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Demokratische Republik Kongo August – September 2004

Abenteuerfilm in Afrika

30 Tage im Kongo einmal Krieg und zurück
Teil III


Kinder des Krieges
Mittwoch, 18. August 2004

50 km außerhalb stattet die GTZ eine Farm aus. Dort leben 40 Straßenjungs, die man aus Kinshasa herausgeschafft hat, um den Teufelskreis aus Drogen, Gewalt und Verwahrlosung zu durchbrechen. Sie saßen da und glotzten uns stumpfsinnig an. Es war sehr unangenehm für sie wie für uns. Ich fragte nach Namen, Alter, nach Geschichten und erntete verlegene Blicke, nichtssagende Gesichtsausdrücke. Man hatte mir zuviel über die Jungs erzählt, ich war zu voreingenommen gegenüber den ehemaligen Kindersoldaten, die irgendwann nach dem Krieg in Kinshasa auf der Strasse gelandet sind und nicht wussten wohin mit sich, ihrem Leben, der Frustration und Verzweiflung.




Kinder auf der Farm
Das Eis brach in der Mittagshitze, als ich nach Hobbys fragte: Fußball war der Schlüssel zu ihren Geschichten. Sie erzählten von Erfolgen, von Turnieren, Siegen und Niederlagen. Sie spielten, schwitzen, wollten zeigten was sie konnten. Wir filmten, applaudierten und stellten Fragen. Plötzlich hatten wir 40 neue Freunde und jede Menge lachende und verstaubte Gesichter in die Kamera schauten.

 


Einmal Krieg und zurück
Donnerstag, 19. August 2004

Nach knapp 3 Stunden Schlaf begann an diesem Morgen ein Abenteuer, das mich fast das Leben hätte kosten können. Ich kann nicht sagen, ob es Schicksal war oder Glück oder Zufall. Meine Hände zittern nach wie vor und das Herz schlägt mir auch 24 Stunden später noch immer bis zum Hals. Ich hatte vor Beginn unserer Reise mit vielem gerechnet und nichts erwartet, aber ein leicht ungutes Gefühl begleitete mich bis ins Flugzeug.

Allein die Fliegerei mit den UNO-Maschinen war schon aufregend genug, ich als Osteuropa- und Flugzeugfreak weiß so ungefähr, wie alt diese ukrainischen Antonows sind und wie sie geflickt werden... wir hatten 3 Zwischenstopps bis nach Bukawu. Bei jedem Stop wechselten wir die Maschinen, die immer kleiner wurden, bis die letzte dann keine Fenster mehr hatte und nur aus wenigen, im Boden verschraubten Sitzen bestand; keine Klimaanlage oder Gepäckraum, nichts...

Ankunft in Bukawu, Ostkongo

Ankunft in Bukawu nach insgesamt 6 Stunden Flug über dichtem Dschungel: Ein einziges Rollfeld aus feuerrotem Sand, eine Handvoll weißer UN-Container und jede Menge hellblaue Sandsäcke.... Stacheldraht, Wachtürmchen, Scharfschützen mit kugelsicheren Westen und blauen Helmen, Wände hochgestapelt aus Sandsäcken – Kolonnen von Panzern, Trucks, Tanklastern und 2500 Mann UN-Truppen aus aller Herren Ländern mitten im Einsatz... in Verteidigungsstellung – von wegen Peacekeepingaktion oder Schutz der Bevölkerung. Meine Ideale, die ich bislang von UN-Peacekeepingaktionen hatte, sollten sich in den nächsten 24 Stunden in Luft auflösen.

Ein besonders lustiger Anblick war für mich, mit eigenen Augen festzustellen, welchen technischen Beitrag die Deutschen in dieser internationalen Mission leisten. Weit und breit kein deutscher Soldat, keine deutsche Technik oder Logistik. Nichts. Dagegen gab es beim Einchecken gelbe Grenzschutzaufkleber auf die Gepäckstücke und vor jedem UN-Container stand eine große blaue Plastikmülltonne der Marke „Sulo“ aus Bad Herford. Das waren überhaupt die ersten Mülltonnen die ich je im Kongo gesehen habe. Seltsam, dass mir solche Details überhaupt aufgefallen sind.

Der Flughafen liegt in einer Talsohle, strategisch gesehen mitten auf dem Präsentierteller. Auf den Hügeln rings herum stiegen einzelne Rauchsäulen in die feuchte Luft. Ich kann das alles nicht wirklich einschätzen, aber die Rebellen standen jedenfalls weiträumig um den Flughafen herum.

Der Truppenaufmarsch hatte in der letzten Nacht stattgefunden, als wir dorthin unterwegs waren.




