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Dokumentarfilm

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Der 1941 geborene chilenische Regisseur Patricio Guzmán zählt zu den bedeutendsten Filmemachern Chiles, dabei hat er das Land 1973 nach dem Militärputsch von Augusto Pinochet verlassen. Er war der Verhaftung und Folter ausgesetzt und ging später nach Paris ins Exil, von wo aus er das Schicksal seiner Heimat immer wieder in Dokumentationen schilderte. Nun kommt Die Kordillere der Träume ins Kino, der Abschluss eines Dreiteilers über drei imposante geografische Merkmale seines Landes.

Die Trilogie begann er 2010 mit Nostalgia de la luz – Heimweh nach den Sternen (Europäischer Filmpreis) in der Atacama-Wüste im Norden, wo wegen des guten Lichts ein internationaler Standort für Weltraumteleskope errichtet wurde. In der Atacama-Wüste wurden aber auch die Menschen verscharrt, die während des Pinochet-Regimes (1973-1990) ermordet worden waren. Der Film beobachtete Frauen, die nach den Überresten ihrer verstorbenen Angehörigen graben, weil sich dort die Konzentrationslager Pinochets befanden. Im Jahr 2015 drehte Guzmán Der Perlmuttknopf (Silberner Bär, Berlinale), in dem es nach der Wüste nun um das Meer geht, das sich über die gesamte Länge des Landstreifens erstreckt. Auch hier verwebt der Regisseur Gegenwart und Vergangenheit miteinander, geht auf das Schicksal der indigenen Bevölkerung ein sowie auf das von Tausenden von Regimegegnern, die an Bahnschienen gefesselt im Meer ertränkt wurden. Für die Gräueltaten wurde Pinochet nie zur Rechenschaft gezogen, der 2006 im Alter von 91 Jahren starb.

Die Kordillere der Träume (Cannes, Auszeichnung als bester Dokumentarfilm) beschließt nun diese Trilogie mit eindrücklichen Aufnahmen des Anden-Gebirges, der Kordillere, die 80 Prozent der Oberfläche Chiles ausmacht. Chile ist zwar von Nachbarländern umgeben, aber durch die Wüste, das Meer und die imposanten Anden auch geografisch von ihnen isoliert und steht vielleicht auch deshalb nicht gerade im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit. Der Film ist ziemlich entschleunigt und lässt Zeit, die wunderbaren Luftaufnahmen des majestätischen Gebirgszuges zu genießen, die der Kameramann Samuel Lahu eingefangen hat.

Guzmán lässt auch die Ruinen des Hauses filmen, in dem er als Kind aufgewachsen ist. Die sind symbolhaft für den wirtschaftlichen Niedergang der chilenischen Bevölkerung, während der Wohlstand internationaler Konzerne in Chile wächst. Chile ist scheinbar ungeschützt dem neoliberalen Raubtierkapitalismus ausgesetzt, bei dem die Mehrheit der Chilenen das Nachsehen hat. Während sie immer mehr verarmen, was Guzmán an verfallenen Stadtteilen illustriert, bereichern sich ausländische Unternehmen an ihnen und ihrem Land und graben z.B. tiefe Schneisen in die Anden, um Kupfer abzubauen, das eigentlich den Chilenen gehört. Chile gilt als El Dorado des Neoliberalismus' und wird zunehmend ausverkauft.

Die Interviews mit den Bildhauern Francisco Gazitúa und Vicente Gajardo sind aufschlussreich, sie setzen sich mit der aktuellen Lage in Chile auseinander, arbeiten u. a. mit Gestein aus den Anden und verleihen ihm künstlerischen Ausdruck und eine Art Transformation. Sie gehen respektvoll mit ihrem Rohstoff um, birgt doch jeder Stein ein potentielles Kunstwerk in sich. Auch Jorge Baradit kommt zu Wort, ein Schriftsteller, der in seinen Publikationen die jüngere Vergangenheit Chiles reflektiert und politischen Aktivismus betreibt. Er legt Fakten offen, die in der offiziellen Geschichtsschreibung nicht vorkommen. Das verbindet ihn mit dem Filmemacher Pablo Salas, der seit 1982 unermüdlich die Proteste und Demonstrationen filmt und eine einzigartige und seltene Filmsammlung hat. Guzmán hat ihn in seinem Archiv besucht, in dem es noch Filmrollen gibt, Videoformate wie U-matic und Beta, die heute nicht mehr benutzt werden. Salas stellt ausgewähltes Filmmaterial aus der Vergangenheit und Gegenwart zur Verfügung, ist ein visueller Chronist der Geschichte des Widerstands über Jahrzehnte und der unstillbaren Sehnsucht der Menschen nach Selbstbestimmung und Freiheit, die selbst in einer „Demokratie“ nicht immer gewährleistet sind.

Die Kordillere der Träume ist ein tieftrauriger und assoziativer Film. Es geht Guzmán nicht so sehr um Anklage, sondern um Bewusstmachung. Die kollektive Traumatisierung durch das Militärregime rückt er relativ behutsam ins Gedächtnis. Die Chilenen sind schon lange nicht mehr Herr im eigenen Land, sei es durch den Militärputsch oder das Diktat fremder Wirtschaftsbosse. Die Dramen spielen sich vor den mächtigen Kulissen der Wüste, des Meeres und der Kordillere ab, sind stellenweise mystisch, und Guzmáns Film endet nicht ohne Hoffnung: „Diese gigantische Gebirgskette... ist für mich zu einer Metapher für das Unveränderliche geworden, für das, was bleibt und uns bewohnt, wenn wir denken, dass wir alles verloren haben.“



Filmemacher Pablo Salas filmt seit 1982 unermüdlich die Demonstrationen gegen die Unterdrückung | © Atacama Productions France

Helga Fitzner - 15. Juli 2020
ID 12353
Weitere Infos siehe auch: http://www.realfictionfilme.de/filme/die-kordillere-der-traeume/index.php?id=159


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