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Spiel´s noch

einmal, Giacomo



Meyerbeers Dinorah am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz | Foto (C) Marlies Kross

Bewertung:    



Eine Theaterregel, die durch alle Jahrhunderte hinweg Gültigkeit besaß und noch immer besitzt, lautet: Wenn dir nichts mehr einfällt, dann schickst du Kinder oder Tiere an die Rampe. Giacomo Meyerbeer hat in seiner letzten vollendeten Oper gleich beides gemacht: In Dinorah ou Le pardon de Ploërmel tauchen sowohl Blumen streuende Kinder als auch eine Ziege mitsamt bimmelndem Glöckchen auf. Sicherheitshalber ist auch noch ein Kobold dabei. Und ein Zauberer. Und nicht nur ein Gewitter, nein, gleich zwei. Es gibt in dieser Opéra-comique von vielerlei Dingen zu viel, was einem völlig schnurz sein könnte, wenn es sich nicht auch um Wiederholungen handeln würde.

Denn offenbar fand Meyerbeer seine Partitur so toll, dass er sie mit Reprisen regelrecht zugeschüttet hat. Passend dazu durchläuft das Libretto von Jules Barbier und Michel Carré systematisch die Gebetsmühle. Keine Ahnung, ob die Vorlage (Carrés fünfaktiges Schauspiel Les Chercheurs de Trésor) ein Mehr an Handlung hergegeben hätte: Die Story der Vertonung wirkt jedenfalls eher wie eine Kurzgeschichte, die mittels dieser Loops auf ein abendfüllendes Format gezogen wurde. Worunter wiederum Dramatik und Dramaturgie leiden, sprich: es klaffen riesige Spannungslöcher.

An dieser Stelle könnte, sollte, müsste eine gut geölte Regiewalze zum Einsatz kommen, um derartige Löcher auszubessern, so gut es eben geht, doch Geertje Boeden, die das Werk jetzt am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau in Szene gesetzt hat, tappt gleichfalls in die Monotonie-Falle. Das beginnt mit dem vollgemüllten Schlammlawinen-Abhang (Ausstattung: Olga von Wahl & Carl-Christian Andresen), auf den man geschlagene drei Akte starren muss, geht über emsige Schattenspielereien mit Ziege & Co. bis hin zu einer nicht sonderlich ausgefeilten Personenführung. Dabei legt Boeden mit der visuell aufgepimpten Ouvertüre (Video: Aron Kitzig) einen verheißungsvollen Start hin. Auch der mit einem Dudelsack angedeutete Geschlechtsakt zwischen Dinorah und Corentin ist ein klug umgesetzter Einfall, frei von jedweder Peinlichkeit oder Provokation. Es hätte jedoch mehr solcher Ideen bedurft, um zu kaschieren, dass dieses veroperte Schäferspiel - selbst in der hier zusammengestrichenen Form mit zweieinhalb Stunden Spieldauer - einfach zu lang ist.

Wie simpel wäre es, das Stück als langweilig, wenn nicht gar belanglos abzutun, wäre da nicht die großartige Musik. Abgesehen von den überflüssigen Schleifen: Meyerbeers Komposition ist überaus kontrastreich, von faszinierender Farbigkeit und effektvoller Theatralik. Sie umschmeichelt, verführt, berauscht. Ewa Strusińska hat die Rarität zur Sache einer Musikchefin erklärt, die sie seit 2018 ist, und kann mit ihrem Dirigat nichts Geringeres als einen Sensationserfolg verbuchen. Unter dem energischen Zugriff ihrer Generalmusikdirektorin zaubert die Neue Lausitzer Philharmonie einen wohlklingend warmen, dynamisch-saftigen Sound hervor.

Gleiches gilt für die Partien: Was Meyerbeer den Solisten hier in die Kehlen geschrieben hat, ist atemberaubend - und verdammt schwer zu singen. Die stimmlichen Anforderungen sind durchaus mit denen des italienischen Belcanto vergleichbar, was am deutlichsten bei der Titelheldin herauszuhören ist. Die Sängerin der Dinorah muss große Bögen spinnen, Koloraturkaskaden abfeuern und halsbrecherisch hohe Spitzentöne platzieren. Es grenzt fast an ein Wunder, dass diese Rolle aus dem hauseigenen Ensemble besetzt werden konnte. Jenifer Lary gehört diesem seit 2017 an, aber selten dürfte sie so gut gewesen sein, so eins mit sich und ihrem jugendlich frischen, makellos intonierenden Sopran wie an diesem Nachmittag, als Dinorah. Alle im Saal haben das begriffen - und jubeln, klatschen, trampeln gar. Zur nächsten Saison wechselt Lary ans Theater Heidelberg. Ihre Stimme wird sie noch an ganz andere Orte tragen, da bin ich mir sicher.

Ji-Su Park als Hoël und Thembi Nkosi als Corentin, beide absolut souverän, sowie der Opernchor vervollkommnen eine bestens präparierte Besetzung.

Trotz aller Einwände gegen das Werk: Hinfahren!



Meyerbeers Dinorah am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz | Foto (C) Marlies Kross

Heiko Schon - 26. November 2019
ID 11848
DINORAH (Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz, 24.11.2019)
Musikalische Leitung: Ewa Strusińska
Inszenierung: Geertje Boeden
Ausstattung: Olga von Wahl und Carl-Christian Andresen
Video: Aron Kitzig
Choreografie: Dan Pelleg und Marko E. Weigert
Dramaturgie: Ivo Zöllner
Choreinstudierung: Albert Seidl
Musikalische Einstudierung: Olga Dribas und Franceso Fraboni
Besetzung:
Hoël … Ji-Su Park
Dinorah ... Jenifer Lary
Corentin ... Thembi Nkosi
TänzerInnen, Opernchor und Kinderstatisterie des Gerhart-Hauptmann-Theaters Görlitz-Zittau
Neue Lausitzer Philharmonie
Premiere war am 16. November 2019.
Weitere Termine: 29.11., 06.12.2019 // 19.01. / 10.04.2020


Weitere Infos siehe auch: https://www.g-h-t.de/


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