Stuttgarter Erstaufführung
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Quadrat
und Kegel
ONE OF A KIND beim Stuttgarter Ballett
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One of a Kind von Jiří Kylián | (C) Stuttgarter Ballett
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Bewertung:
Die Tänzerin Miriam Kacerova betritt von der ersten Reihe des Zuschauerraums aus einen schmalen Steg, der über den Orchestergraben auf die Bühne führt. Sie scheint zu torkeln, verrenkt ihre Glieder, bis ihr andere Solisten nach und nach zur Seite stehen, ohne so recht Kontakt zu ihr aufzunehmen. Im Orchestergraben und später auf der Bühne sitzt der Cellist Francis Gouton, der seinerseits das Playback der flächigen, dann wieder heftig bewegten Auftragskomposition des australischen Komponisten Brett Dean, die mit Madrigalen von Gesualdo und allerlei sehr unterschiedlichen Anleihen vermengt wird, live begleitet. In Stuttgart hatte das abendfüllende Ballet One of a Kind von Jiří Kylián Premiere.
Das Stuttgarter Ballett vergisst seine verlorenen Söhne nicht. Kylián hat seine steile Karriere bei John Cranko begonnen. 1975 wurde er Direktor des renommierten Nederlands Dans Theaters. Jetzt ist der mittlerweile 72jährige an den Neckar zurückgekehrt, um One of a Kind einzustudieren. Es wurde zu einem fulminanten Erfolg. Acht Minuten standing ovations – das ist selbst beim ballettnärrischen Stuttgarter Publikum nicht alltäglich.
Das Ballett gliedert sich in drei Akte. Selbst zwischen den Akten bleiben Tänzerinnen und Tänzer wie improvisierend auf der Bühne, während die Umbauten bei geöffnetem Vorhang stattfinden. Atsushi Kitagawaras Bühnenbild beschränkt sich auf wenige Elemente: einen expressionistisch-abstrakten Hintergrund wie aus dem Cabinet des Dr. Caligari, ein auf der Spitze stehendes gewelltes weißes Quadrat und ein kreisender, von oben sanft beleuchteter Kegel, drei ins Nichts mündende schwarze Treppen im Hintergrund.
One of a Kind ist zwar abendfüllend, aber kein Handlungsballett. Es ist 1998 im Auftrag des Niederländischen Innenministeriums zum 150. Jahrestag der Verfassung entstanden. Diesen Zusammenhang entnimmt man allerdings nur dem Programmheft. Auf der Bühne wird er kaum erkennbar. Die Choreographie reiht Figuren und Konstellationen des klassischen Balletts an einander, die sich zur Musik nicht simulatorisch, sondern kontrapunktisch verhalten. Gerade diese Spannung zwischen Sicht- und Hörbarem macht die faszinierende Einheit des Abends aus, und man fragt sich, ob die üblich gewordene Praxis der anthologischen Zusammenstellung von Vorgefundenem aus der (Pop)Musik nicht doch einen Verlust bedeutet.
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One of a Kind von Jiří Kylián | (C) Stuttgarter Ballett
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Thomas Rothschild – 23. Februar 2019 ID 11242
ONE OF A KIND (Opernhaus Stuttgart, 22.02.2019)
mit Musik von Brett Dean, Carlo Gesualdo da Venosa, David Hykes, Frame-Cut-Frame, Benjamin Britten, Chiel Meijering, David Lumsdaine und John Cage
Choreographie: Jiří Kylián
Bühnenbild: Atsushi Kitagawara
Kostüme: Joke Visser
Licht (original): Michael Simon
Licht (Neugestaltung): Kees Tjebbes
Stuttgarter Ballett
Uraufführung beim Nederlands Dans Theater war am 6. Mai 1998.
Stuttgarter Erstaufführung war am 22. Februar 2019.
Weitere Termine: 26.02. / 02., 03., 09., 10., 16., 19., 23., 30., 31.03. / 27.07.2019
Weitere Infos siehe auch: https://www.stuttgarter-ballett.de
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