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Fernsehfilm

Verfilmtes,

zerrissenes

Dorf



btb-Buchcover zur verfilmten Romanvorlage von Juli Zeh | © Verlagsgruppe Random House GmbH

Bewertung:    



Die goldgelben Ähren wogen, die Gärten blühen und grünen, die gemütlichen Häuser sind würdig gealtert, die Männer fahren Traktor oder Fahrrad, die Frauen tragen flache Schuhe, und die Sonne scheint unentwegt. Man möchte sofort hinziehen in das Dorf Unterleuten in Brandenburg. Es ist so schön abseits gelegen im märkischen Sand, neben Siedlungen mit Namen wie „Seelenheil“, „Wassersuppe“ oder „Regenmantel“. Idylle pur.

Wenn man dann nicht unter Leuten wäre, solchen Leuten! Alteingesessene Sturköpfe, seit Jahrzehnten schwelende Konflikte. Schon zu DDR-Zeiten waren Kron und Gombrowski die Gegenpole, die das Dorf beherrschen. Kron gibt den unbelehrbaren Altkommunisten, um den sich die ewig Unzufriedenen scharen. Gombrowski repräsentiert den enteigneten Großbauern, der sich mit überlegenem Fachwissen immer wieder durchsetzt – auch gegenüber dem Bürgermeister. Aus der abgewirtschafteten LPG hat er die moderne GmbH „Ökologika“ gemacht. Die braucht dringend Geld, Unterleuten hat nicht mal eine Kanalisation. Das könnte eine geplante Windkraftanlage bringen. Sie sorgt für Streit. Die Arbeiter der Ökologika fürchten um ihren Job, der vielleicht überflüssig wird. Am schärfsten dagegen sind die neuzugezogenen Städter, obwohl sie nichts zu verlieren haben. Der Soziologieprofessor Fließ ist zwar theoretisch für Ökostrom, aber sein Vogelbiotop ist ihm wichtiger. Zudem setzt ihn seine junge Frau Jule unter Druck, linksnaiv, postnatal traumatisiert, dafür stets von einem Heiligenschein aus Licht umgeben. Die junge Pferdewirtin Linde will für ihren Zuchthengst eine Art Ferienponyhof, treibt die Preise hoch und spielt falsch. Ihr nerdiger Freund versteckt sich hinter dem Computer, würde sich gern raushalten. Doch hier, wo man sich nicht aus dem Weg gehen kann, funktioniert Neutralität eben nicht. Man hat Partei zu sein. Statt dörflicher Gemeinschaft regiert der Eigennutz.

*

Juli Zeh hat in ihren großen Gesellschaftsroman im Kleinen alles reingestopft, was gerade aktuell ist. Die Klimakatastrophe, die Energiewende, Globalisierng und Kapitalismus, Stadtflucht und Landidylle, Ost versus West, digitale Vernetzung, Individualisierung, Akademisierung, Pferdeflüstern und Ökologie. Das Personal ist denkbar unterschiedlich, Klischees wurden schon im Roman nicht gescheut. Die seit langem schwelenden Konflikte eskalieren, als ein Kind verschwindet. Einer verdächtigt den anderen der Entführung, dabei hat es sich nur versteckt. Am Ende gibt es reihenweise Tote. Gombrowskis sonderliche, früher mal begehrte Freundin Hilde trifft der Schlag, weil seine eifersüchtige Ehefrau ihr die geliebten Katzen wegnehmen lässt. Ausgerechnet der feine Professor schlägt den bulligen Automechaniker krankenhausreif, als „das Tier“ die Hand zur Versöhnung ausstreckt. Der Nerd baut einen tödlichen Unfall, weil er im Auto ans Handy geht, nachdem er die rücksichtslose Pferdefrau verlassen hat. Gombrowksi bringt sich schließlich selbst ums Leben, warum auch immer. Ein Mann wie eine Trutzburg - die Zeit schleift ihn. Nicht mal die Heuschrecke Meiler ist am Ende ein Gewinner, was man ihr durchaus gönnt. Nur schade, dass damit die ganze Windkraft-Thematik so schlecht wegkommt.

* *

Natürlich ist es schwer, einen 600-Seiten-Roman in 3 mal 90 Minuten unterzubringen. Natürlich ist es verführerisch, eine Idylle so gnadenlos vor die Hunde gehen zu lassen. Natürlich geben dramatische Todesfälle was her. Und natürlich ziehen schöne Landschaften und grandiose DarstellerInnen.

Rosalie Thomas als neurotische Kindfrau, Thomas Thieme als massiger, aber sensibler Gombrowski, Hermann Beyer als selbstgerechter Kron, Ulrich Noethen als die personifizierte soziale Inkompetenz Prof. Fließ, Charly Hübner als bedroht-bedrohlicher Brandenburger, bis hin in jede Polizisten-Nebenrolle: eine Starbesetzung.

Und doch ergreift einen die Geschichte nicht wirklich, sie wirkt streckenweise sogar ein wenig betulich. Das liegt vielleicht daran, dass dieser Fernsehfassung (Regie: Grimme-Preisträger Matti Geschonneck) jedes Geheimnis, jedes Rätsel genommen wurde. Für die ganz Begriffsstutzigen hat man sogar den Untertitel Das zerrissene Dorf gefunden. Alles ist von Anfang an klar, die Charaktere liegen auf der Hand, der Konflikt auch, die Dialoge kommen stets „bedeutsam“ daher. Die Spannung liegt in Juli Zehs Romanvorlage wohl darin, dass der Plot sich ganz langsam enhüllt und steigert. Er wird über viele, nur sehr teilweise "richtige" Einzelperspektiven Stückchen für Stückchen zusammengesetzt. Ein plastisches Mosaik. Warum es so viele Tote und etliche wohlfeile Klischees braucht, fragt man sich dann nicht mehr.

In dieser hochglanzbunten Fernsehfassung mit allzuviel melodramatischer Musikuntermalung aber schon. Da will ein Regionalkrimi Welttheater sein. Man merkt die Absicht und ist enttäuscht.
Petra Herrmann - 15. März 2020
ID 12086
Weitere Infos siehe auch: https://www.zdf.de/serien/unterleuten


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