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Festival

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Wenn ein Oscar-Preisträger (1975 für den besten Song – „I’m easy“!) mal eben vorbeischaut, um einen Klassiker der Filmgeschichte, in dem er mitgewirkt hat – in diesem Fall Keith Carradine in Nashville von 1975 – dem verdutzten Publikum persönlich vorzustellen, und dies nicht in Berlin, München oder Hamburg ist, dann ahnt der erfahrene Festivaltourist: es muss in Oldenburg sein. Der 1949 geborene Carradine (Bruder vom verstorbenen Robert Kill Bill Carradine) eroberte auf dem 25. Internationalen Filmfest Oldenburg mit seinem lässigen Charme und seiner zuvorkommenden Art die Herzen der Festivalbesucher und Journalisten wie weiland viele, vor allem weibliche Fans, als er auf der Leinwand z.B. in Willkommen in Los Angeles (1976), Die Duellisten (1977) oder Pretty Baby (1978) den Charmeur und Herzensbrecher mimte.

Auch in diesem Jahr liefen in Oldenburg einige Entdeckungen, die relativ bunt zusammengewürfelt wurden. Die diversen Sparten lassen sich nur mühsam auseinanderhalten, aber wen juckt’s, wenn es überall etwas zu sehen gibt, was andere Festivals nicht zeigen, weil es ihnen zu schräg oder nischig ist. Der langjährige Festivalleiter Torsten Neumann greift z.B. gerne in die Genrekiste und zeigt Filme mit grellen Themen, Sex und Gewalt, für die sich in der Universitätsstadt Oldenburg immer ein neugieriges, junges Publikum findet. Überalterung des Stammpublikums, mit denen sich andere, von betuchten, intellektuellen Großbürgertum dominierten Festivals beschäftigen müssen, ist jedenfalls definitiv nicht Oldenburgs Problem.

Bisweilen wirkte das Festival deshalb wie die persönliche Spielwiese von Leiter Torsten Neumann, dem David Cronenberg der deutschen Festivallandschaft. Zu konstatieren ist jedoch, dass der leidenschaftliche Cineast verlässlich nicht nur originelle Filme aussucht, sondern zusammen mit seiner Lebensgefährtin, der US-Schauspielerin Deborah Kara Unger (The Game; Crash) auch immer wieder große Namen des US-Independent-Films und des europäischen Arthauskinos in die kleine niedersächsische Universitätsstadt lockt.

Zur 25. Ausgabe durften Neumann und Unger nicht nur den wunderbar lässigen Songwriter und Schauspieler Keith Carradine (Jahrgang 1949), sondern auch Ex-Teenie-Star Molly Ringwald (Pretty in Pink, 1987; neuer Film: All These Small Moments) sowie die Regisseure Michael Wadleigh (Woodstock, 1968) und Bruce Robinson (Jennifer 8, 1992) begrüßen, die sich alle gerne unter die Oldenburger Zuschauer mischten. Der Brite Robinson tat dies anlässlich einer kleinen Retrospektive ihm zu Ehren, zu der auch die in Deutschland selten gezeigten, autobiografisch und satirisch gefärbten Tragikomödien Withnnail & I (1987) und How To Get Ahead In Advertising (1989) zählten. Beide waren als volle Breitseite gegen die Ökonomisierung der britischen Gesellschaft unter Premierministerin Margaret Thatcher konzipiert und verströmen auch heute noch einen anarchischen, fröhlichen Geist. Ein aufgeweckter, aber doch leicht resignierter Robinson betonte bei den Vorführungen, dass er sich damals nicht hätte vorstellen können, dass 30 Jahre später angesichts solcher Katastrophen wie dem bevorstehenden ‚Brexit‘ und US-Präsident Trump, alles nur noch schlimmer geworden ist.

Welcher Festivaldirektor kann schon damit glänzen, die neuesten Werke von Regielegenden des US-Independent-Films präsentieren zu können, darunter Alan Rudolphs Ray Meets Helen (Europapremiere), Paul Schraders First Reformed und James Tobacks The Private Life Of A Modern Woman (Deutschlandpremiere)? Die Werke mögen nun nicht zu den Knaller-Highlights des Festivaljubiläums gezählt haben, aber den von der amerikanischen Fachpresse vergebene Auszeichnung, das „deutsche Sundance“ zu sein, ist Oldenburg auch 2018 gerecht geworden.

Deutsche Gäste waren 2018 u.a. die Schauspielerinnen Sabine Timoteo (als Regisseurin des Schweizer Dramas Sag mir nicht, Du kannst nicht singen) und Neda Rahmanian für die Vorabpremiere des ARD-"Kroatien-Krimis" Der Henker, der als einer von vier Festivalbeiträgen den Einsitzenden der Justizvollzugsanstalt Oldenburg gezeigt wurde – auch dies eine langjährige Tradition, die auf anderen Festivals inzwischen nachgeahmt wird. Während die Auswahl der deutschen Beiträge im Jubiläumsjahr mit sechs Beiträgen, darunter zwei Koproduktionen und drei TV-Krimis (zwei von Regisseur Thomas Stiller!), mindestens quantitativ ungewöhnlich dünn ausfiel, wogen Spielfilme aus den USA und diversen europäischen Ländern diese Leerstelle auf.

