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Performance

Friederike Mayröckers Requiem für Ernst Jandl mit der Musik von Lesch Schmidt als Gastspiel des Burgtheaters Wien am Berliner Ensemble



Dagmar Manzel im Requiem für Ernst Jandl - Foto (C) Reinhard Werner, Burgtheater Wien

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Friederike Mayröcker, eine der wohl bekanntesten österreichischen Schriftstellerinnen und Lyrikerinnen, ist Ende letzten Jahres 90 Jahre alt geworden. Am 20. Dezember hat ihr zur Ehren das Wiener Burgtheater ihr 2001 entstandenes Requiem für Ernst Jandl bei einer Feierstunde im Akademietheater aufgeführt. Mit dem Dichter Ernst Jandl verband die Mayröcker eine über 50jährige sehr innige Lebens- und Arbeitspartnerschaft. Zwar die meiste Zeit örtlich getrennt (beide lebten in eigenen Wohnungen, um sich besser auf ihre Arbeit konzentrieren zu können), bestand trotzdem ein reger, inspirierender Meinungsaustausch, der die beiden in ihrer dichterischen Arbeit beflügelte.

Bereits 2010 zum 10. Todestag Ernst Jandls hat der ORF das Hörspiel Will nicht mehr weiden. Requiem für Ernst Jandl mit Jutta Lampe als Sprecherin und einer eher klassisch strengen Musik des Komponisten und Organisten Martin Haselböck aufgenommen. Hier ist auch klanglich der Requiem-Charakter stark betont. Mit Chris Pichler und Martin Schwab wurde das Werk dann auch auf CD eingespielt. Man kann diese zum Vergleich heranziehen, muss man aber nicht. Am Burgtheater ist nun ein ganz anderes Werk mit einer von Lesch Schmidt (dem Komponisten und Bruder der Suhrkamp-Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz) ebenfalls originär für diesen Text geschaffenen Musik entstanden, die nicht nur versucht die Rhythmik des poetischen, sehr bildstarken („das HUSCHEN der Stille“) Prosatextes der Mayröcker neu zu interpretieren, sondern sich auch am Lebenspuls des Dichters Ernst Jandl mit seiner experimentellen Lyrik orientiert, die ebenfalls einem ganz eigenen Sprachrhythmus folgt.

Ernst Jandl hat, wie Friederike Mayröcker, neben seinem dichterischen Werk auch als Hörspielautor gearbeitet. Aufnahmen seiner unnachahmlichen Lesungen, die zu einem wichtigen Bestandteil seines Wirkens als Sprach- und Klangkünstlers gehörten, sind mittlerweile legendär und auf etliche Tonträger gebannt. Mit der LP him hanflang war das wort oder dem BBC-Hörstück 13 Radiophone Texte & das röcheln der mona lisa ist Ernst Jandl zu einem regelrechten Klassiker der Sound-Poetry geworden. Was wiederum vor allem Jazz-Musiker zu Wort- und Klang-Experimenten mit Jandls Gedichten inspirierte. Jandl ist immer ein großer Fan des Jazz und Bebob gewesen. Mit seinen Dialektgedichten, den "stanzen", wandte er sich sogar der österreichischen Volksmusik zu. Auch Rap und Poetry-Slam waren ihm nicht fremd. Ja, Jandl ist mittlerweile Pop. In Österreich ist er Schulstoff, jeder kennt mindestens ein Gedicht von ihm, und wenn es nur ottos mops ist.

Diesem Sprechgedicht mit dem Jandl eigenen Humor widmete Friederike Mayröcker 1976 einen kleinen Prosatext. Er ist im Suhrkamp-Bändchen Requiem für Ernst Jandl enthalten. Sie würdigt darin „die sprachliche Auseinandersetzung des Autors mit einem Vokal“. Das „hohe Lied vom O, vom O-Tier, vom O-Gott“ usw., als geglückte Verwandlung „von der Liebe zum Vokal zur Wirklichkeit des Bilds; vom Glauben an das O zur Offenbarung Poesie“. Daraus spricht nicht nur die Liebe zum Autor als Wort-Schöpfer und Poet, sondern auch als Herzensmensch, ihrem „HAND- und HERZGEFÄHRTEN“, wie sie Jandl im Requiem auch nennt.

