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Repertoire

Scheitern an

Gott und

der Welt


KARL V. von Ernst Krenek


Karl V. an der Bayerischen Staatsoper | Foto (C) Wilfried Hösl

Bewertung:    



Als der riesige Vorhang des Münchner Nationaltheaters aufgeht, erscheint das Jüngste Gericht von Tizian als überdimensionale Videoprojektion. Dazu zählt Mechthild Großmanns markant dunkle Stimme aus dem Off die endlose Reihe von Titeln auf, die Karl V. trug. Er war der letzte von einem Papst gesalbte Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Als sich eine Figur an der Wand zu bewegen beginnt, wird klar: ein lebendes Bild. Es befindet sich in Auflösung. Auch der riesige Lüster, der von der Decke hängt, ist in Wirklichkeit ein Menschenknäuel. Er löst einen Sturzbach von Wasser aus, der das, was einmal war, einfach hinwegspülen wird: das Reich Karls V., in dem die Sonne nicht unterging.

Der historische Karl V. hat den Komponisten Ernst Krenek fasziniert. Karl war ein Herrscher, der das Abendland im Zeichen des Christentums zusammenhalten wollte. Dabei kämpfte er mit vier ideologischen Gegenspielern: mit dem Nationalismus Frankreichs, mit Luther und der zerfallenden Glaubenseinheit, mit dem politischen Papsttum und schließlich mit der äußeren Bedrohung durch die Osmanen, dem Islam. Zerfallen würde das Reich jedoch von innen. So wie es Karls Mutter Johanna, die Wahnsinnige, prophezeit hat. Sie gab ihrem jungen Sohn einen verwurmten (Reichs-)Apfel.

Die Parallelen zur Gegenwart liegen auf der Hand. In Europa ist der Wurm drin, im Staatschristentum sowieso, und auch auf der Straße wollen viele Deutsche vor allem deutsch sein und keine Weltbürger. Massenszenen der Landsknechte erinnern an Pegida-Aufmärsche.

Karl stellt sich im Verlauf der Oper in einer großen Beichte Tizians Bild und damit einem vorgezogenen Jüngsten Gericht. Die Stationen seines politischen und privaten Lebens ziehen an ihm vorbei, während er sie im Dialog mit einem jungen Mönch, seinem Beichtvater, debattiert. Er weiß um sein persönliches Ende, er weiß, dass er auch sein Werk nicht vollenden konnte. Und er weiß, dass seine Welt den festen Boden unter den Füßen längst verloren hat. Konnte er wirklich noch auf die Einheit des Glaubens als politische Klammer setzen? Hat er richtig gehandelt, als er Luther laufen ließ? War es naiv zu glauben, er könne den französischen König, seinen Rivalen, durch eine politische Ehe mit der eigenen Schwester friedlich stimmen? Hätte er das Gold aus Übersee nicht verteilen müssen, statt es für seine Einigungskriege zu verbrauchen?

Konsequenter Weise steht die Bühne von Anfang an unter Wasser, Spiegel und glitschige Ursuppe. Mittendrin dieser Karl, ein Hühne von Gestalt, in einem kurzen Hemdchen, das ihn kaum kleiner macht. Drauf ist ein Zifferblatt gemalt, das im Strudel der Zeit versinkt. Karl, ein in sich zusammenfallender Monomane, der zukunftsweisend auf Toleranz und Verständigung setzt und scheitern muss, weil er damit ganz allein ist - und ein Diktator. Am Ende, seinem Tod, rückt seine denkmalhafte Gestalt aufrecht in den Hintergrund. Ganz vorne vor der ersten Zuschauerreihe steht buntes Volk, als ob es gleich ins Publikum drängen wollte und die Plätze übernehmen.