Typisch für die von Festivalleiter Torsten Neumann in all den Jahren favorisiert originelle Filmkost abseits des Massengeschmacks war in diesem Jahr z.B. der amerikanische Psychothriller CAM von US-Nachwuchsregisseur Daniel Goldhaber, der im Milieu von Pornoschauspielerinnen spielte, die für ihr männliches Online-Publikum vor einer Webkamera agieren. Eine junge Frau, die auch vor gefakten Selbstmorden nicht zurückschreckt, gerät zunehmend in eine Paranoia, als sie feststellen muss, dass ihre digitale Identität geklaut wurde. Neben surreal wirkenden, Lynch-haften Elementen bestach der spannende Film mit seiner gekonnten Abfolge von Szenen in der realen Welt und auf dem Onlinebildschirm. Nur eine Million Dollar hatten Goldhaber und seine Mitstreiter dafür zur Verfügung. Der Regisseur betonte, dass die lebensechtem, vom Original nicht zu unterscheidende Nachbildung eines Menschen durch Software-Technologie, die der Film behandelt, wohl noch bis zu zehn Jahre braucht. Aber das nicht nur die Abbilder von Schauspielern, sondern uns allen eines Tages Rohmasse für allerlei Fake-Videos sein werden, ist vorauszusehen.



Holiday | (C) Filmfest Oldenburg


Auch die anderen Festivalbeiträge waren oft mit geringen Budgets entstanden und fielen durch überraschende Ansätze und Stilmittel auf: Im dänisch-niederländischen Drama Holiday rechnet die schwedische Regisseurin Isabella Eklöf in distanziert-nüchternen, quietschbunten Bildtableaus mit der Gleichförmigkeit der internationalen Tourismusindustrie ab. Holiday zeigt eine merkwürdig zusammengewürfelte Bande dänischer Drogenhändler und ihrer sehr jungen, unbedarften Gspusis, die das illegal verdiente Geld irgendwo an der türkischen Küste verballern – mit gallenbitterem Humor, aber leider ohne jede Identifikationsfigur. Eklöf betonte in Oldenburg, die Kombination aus Mafia und Tourismus sei keineswegs abwegig, denn viele Ferienressorts seien mit gewaschenen Geldern aus dem kriminellen Milieu finanziert.



Galveston | (C) Filmfest Oldenburg


Die französische Schauspielerin Mélanie Laurent (The Adopted, 2011) verfilmte den Kriminalroman Galveston, in welchem eine junge Prostituierte (genial wie immer: Elle Fanning) und ein schwerkranker Mafiakiller (mit rauer Schale und weichem Kern: Ben Foster) ein Außenseiterpaar auf der Flucht sind, im fiebrigen texanischen Licht als mit vielen Überraschungen gespickte Genre-Variante von Taxi Driver und Leon, der Profi. Der russische Eröffnungsfilm Unforgiven von Regisseur Sarik Andreasyan (Europapremiere) – eine neuerliche Behandlung der Folgen des Flugzeugabsturzes einer russischen Passagiermaschine nahe des Bodensees am 1. Juli 2000 – wirkte etwas dick aufgetragen und zäh.

Was es zu meiner Erleichterung 2018 – anders als in vorausgegangenen Jahren – nicht gab: drastische Ausreißer, bei denen die Filmschaffenden im Bestreben, dem Film ihren persönlichen Stempel aufzudrücken, sich in ihren Obsessionen verfingen. Mitunter war das nämlich der Preis, möglichst oft möglichst unkonventionell sein zu wollen. Torsten Neumann hat dies zu einem Markenzeichen seines Festivals gemacht, was in 25 Jahren immerhin ein guter Grund war, nach Oldenburg zu reisen. Unter anderem die Ehrengäste Matthew Modine (2011), Mira Sorvino (2012) und Nicolas Cage (2016) sahen das auch so.
Max-Peter Heyne - 23. September 2018
ID 10935
Preise:
German Independence Award für den besten Film in der Independent-Reihe: Temporary Difficulties von Regisseur Mikhail Raskhodnikov;

Seymour Cassel Award für eine herausragende darstellerische Leistung: Victoria Carmen Sonne für die Hauptrolle in Holiday (D/S/NL/Tk) und Gabriela Ramos für ihre Rolle im kubanischen Thriller Is that you?.

Bester Kurzfilm: Fauve (CA) von Jeremy Comte.


Weitere Infos siehe auch: https://www.filmfest-oldenburg.de


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