*

Für die szenische Einrichtung des Requiems durch den Dramaturgen des Berliner Ensembles Hermann Beil, die am Sonntag auch im BE gastierte, hat Friederike Mayröcker den Text selbst eingesprochen. Ihre brüchige Stimme mit dem noch immer markant rollenden R kommt vom Band. Der Text, der kurz nach dem Tod Ernst Jandls entstand, ist ihr wie „schwarze Tränen“ aus der Feder geronnen. Sie spricht im Klageton: „jammervoll, erbärmlich ist der Tod“, hält Zwiesprache mit Dichterfreunden wie Adolf Muschg oder Elke Erb und beschreibt immer wieder eindrücklich zärtlich den auf dem Totenbett liegenden Jandl, will sich gar in seine Nachtwäsche verweinen. In Erinnerung an gemeinsame Reisen nach Meran kommen der Mayröcker Naturbilder („Wann werden wir ein Loch in den Himmel machen?“) und vergangene Düfte in den Sinn. Trost ist ihr die Vorstellung mit ihrem „HERZ- und LIEBESGEFÄHRTEN“ weiter Gespräche führen zu können und vermutlich sogar Antworten erwarten zu dürfen.

Diesen Text in ein passendes Klanggewand zu kleiden, der seine Pathetik auffängt und entsprechend transportiert, ist Aufgabe der Musik, die Lesch Schmidt als einen eher locker swingenden Jazz anlegt, der die Schwere der Sätze etwas konterkariert und eine Hommage an den Musikgeschmack Jandls sein soll. Der Komponist sitzt selbst am Klavier, begleitet von Violine (Nikolai Tunkowitsch), Saxophon (Dirko Juchem), Tuba (Alexander Rindberger) und gedämpftem Schlagzeug (Manni von Bohr). Dazu steuert die Schauspielerin und Sängerin Dagmar Manzel ein paar Vokalimprovisationen bei. Immer dann, wenn Alexander Rindberger zum Bass wechselt, kommt auch etwas mehr Druck in den Sound. Die Manzel kann weitere stimmliche Akzente beim Singen von ein paar zusätzlich ausgewählten Gedichten (Knöpferauschen, und Attersee, oder Vermont, an Ernst Jandl und dieser graue grimme grimmige ich meine Wolf…) Friederike Mayröckers setzen. Das soll improvisiert wirken, was mal mehr und mal weniger gut aufgeht.

Dagmar Manzel swingt und singt souverän mit. Lässig lässt sie die Sätze und Textblätter vom Notenständer fallen. Auch sonst hebt hier nichts wirklich ab. Eine ganz bodenständig ordentliche Leistung des Ensembles um Lesch Schmidt. Das wirkt zunächst recht erhaben durch den ruhigen, akademischen Duktus des Mayröcker-Vortrags, aber auch auf Dauer ein wenig einschläfernd. Per Video werden im Hintergrund Fotos von Mayröcker und Jandl aus verschiedenen Lebensphasen des Dichterpaars eingeblendet, mal auf sie, mal auf ihn fokussiert. Sie wirken da so selbstverständlich untrennbar verbunden wie die siamesischen Zwillinge der österreichischen Literatur. So plätschert es dann gut eine Stunde dahin. Dabei kann man sich wunderbar in den Worten und intimen Gedanken („Eigentlich habe ich nur eine Innensprache.“) der Mayröcker verlieren oder die eigenen schweifen lassen. Die Musik stört nicht. Mit dem schrägen Wortwitz und sperrigen Sprachklang eines Ernst Jandl hat diese Performance mit ihrem zuweilen einlullenden Kaffeehaus-Jazz allerdings eher wenig zu tun.



Requiem für Ernst Jandl - Foto (C) Reinhard Werner, Burgtheater Wien

Stefan Bock - 13. Januar 2015
ID 8358
REQUIEM FÜR ERNST JANDL (Berliner Ensemble, 11.01.2015)
Text von Friederike Mayröcker
Musik von Lesch Schmidt
Einrichtung: Hermann Beil
Mit: Dagmar Manzel
Musiker: Dirko Juchem, Alexander Rindberger, Lesch Schmidt, Nikolai Tunkowitsch und Manni von Bohr
Premiere im Wiener Akademietheater war am 20. Dezember 2014
Gastspiel am BE


Weitere Infos siehe auch: http://www.burgtheater.at


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de



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