, dass das Projekt in eine andere Richtung umschwenkte, weil zudem die Ereignisse aus der Jugendzeit wichtige Einblicke boten.

Anne Sicco, Marceaus Witwe, seine Töchter Camille und Amélia sowie sein Enkelsohn Louis Chevalier sind alle im künstlerischen Bereich tätig und probten gerade an einer Bühnenversion über Marceau mit drei Generationen seiner Familie. Sicco unterrichtete lange an der Schauspielschule École Internationale de Mimodrame de Paris Marcel Marceau, die gemeinsamen Töchter spielen ebenfalls Theater, und der 16jährige Enkel Louis studiert Ausdruckstanz in Toulouse. Louis war fünf Jahre alt, als sein Großvater starb, hat dessen „Erbe“ aus eigenem Antrieb angetreten. Camille und Amélia hingegen waren oft nur die Töchter von Marcel Marceau, den sie auf seine Tourneen rund um die Welt begleiteten, aber ihnen ist die Bedeutung ihres Vaters deutlicher als allen anderen.

Die Familie erinnert sich an die Zeit, als Marceau 300 Aufführungen im Jahr absolvierte, bis ins höhere Alter beweglich genug blieb und völlig in seinem Spiel aufging. Er war nach seinen Aufführungen noch derart von seinen Rollen erfüllt, dass er eine ganze Weile brauchte, wieder in die Realität zurückzukehren. Dann kommen traumatische Ereignisse aus seiner Jugendzeit zur Sprache.

Er wuchs in Straßburg als Kind jüdischer Eltern auf und begriff den Ernst der Lage erst, als sein Vater deportiert wurde und der Rest der Familie 1940 Straßburg verließ. Im Untergrund arbeitete er für die Résistance, und seine Gruppe schaffte es, über 300 jüdische Kinder in die Schweiz zu bringen, darunter den Sohn seines Cousins. Sein Cousin Georges Loinger zählt 108 Jahre und wird als wichtiger Zeitzeuge interviewt, zusammen mit seinem erfolgreich geretteten Sohn Daniel, der ebenfalls zu Wort kommt. Die geretteten Kinder waren noch sehr jung, und Marceau gelang es ihnen über die Pantomime das Schweigen beizubringen, was in Gefahrensituationen während der Reise überlebenswichtig war.

Marceau hat die Schrecken einer Welt ohne Empathie kennengelernt und sich für die Menschenliebe entschieden anstatt für Hass und Vergeltung. Ob in den USA, in China oder in vielen anderen Ländern der Welt, hat er wortlos und ohne Anklage sein Publikum für den Frieden sensibilisiert, es, zumindest für einen Abend, in kindlichen Gefühlsreichtum zurückversetzt und damit zur Aussöhnung beigetragen. Marceau starb am 22. September 2007, das war an Jom Kippur, einem der höchsten Feiertage im Judentum, an dem die Gläubigen angehalten sind mit sich selbst, der Welt und den Mitmenschen ins Reine zu kommen, wozu der Pantomime sein Leben lang einen wichtigen Beitrag geleistet hat.



Bip (Marcel Marceau) über den Dächern von Paris | © W-film / Les Films du Prieuré

Helga Fitzner - 4. Mai 2022
ID 13610
Weitere Infos siehe auch: https://www.wfilm.de/die-kunst-der-stille/


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