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Auf der Toteninsel

Die Berliner Philharmoniker spielten Rachmaninow

Bewertung:    



Eigentlich wollten Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker heute und an den zwei vorangegangenen Abenden die sehr selten gespielte Rachmaninow-Oper Francesca da Rimini aufführen, was dann allerdings wegen Corona (v.a. aber wegen jenes diesbezüglich anhaltenden "Chor-Verbots") nicht klappte; sowieso bleibt die Philharmonie bis Ende März fürs Publikum geschlossen, und es ist auch nicht ganz sicher, ob die alternativen Livestream-Konzerte weiter so laufen können, wenn es (höchstwahrscheinlich) ab nächster Woche einen noch verschärfteren Lockdown geben wird.

Zwei Tschaikowski-Ouvertüren und Rachmaninows symphonische Dichtung Die Toteninsel (als Ersatz für die ungespielte Oper) standen in der DIGITAL CONCERT HALL aktuell auf dem Programm; und wir verfolgten das vorhin am Rechner.



Insbesondere zur Toteninsel stießen wir, in dem Zusammenhang, auf einen triftigen und schönen Text von Olaf Dittmann, den er anlässlich einer Aufführung der Symphoniker Hamburg schrieb:

Die sog. Totensequenz "sind nur vier Töne. Zunächst führt eine Sekunde hinab; dann wieder zum Ausgangston hinauf; und schließlich eine Terz hinunter. Vier Töne. Eine kaum bemerkenswerte Miniatur. Doch dieses kurze Motiv bedeutet für die Christenheit etwas Gewaltiges. Denn diese vier Töne, die nicht nur Sergei Rachmaninow überdeutlich in seiner Toteninsel benutzt, markieren den Beginn des gregorianischen Hymnus' über das Jüngste Gericht als Teil der Totenmesse. Der Text dazu lautet 'dies irae' - Tag des Zorns. An diesem Tag entscheidet sich, ob der Einzelne in den Himmel gelangt oder nicht. (Für alle, die dies als mittelalterlich abtun: Es ist ja nur ein paar Generationen her, dass unsere Vorfahren dachten, dieser Tag stehe unmittelbar bevor.) Die Frage ist nun: Dürfen wir an diesem Tag alle Mensch sein? Oder gerade nicht?

[...]

Auf dem Gemälde Die Toteninsel, das Arnold Böcklin in den 1880er-Jahren in fünfacher Ausführung malte, sieht man eine schroffe, felsige Insel mit Trauerzypressen und Grabkammern. Auf die Insel steuert ein Boot mit Ruderer, umhüllter Todesfigur und Sarg zu. Ein düsterer Wolkenhimmel nimmt den Hintergrund ein. Sergei Rachmaninows 1909 entstandene symphonische Dichtung ist ausdrücklich von dem Bild beeinflusst. Das hört man: In der langsamen Lento-Einleitung sind quasi Ruderschläge zu vernehmen. Und zwar in einem ungewöhnlichen 5/8-Takt: Eins-zwei, eins-zwei-drei.

Was macht ein solches Metrum mit uns? Wir geraten beim Hören eines solchen Fünfertaktes ins Stolpern. Natürlich wirkt das Schleppende dieses Beginns wie ein Trauermarsch. (Das kennt man von Tschaikowsky oder Mahler.) Doch Rachmaninows Tonkunst geht darüber hinaus. Seine aufsteigenden Linien brechen immer wieder ab. Nur vereinzelt klart der Himmel auf. Und dann eben das kurze Dies-irae-Motiv, das die lebenden und toten Personen im Boot immer wieder daran erinnert, was nun bevorsteht. Als Gegensatz dazu taucht zwar ein lyrisches Dur-Thema auf, doch es versinkt wieder. Während 20 Minuten entwickelt Rachmaninow einen starken Sog; niemand kann sich von der Toteninsel entfernen. Letztlich verklingt das Werk ähnlich verschleiert wie es begann."


(Quelle: Olaf Dittmann, Mensch sein vorm Jüngsten Gericht; symphonikerhamburg.de)




Die Toteninsel von Arnold Böcklin lieferte Sergej Rachmaninow Anlass und "Vorlage" für seine gleichnamige symphonische Dichtung | Screenshot des Live-Streams der Berliner Philharmoniker auf DIGITAL CONCERT HALL v. 16.01.2021


*

Je tiefer man sich in den Klangsog dieser Toteninsel ziehen lässt, umso diverser werden Bilder und Geschichten, die die Szenerie, die sich urplötzlich von dem Böcklin löst, verselbständigen:

An dem abweisenden Orte angelangt, suchte der Bootsmann eine Stelle, wo er hätte anlegen und ankern können; schließlich macht er seinen Kahn irgendwie fest und schickt sich an die Steinlandschaft, inmitten der die Nadelbaumspitzen wie Wächter riesenhaft emporragen, nach Wegemöglichkeiten zu erkunden; jene Grabkammern, wonach er suchte, liegen viel zu hoch. An welchem Aussichts- oder Einsichtspunkt würde der Atem zur Erhabenheit? wo wäre nun der ideale Platz zum Übertritt?? wohin mit ihm???

Die Toteninsel endet wie sie anfing - vollkommen im Dunst.

Ende und Anfang, einerlei.


Andre Sokolowski - 16. Januar 2021
ID 12696
BERLINER PHILHARMONIKER (Philharmonie Berlin, 16.01.2021)
Peter Tschaikowsky: Romeo und Julia, Fantasie-Ouvertüre nach Shakespeare
Sergej Rachmaninow: Die Toteninsel, Symphonische Dichtung op. 29
Tschaikowsky: Francesca da Rimini, Orchesterfantasie op. 32
Berliner Philharmoniker
Dirigent: Kirill Petrenko
Live-Stream auf der DIGITAL CONCERT HALL v. 16.01.2021


Weitere Infos siehe auch: https://www.digitalconcerthall.com/


http://www.andre-sokolowski.de

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