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Demokratische Republik Kongo August – September 2004

Abenteuerfilm in Afrika

30 Tage im Kongo einmal Krieg und zurück
Teil II


Hexen und Polizisten
Freitag, 13. August 2004

Manche Dinge sind so schrecklich, dafür gibt es keine Tränen. Heute habe ich einem Mädchen in die Augen gesehen, die so voller Leid und Schmerz waren, dass es für mehrere Menschenleben ausreicht. Dieses Mädchen ist 16 Jahre alt und lebt in dem „Hexenkinderprojekt“, das wir heute besuchten. Sie wurde von ihrer Familie der Hexerei beschuldigt und ihre eigene Mutter hat versucht, sie zu verbrennen, indem man sie in einen aufgetürmten Stapel Autoreifen hineingestellt hat und diesen anzündete. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Für manche Schicksale finde ich keine Worte. Die Hexenkinder ließen mich nicht los und ihre komplett traumatisierten Blicke verfolgten mich bis tief in den Schlaf.



Von rechts nach links: UN-Repräsentanten, Polizeichef, Innenminister, UN-Chef, Vertreter der KAS
Unser erster Drehtag begann mit dem zweitwichtigsten Mann nach dem Präsidenten und dem Chef der UNO-Mission hier. Die UNO hatte in den vergangenen Wochen die lokalen Sicherheitstruppen ausgebildet und mit ihnen gemeinsam ein Sicherheitskonzept erarbeitet, welches anschließend feierlich dem Innenminister überreicht wurde. Das Gelände um das Hotel war weiträumig abgesperrt. Alles war hochoffiziell und streng nach Protokoll und als wir dann im Hotel als einzige beiden weißen Mädels die Kamera auspackten und damit durch den Saal wanderten, folgten uns permanent hunderte von Blicken kongolesischer Polizisten.

 


Ein Fluss voller Abenteuer
Samstag, 14. August 2004

30 Kilometer außerhalb der Stadtgrenze fängt die afrikanische Savanne an, unendliche Natur in puren Farben, Geräuschen und Gerüchen. Doch bis dahin mussten wir einmal quer durch die Stadt, durch Nebelschwaden aus Ruß, Abgasen, Lärm und das menschlich verursachte Chaos der Verkehrshindernisse.

Ich habe aufgehört mich zu wundern und es schockt mich so langsam nichts mehr: LKWs, die so überladen sind, dass sie schwanken, Menschenmassen, die sich in Kofferräume quetschen wie Sardinen. Reifen, abgefallene Türen und Auspuffrohre auf den Strassen. Fußgänger, Handkarren und jede Menge Müll... und das alles muss sich irgendwie im Slalom über die maroden Pisten schlängeln, wo Schlaglöcher zum Teil einen halben Meter tief sind, da die Strasse irgendwann mal von den Regenmassen davon gespült wurde oder sie noch nie geteert war.

Mit Geländewagen und Klimaanlage ist das alles irgendwie erträglich und seltsam weit weg, weil man die Gerüche, die Hitze und den Lärm nicht so nahe an sich ranlassen muss. Aber auf einer Yamaha XT 600 ohne Helm,...da habe ich mich über mich selbst gewundert, wie wenig mir mein kleines perfektes Leben wohl wert zu sein scheint. Aber irgendwie war es auch wunderbar berauschend.

Nach zwei Stunden Fahrt erreichten wir eine schöne Stelle mit Sandstrand, wo der Zelo in den Kongo mündet. Um den Adrenalinausstoß auf Hochtouren zu halten, stürzten wir uns – staubig und schmutzig wie wir waren – in die reißende Strömung, ohne uns kurz bewusst zu machen, dass es hier eigentlich vor Schlangen, Krokodilen oder ekligen Flussparasiten nur so wimmeln musste. Die erste Panikattacke bekam ich erst, als ich feststellte, dass die Strömung hier nicht ohne Grund als Lebensgefahr ausgeschildert war. Trotz aller Schwimmkräfte wurde ich ziemlich weit abgetrieben.

Ich kam erst am Strand so richtig zu mir, als ich wieder genug Luft hatte, dass mein Gehirn ebenfalls mit Sauerstoff versorgt wurde. Meine Lebensfreude kam wie aus einem Vulkan aus mir herausgeschossen und ich nahm einen gewaltigen Zug davon. Lachend saßen wir am Wasser bis es stockfinstere Nacht war, die Geräusche andere wurden, die nachtaktiven Tiere aus ihren Verstecken krochen und wir wieder ausgelassen genug waren, den anstrengenden Heimweg anzubrechen – durch die afrikanische Nacht, die buchstäblich die schwärzeste ist, die ich bislang gesehen habe.


Literweise AIDS
Sonntag, 15. August 2004

Nach zwei Stunden Schlaf in wirren Träumen, aus welchen man mehrmals schweißgebadet aufwacht, mussten wir auch schon wieder mit der Kamera auf der Matte stehen. Mit flauem Magen besuchten wir am Vormittag die Blutspendezentren in den Slums von Kinshasa, wo die Menschen einen halben Liter ihres Lebens gegen ein Frühstück eintauschen dürfen. Das Früstück besteht aus einer Cola und einem Stück Brot mit Mayonnaise und wird ebenfalls von deutscher Seite finanziert. Wer 10 Mal Blut spendet, erhält ein T-Shirt mit der Aufschrift „je suis un héro“ - und die Menschen tragen die T-Shirts mit Stolz.

Die größten Helden waren für mich heute jedoch die unterbezahlten Ärzte, die wir interviewten. Sie befinden sich auf der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Denn solange die GTZ regelmäßig Aids- und andere Bluttests an die Transfusionsbanken verteilt, ist die Ausbeute relativ gering, der Aufwand enorm und die Wahrheit über die HIV-Quote unerträglich.