UN-Blauhelme am Flughafen in Bukawu
Wir saßen stundenlang in den Containern fest... hatten mittlerweile telefonisch Kontakt zur KAS, der Botschaft und den UN-Leuten, die wir vor Ort kannten. Man erklärte uns, es gäbe keine verlässlichen Informationen, aber soweit man es absehen könne, hätte sowohl die ruandische als auch die kongolesische Armee ihre Truppen bis 30 km auf Bukawu zu bewegt. Die Rebellen unter Nkunda stünden nördlich kurz vor dem Flughafen. Die Kindersoldaten von General Matebutzi hätten sich 2 km vor der Stadt in einer Schule verschanzt und die May-May-Krieger seien schon in den Nationalpark Karhu-Sibiega eingefallen, in welchem wir die Gorillas drehen wollten. Am Samstag sollte es voraussichtlich losgehen, erklärte uns ein Amerikaner vor Ort (der sich etwas um uns kümmerte), denn die Banjulamenge hätten nach dem Massaker vergangene Woche eine einwöchige Trauerphase verordnet.

In diesem Moment kam hinter uns auch schon die nächste Maschine angeflogen, die uns wohl direkt hier wieder rausbringen würde – dachte ich jedenfalls 2 Minuten lang. Dann ein lauter Knall. Ich mache es jetzt nicht spannender als es wirklich war, denn letzten Endes ist alles noch mal gutgegangen. Es war kein Angriff, auch wenn das in dem Moment jeder dachte. Die Boing 727 war zu schnell und zu schwer, bei der Landung platzen die Reifen, sie schlitterte heftig Funkend sprühend auf die Container zu, alles rannte und schrie und es brach Panik aus. Die Jungs mit den blauen Helmen sprangen aus ihren Wachtürmen.


Erst im Nachhinein habe ich erfahren, dass die Maschine bis obenhin mit schwerer Munition beladen war. Haarscharf vor unseren Containern ist sie gerade so noch zur Seite gekippt und stehen geblieben. Ich konnte aus der Entfernung den kreidebleichen Piloten direkt in die Augen sehen. Erst in diesem Moment kam ich wieder zu mir und stellte fest, dass ich immer noch wie zur Salzsäule erstarrt felsenfest dastand. Zitternd, schwitzend und nach Luft ringend. Wie knapp das war, wird mir erst jetzt bewusst... es hätte auch alles vorbei sein können, wenn das Ding explodiert wäre....
Im Container auf dem Flughafen Bukawu
Diese 2 Schocks und Panikattacken kurz hintereinander haben mich mindestens 5 Jahre Lebenszeit gekostet! Und nun hatten wir Unglück im Glück, denn nach dem Maschinenausfall fehlte den Truppen natürlich nun ein Flugzeug. Deswegen konnten sie aus Kinshasa innerhalb der nächsten 5-6 Stunden keine neue schicken, um uns Zivilmenschen (Katja und ich waren auch nicht die einzigen) hier irgendwie rauszuschaffen. Wir waren beide total durch den Wind.... Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie so viel Angst wie in diesen knapp 36 Stunden – einmal Krieg und zurück.

Am wenigsten verarbeitet habe ich die visuellen Eindrücke, die sich mir im Land der großen Seen unmittelbar aufzwangen. Eine Landschaft wie aus einem afrikanischen Märchen. Seen soweit das Auge reicht, Berge aus rotem Sand und blühende grüne tropische Landschaften. Herrlich trügerisch und wunderschön! Für mich persönlich die schönste Landschaft, die ich je gesehen habe und noch viel romantischer als das Ferghana-Tal in Zentralasien. Die friedliche Stille und Gelassenheit dieses Paradieses lenkte das Auge von dem ab, was das Ohr an grausamen Geschichten über diese Region zu hören bekommt: die Seen, in welchen 1994 noch die Tutsi-Leichen des ruandischen Genozids schwammen. Gewehrfeuer, abgegeben von 13jährigen Kindersoldaten, von all den Kriegsjahren gekennzeichnet, vergewaltigte und verstümmelte Frauen...
UN-Soldaten am Flughafen in Bukawu, Ostkongo
Wir mussten in die Stadt rein, denn der Flughafen war während der Nacht zu unsicher. Also fuhren wir direkt zum UN-Headquater: Sicherheitskontrollen, dann Flugplan für den nächsten Tag checken, mit tausend Leuten telefonieren, die wir kannten oder deren Nummer wir hatten. Die größte Herausforderung bestand darin, in diesem Chaos von UNO-Institutionen nach Infos suchen: Evakuierungsplan gab es keinen und niemand wusste, was zu tun ist mit uns beiden non-UNO-Staffs. Also gab es auch keine Infos, keine klaren Ansagen, keine Hilfe für zwei kleine Mädels mit Kameras auf dem Rücken.

