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Die Fußball-WM als klassisches Drama. Alte Könige und junge Helden, Hofnarren und Chöre


von Malte Olschewski


Einst gefeiert und umjubelt, als Fußballgott beschrieben und als Zauberer verehrt, stehen sie nun plötzlich auf dem grünen Rasen und bekommen nur mehr selten Bälle zugespielt. In einem fulminanten Freistoß und bei seltenen Dribblings leuchtet ihr Herrschaftskönnen noch einmal schwach auf. Sie sind gezeichnet. Aber es kann alt gewordenen Helden in starken Monologen am grünen Rasen auch gelingen, ihre Stellung zu behaupten. Bei jeder Fußball-WM treten neue Hauptfiguren auf, die von den Massen umjubelt werden. Die Rede ist von Ronaldinho und David Beckham, von Zinedine Zidane und Ronaldo, sowie vom deutschen und vom portugiesischen Torhüter.
Die Fußball-WM gleicht mit ihren Gesetzen und mit ihrer Einheit von Zeit, Raum und Handlung einem klassischen Drama. Daher hat sie auch eine so große Anziehungskraft.

Man sieht die Throne stürzen. Man sieht das tiefe Leiden und den Jammer des Protagonisten nach einem fehlgegangenen Torschuß. Es leiden aber auch die Statisten als Ersatzspieler am Rand des grünen Rasens. Zur Erhöhung der Spannung wird wie im Drama oft eine neue Person eingeführt. Ein Ersatzmann stürmt aufs Feld, während ein bisher schwacher Spieler sang- und klanglos abtreten muß. Der Trainer oder Coach ist der Regisseur des Stückes, das sich um das runde Leder entfaltet. Es kommt wie auf der Bühne auch im Stadion zu schweren Kämpfen. Man sieht die Helden =fallen=. Der Schiedsrichter übernimmt in dem Drama die Funktion höherer Mächte. Als neuer Olympier spricht er sein Urteil mit dem Aufblitzen von gelben und roten Karten. Oft bäumt sich der Betroffene wild gegen diese Strafe auf. Doch er fleht und klagt umsonst. Die unparteiische Macht kann auch ein Auge zudrücken. Ein Foul, ein Handspiel oder ein Tritt können durchaus ihrem Blick entgehen. Der Aufschrei der Empörung durch die benachteiligte Partei kann sie nicht erschüttern. Umgekehrt kann schon ein kleiner Rempler ihren Zorn erregen. Unerklärlich und unergründlich sind ihre Entscheidungen. Die verfeindeten Parteien setzen alle Mittel und Tricks ein. Noch nie war die Zahl der begangenen Fouls so groß wie bei dieser Weltmeisterschaft. Der indirekte Freistoß wird als untaugliche Waffe kaum mehr eingesetzt. Man knüpft Intrigen. Die beiden Parteien tarnen und täuschen. Sie bauen Abseitsfallen auf. Es wird mit einer =Schwalbe= ein nicht geschehenes Foul zur Erschleichung eines Strafstoßes vorgetäuscht.

Die Formen der antiken Tragödie bei Aeschylus, Sophokles und Euripides sind auch auf dem grünen Rasen erkennbar. Die Zuschauer stellen den Chor dar, der die Handlung kommentiert und begleitet. Die von den Rängen donnernden Choräle wollen die Helden anfeuern und den Feind verspotten. Böse Taten werden vom Zuschauerchor mit einem Pfeifkonzert geahndet. Man will auch keine Verzögerung oder ein langsameres Tempo hinnehmen. Die Handlung muß ständig vorangetrieben werden. Wird der Ball zum Tormann zurückgespielt, so erklingt ein Konzert der Ablehnung. Ist eine Mannschaft eindeutig überlegen und gelingt ihr kein Treffer, so steigt die Spannung bis zur Katharsis eines gelungenen Schusses: Bis zur Reinigung der Gefühle durch das verdiente Tor.

Die Medien sind in diesem Drama die Hofnarren. Das Mikrophon hat die Narrenkappe ersetzt. Laut schnatternd müssen sie über etwas reden und berichten, über das es eigentlich nicht viel zu sagen gibt. Es wird erklärt, was eigentlich nicht erklärt zu werden braucht. Das Offenkundige und Sichtbare wird mit Redundanz umrankt. Sag das große Zauberwort! Verrat uns das Rätsel! Warum hat Eure Mannschaft gewonnen? So drängen die Hofnarren auf die Helden ein. Daher sind als Antwort auch sehr oft die schönsten Tautologien zu hören: =War haben gewonnen, weil wir die besseren waren!....Ich habe geschossen, weil ich schießen mußte...==

Die Triumphgesten des Torschützen sind ebenso der Bühne entnommen wie die Rituale der Gratulation. Leider fallen bei einer solchen Weltmeisterschaft immer weniger Tore. Die Spitzenteams sind alle gleich gut. Wie im Drama entscheiden hier oft das Glück oder die höheren Mächte. Wogen die Kämpfe hin und her und will kein entscheidendes Tor gelingen, so kommt es zum Zweikampf der Helden vor der angetretenen Heerschar: Zum Elfmeterschießen. Und das entscheidende Tor ist wie ein Schwertstreich vor dem Fallen des Vorhangs. Geschlagen und verwundet liegen die Opfer am grünen Rasen. Und die Sieger tosen im Ritual des Triumphes. Die Niederlage in der Tragödie sei der durch Poesie erhöhte Schmerz, hieß es bei den alten Griechen. Sie wußten auch, daß die Fügung in das Unvermeidbare einen tieferen Sinn haben kann.

Malte Olschewski - red. / 2. Juli 2006
ID 2511


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