Ernst Krenek, in Wien 1900 geboren und vor den Nazis in die USA geflüchtet, textete und komponierte die Oper in den 1930er Jahren. Es war sein erster Versuch mit gleichberechtigten Zwölftonreihen (ein musikalisches wie politisches Glaubensbekenntnis) und zugleich die erste große Oper in Zwölftonmusik. Als unerfahrene/r Konsument/in muss man sich einhören, aber es lohnt sich: Sprechgesang wechselt mit arienhaften Passagen, fließende Übergänge, wunderbare Chorpassagen, feinnervige, oft überraschende Instrumentierungen, die im zweiten, intimeren Teil, fast kammerspielartig wirken, mitreißende Finali.

Dazu großartige Sängersolisten wie Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Franz I., Gun-Brit Barkmin als Karls Schwester Eleonore oder auch Janus Torp als Beichtvater. Allen voran natürlich der umjubelte Däne Bo Skovhus in der höchst anspruchsvollen Titelpartie. Die ist eine großartige Rolle für einen Bariton, diese Lage zwischen Tenor und Bass. Sie wird in der Tradition der Oper oft für ältere Männer verwendet, die noch vor Kraft strotzen, aber an ihre Grenzen gekommen sind (wie bei Verdis Falstaff oder Alban Bergs Wozzeck).

Was diese späte Wiederaufführung (das letzte Mal wurde Karl V. in München 1965 gespielt) jedoch so unwiderstehlich macht, ist die Inszenierung von La Fura dels Baus, dieser furiosen Straßentheatertruppe aus Katalonien. Regisseur Carlus Padrissa hat als Kontrapunkt zu dem staatstragenden Individuum Karl V. höchst wirkungsvolle Massen- und Gruppenszenerien erdacht, die sich passend zu Musik und Handlung dauernd verändern. Die wenigen Requisiten, zwei Säulen und vor allem mehrere riesige Spiegelwände brechen alle Sicherheiten und werden geschickt variiert. Wer immer noch glaubt, dass Videoinstallationen nicht in die Oper gehören, wird eines Besseren belehrt: aus Tizian wird abstrakte Kunst, Bildteile werden zu Tierkreiszeichen, zum blutigen Stundenglas, zur über die Meere drängende Menschheit. Akrobaten fallen davor vom Himmel, wälzen sich in den Orgien des französischen Hofes, quetschen sich als geschundene Sklaven in enge Käfige und turnen über die Stuhlreihen mitten ins Publikum hinein. Die Mitglieder von La Fura dels Baus könnte auch ein spätmittelalterlicher Kaiser wie Karl nicht aufhalten. Vielleicht würde er das auch nicht wollen. Denn sie entsprechen seinem geschichtlich verbürgten, lateinischen Motto: Plus Ultra. Zu deutsch: immer weiter.

Eine moderne, politische Oper, ja, ein Gesamtkunstwerk, das man gehört und gesehen haben muss!



Karl V. von Ernst Krenek an der Bayerischen Staatsoper | Foto (C) Wilfried Hösl

Petra Herrmann - 22. Februar 2019
ID 11240
KARL V. (Nationaltheater München, 21.02.2019)
Musikalische Leitung: Erik Nielsen
Inszenierung und Bühne: Carlus Padrissa - La Fura dels Baus
Bühne, Kostüme und Video: Lita Cabellut
Spezialeffekte: Thomas Bautenbacher
Chor: Stellario Fagone
Dramaturgie: Benedikt Stampfli
Besetzung:
Karl V. ... Bo Skovhus
Juana  ... Okka von der Damerau
Eleonore ... Gun-Brit Barkmin
Ferdinand / Ein Anhänger Luthers ... Dean Power
Isabella ... Anne Schwanewilms
Francisco Borgia ... Scott MacAllister
Franz I.  ... Wolfgang Ablinger-Sperrhacke
Frangipani / Hofastrolog / Pizarro ... Kevin Conners
Luther ... Markus Eiche
Sultan Soliman ... Peter Lobert
u.v.a.
Chor der Bayerischen Staatsoper
Bayerisches Staatsorchester
Premiere an der Bayerischen Staatsoper: 10. Februar 2019
Weitere Termine: 23.02. / 14.07.2019


Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsoper.de


Post an Petra Herrmann

petra-herrmann-kunst.de

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