Wir wurden in ein Zimmer von einer US-NGO einquartiert, direkt gegenüber des Headquarters. Nur zehn Meter über die Strasse zum Eingang. Die Strasse wurde hinten und vorne mit schweren Panzern verriegelt. Es war ohne Übertreibung die schlimmste Nacht meines Lebens... und Katjas noch viel mehr, denn sie hing mit einer Lebensmittelvergiftung über der Toilettenschüssel. Aber irgendwie haben dann doch wieder Glück gehabt.....es fand kein Angriff in der Nacht statt. Nur 2 Mal tönten die Alarmsirenen und es brach direkt vor unserer Tür Hektik aus. Ich saß bis zum Morgengrauen am Fenster und habe die Blauhelme gegenüber beobachtet, wie sie auf dem Panzer mit dem Gewehr im Anschlag ausharrten und nicht so richtig wussten, auf was sie eigentlich reagieren sollten. Es war der spannendste Action-Film meines kurzen Lebens.

Höllenflug über den zentralafrikanischen Dschungel
Freitag, 20. August 2004

Nach Sonnenaufgang mussten wir im Headquater lange warten und suchen, wer uns denn nun wie zum Airport fahren kann und wie wir überhaupt hier rauskommen. Dann endlich ging es los: mit einem UN-Fahrzeug eine Stunde über holprige, nicht geteerte und kaputte Strassen zur Landebahn, dort zu acht in den ukrainischen Transport-Helikopter, mehrere Stunden Flug bei eisiger Kälte über den großen See. Zielflughafen: Kigali, Ruanda.


Wir Journalisten wurden mit dem Hubschrauber nach Kigali geflogen
Auf dem Flughafen in Kigali waren wir ungebetete Gäste aus dem Feindesland. Es war keine Maschine da um uns abzuholen. Die nächste kam erst viele Stunden später: eine Mini-Mini-Propeller-Chezzna. Jemand musste da bleiben, denn es gab nur Platz für 7 Personen an Bord. Wir hatten gerade noch Glück.

Ich durfte als letzte die Maschine besteigen. Sonst hätten wir mit dem Heli nach Bukawu zurück gemusst, um dort auf die nächste Gelegenheit zu warten.
Heftiger Flug über den kompletten zentralafrikanischen Dschungel, stundenlang. Dann Landung irgendwo auf einer Rollbahn mittendrin. Aussteigen und eine halbe Ewigkeit warten, dann mit dem nächsten kleineTransporter weiter. Weitere Stunden später Landung und zwei Stunden warten, endlich eine Boing 727, die uns die paar tausend Kilometer nach Kinshasa brachte. Es waren Strapazen ohnegleichen, mit 60 kg reinem Handgepäck bewaffnet, nach 2 Nächten ohne Schlaf, bei dieser wahnsinnigen Hitze, ohne Essen, Trinken, Toilette… Adrenalin war buchstäblich das einzige, was mich irgendwie aufrecht hielt. Meine Nerven lagen blank... als ich unter der Dusche stand und der ganze Dreck von mir runter rieselte…

Bin nun echt durch und durch, starre ins Leere und in meinem Kopf laufen tausend Filme gleichzeitig. Ich bin müde und doch total überdreht. Kann nicht schlafen, habe noch schlimmere Albträume als in den vergangenen Wochen… sobald ich die Augen schließe, holen mich die Bilder wieder ein.

Leicht erhöhter Adrenalinspiegel
Samstag, 21.August 2004

Endlich Auszeit, Halbzeit und Zeit zum Nachdenken. Gefühle ordnen, reflektieren. Sehnsucht nach zu Hause, nach Freunden, Arme, die umarmen, Ohren die zuhören, Blicke, die verstehen. Einsamkeit machte sich breit, als ich den ganzen Tag alleine in diesem kleinen Gefängnis hinter Stacheldraht saß. Am Abend kompensierte ich dies beim Feiern, die ganze Nacht einen Drink nach dem anderen. Von Club zu Club, bis morgens die Sonne aufging. Einsam war ich dann nicht mehr. Die Clubs waren voller Menschen, junge Kongolesen, die ihre Blicke nicht bei sich lassen können. Die einzige weiße Frau auf der Tanzfläche. Und die glücklichste wohl dazu. Ich fühlte mich wie ein Dinosaurier im Streichelzoo.


Kontrastprogramm: Erholung
Sonntag, 22. August 2004

Nachdem mir nach einer Runde im Pool wieder wie ein Mensch zu Mute war, fuhren wir stundenlang durch die Stadt, die kein Ende nehmen wollte. Plötzlich Wald, Dschungel, riesige Bäume, Bambus und überall Getier und Geräusche.

See im Nationalpark, ca. 30 km außerhalb von Kinshasa
Wir kamen an einem See an, Natur pur und eine wahnsinnige Idylle. Gerüche und Geräusche. Nach 6 km Fußweg um den See herum waren wir auch ausgepowert, verschwitzt und genossen unser Picknick. Einfach wunderschön, dieser kitschige Romantik! Palmwedel, die ins Wasser hingen, spiegelglatte Oberfläche, auf welcher sich die Wolken abzeichneten. Einfach wundervoll. Unbeschreiblich. Und welch ein Kontrast zu unseren Erlebnissen der vergangenen Tage.



Simone Schlindwein / Januar 2004

Fortsetzung folg in Kürze
siehe auch
Reisebericht Teil 1

Reisebericht Teil 2

 



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