Die Dreharbeiten bei brütender Hitze mitten im Staubnebel sind echte Strapazen, der Kraft, Konzentration und eines kühlen Kopfes bedürfen. Hinzu kommt die Verständigung in einer anderen, lange nicht praktizierten Sprache, das Erlernen der zwischenmenschlichen Spielregeln, die andere Kultur und überhaupt das Fremdsein in einer Welt, die man digital getaped, gezoomt und geschwenkt durch die Kameralinse wahrnimmt.

Danach lag ich in meinem Bett und habe wilde Filme geschoben, konnte kein Auge zumachen, spürte immer noch die grelle Sonne auf meinem Kopf. An Schlaf war nicht zu denken bei dem Kino, das sich in mir abspielte. Ich stand auf, schlich durchs Haus und bekam die grausamen Nachrichten von dem Massaker im Nordosten des Landes an der Grenze zu Burundi aus erster Hand über den UNO-Nachrichtenkanal mit. Rebellen haben das Flüchtlingslager der Banyulamenge geplündert und die Kinder und Frauen innerhalb kürzester Zeit niedergemetzelt. Wieder steigt die Zahl der Toten im Kongo nun auf knapp 3,8 Millionen in den vergangenen drei Jahren. Der Sicherheitsrat hat eine Sondersitzung einberufen.

Geboren um zu sterben
Montag, 16. August 2004

Die Zukunft des Landes sind hier im Kongo die Kinder. Doch wer kümmert sich um sie? Wie viele Frauen gibt es in Deutschland, die gerne ein Kind adoptieren würden und von den Behörden alle möglichen Hürden in den Raum gestellt bekommen. Und hier sterben die Kinder, kaum sind sie auf der Welt. Die Babies, die wir heute in der Geburtenstation in einem dieser furchtbar armen Vororte filmten, waren nicht größer als meine Handfläche und die Mädels, die diese hielten waren nicht älter als meine kleine Schwester. Zu früh geborene, kleine und hilflose Geschöpfe, deren junge Mütter mit dem HI-Virus infiziert sind und deswegen ihre Babys nicht stillen können, da das Virus und all die Krankheiten sonst übertragen werden. Also fast keine Überlebenschancen.




AIDS-Problematik in einer Geburtenklinik in Kinshasa
So saßen sie da, in weißen Kitteln und flößten ihren kleinen schwarzen Kids Milchersatzpulver mit dem Löffelchen ein. Als wir mit der Kamera den Raum betraten, blickten sie uns hilflos verzweifelt und flehend an. Sie streckten die kleinen Geschöpfe der Kamera entgegen und forderten uns auf, sie mitzunehmen. Wir hätten doch Geld und Mediziner in Europa, wir sollen doch helfen.

Mein Herz zog sich zusammen, als wir realisierten, dass die Babies fast alle missgebildet waren. Keine Augen, keine Nase, keine Ohren. Ich bekam Panik, dass sie uns bei laufender Kamera wegsterben würden. Und als wir das Material später sichteten, vermuteten wir, dass es bei dem einen kleinen Ding auch der Fall gewesen war. Die Mutter hat es geschüttelt, gezwickt und geschlagen, aber es regte sich nicht mehr.

Der Nachmittag verging, indem wir von einem Blutlabor ins andere fuhren, in welchen die Blutgruppen definiert und auf verschiedene Krankheiten getestet werden. Eine ziemlich sterile Angelegenheit für die Verhältnisse hier. Kameratechnisch aber wirklich eine Herausforderung, denn die weiße Laboreinrichtung im Neonlicht war bereits schlimm für die Blende – die schwarzen Ärzte jedoch mit den weißen Kitteln, da wusste die Kamera bei dieser Nachmittagshitze leider gar nicht mehr, was sie machen sollte. Bilder für die Mülltonne sozusagen, aber schöne Erinnerungen.


Wenn der Regen fällt, reißt er alles mit sich
Dienstag, 17. August 2004

Als ich heute die Ausmaße der Erosion zum ersten Mal vor Augen hatte, wurde mir erst bewusst, wie furchtbar das Problem eigentlich ist. Ich schämte mich fast dafür, dass ich 5 Minuten vorher noch an meine eigenen Bedürfnisse gedacht hatte. Wir standen auf einem Massengrab an Geröllhaufen, der in einer einzigen Nacht mit voller Geschwindigkeit den Hang hinuntergefegt war und knapp 600 Häuser mit sich gerissen hatte. In jedem wohnte mindestens eine Großfamilie. Es war ein Abgrund, der sich vor uns über hunderte von Metern ausstreckte, voller Morast, Müll und Geröll, auf dem die Kinder spielten. Die Lawine hat zudem Strassen, Strom- und Wasserleitungen mit sich gerissen, nun ist das Viertel ohne Infrastruktur.

Wir fuhren den ganzen Tag von einer Gerölllawine zur nächsten, der Anblick steigerte sich – auch wenn ich mir das nicht vorstellen konnte. Die Menschen, die wir interviewten, waren verzweifelt. Man konnte nie wissen, wann auch ihre Hütte mitgerissen würde... sie klagten uns ihr Leid, weinten um Verwandte, Nachbarn und Freunde und hofften auf Hilfe. Doch mehr als Verständnis und etwas Aufmerksamkeit durch eine Kamera kann ich ihnen nicht bieten. Ich will nicht wissen, wie viele Hoffnungen ich heute enttäuschen musste.

Simone Schlindwein / November, Dezember 2004

Fortsetzung folg in Kürze
siehe auch Reisebericht Teil 1

 



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