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Opernkritik

Alles ein

großer Spaß



Falstaff an der Oper Köln - Foto (C) Paul Leclaire

Bewertung:    



Vorwitzig ragt eine Bühnenecke Richtung Zuschauer. Mit ihrem Holzfußboden sieht die Spielfläche, die für Falstaff ins Staatenhaus in Köln gebaut wurde, tatsächlich aus wie eine Shakespearebühne. Nur stehen die Zuschauer nicht dicht gedrängt um diese Bühne herum, sondern sitzen gesittet mit ein bisschen Abstand in schwarzen Stuhlreihen davor. Vollständig gefüllt sind diese Reihen und somit ein Zeichen dafür, dass Falstaff in der Regie von Dietmar Hilsdorf ein Publikumsrenner ist. Das hat auch gute Gründe, denn Hilsdorf und sein Team auf und hinter der Bühne zelebrieren Verdis letzte Oper genuss- und sinnesfroh – und damit vermutlich ganz im Sinne der Hauptfigur.

Diese – Sir John Falstaff – begeisterte seinerzeit schon Queen Elizabeth I., und so gab es für ihn, der zunächst eine Nebenrolle im ersten Teil von Shakespeares Heinrich IV. hatte, in Die lustigen Weiber von Windsor eine Hauptrolle. Dass es Falstaff nicht an Selbstbewusstsein mangelt, macht Lucio Gallo von der ersten Sekunde an deutlich. Obwohl das Haupthaar schon schütter ist und der Bauch unübersehbar, hält sich Falstaff für unwiderstehlich und versucht, gleichzeitig zwei Frauen für sich zu gewinnen. Die Gründe sind profan: Er braucht Geld. Die Damen, zunächst empört über identische Liebesbriefe, die sie erhalten, nehmen die Herausforderung an und wollen Falstaff eine Lehre erteilen. Dann funkt noch der Mann der einen, der hochgradig eifersüchtige Ford, dazwischen und fertig ist das zweieinhalbstündige Spektakel. Zu guter Letzt schließen sich alle zusammen, um Falstaff am Gängelband durch die Manege zu führen. Dieser trägt es mit Humor und macht gute Miene zum bösen Spiel. „Tutto nel mondo è burla!“, lautet sein launiges Schlussfazit: „Alles auf Erden ist Spaß!“

Lucio Gallo ist Dreh- und Angelpunkt des Abends und er erweist sich – im besten Sinne – als absoluter Glücksgriff für die Titelrolle: Gallo hat sichtbarer Spaß am Spiel, an der Figur und an der Schmierenkomödie und ist dazu ein herausragender Sänger. In Windeseile wickelt er das Publikum um den Finger und hält es bis zum Ende im Bann. Spielfreudig zeigt sich auch der Rest des Ensembles. Natalie Karl (Alice Ford), Adriana Bastidas Gamboa (Meg Page) und Dalia Schaechter (Mrs. Quickly) geben ein reizendes Triumvirat ab, das Falstaff in die Falle locken will, Nicholas Pallesen ist ein noch recht jugendlich und sehr überzeugend eifersüchtiger Ford mit enormer stimmlicher Durchsetzungskraft und Dr. Cajus bei Martin Koch von der ersten Szene an der klassische Verlierertyp, der aber zumindest am Ende ein wenig Trost von seiner versprochenen Braut Nannetta erhält, die sich nichtsdestotrotz gegen ihn entscheidet. Ralf Rachbauers Bardolfo und Lucas Singers Pistola sind von den Intrigen überfordert, die sie spinnen, und fühlen sich doch nur bei Falstaff am wohlsten, wo sie sich ganz dem Genuss hingeben können. Nannetta, Alices Tochter, und Fenton dagegen sind so herzig ineinander verliebt, dass es eine Freude macht, ihnen zuzuschauen. Maria Kublashvili und Liparit Avetisyan kosten die Heimlichkeiten mit großen Spielvergnügen aus und vor allem Avetisyan als Fenton gewinnt durch seine leicht tapsige Art die Sympathien des Publikums. Nur der Wirt (Volker Eckhardt) behält in allem wilden Treiben die Ruhe und kehrt die Scherben weg.

Hinreißend sind dabei vor allem die kleinen Details, die es auf der Bühne zu entdecken gibt: Fenton, der es immer schafft, im größten Trubel einen Kuss seiner Nannetta zu entführen, Mrs. Quickly, die gerne das eine oder andere alkoholische Getränk zu sich nimmt, Falstaff, der mal eben ins Orchester verschwindet, um sich einen Frack zu leihen.

Im zweiten Teil nach der Pause dreht der Abend dann richtig auf. Hatte Nicholas Pallesen im ersten Teil als Ford bzw. Herr Fontana noch wutentbrannt Teller zerschmissen, so dass der Gitarrist, der rechts von der Bühne saß, fluchtartig das Weite ergriff, prustet Falstaff im zweiten Teil Wein in Richtung der Souffleuse, die allerdings glücklicherweise mit einem Regenschirm ausgestattet ist und sich schützen kann. Das muntere Spiel geht bis zum Schlussapplaus so weiter, als Ralf Rachbauers Bardolfo im Brautkleid und mit beindruckendem Vollbart den Dirigenten auf die Bühne bietet – getreu dem Motto, das die erste Dame eben den Dirigenten beim Applaus auf die Bühne holt. Doch auch die poetischen, kleinen Momente kommen in Hilsdorfs Regie nicht zur kurz: Es gibt etwa eine Figur, die mit Luftballons zwischen den Akten an der Bühne vorbeigeht und einen älteren Herren, der immer mit den livrierten Dienern der Fords auf die Bühne gespült wird und von einem der Diener stets wieder von der Bühne heruntergeführt wird.

Musikalisch weiß die Aufführung ebenfalls zu überzeugen. Der Vorteil des Staatenhauses und der dabei immer wieder neuen Bühnen-Orchester-Situationen (es gibt eben einfach keinen vorgefertigten Theaterraum als solchen in diesem Gebäude) ist, dass der Zuschauer mehr vom Orchester mitbekommt, als wenn es im Orchestergraben sitzt. In diesem Fall ist das Orchester samt Dirigent Will Humburg links von der Bühne platziert und man hat – sollte der Blick dann doch mal vom Bühnengeschehen abschweifen – Gelegenheit, den exzellenten Musikern des Gürzenich-Orchesters bei der Arbeit zuzusehen. Humburg dirigiert Verdi mit sicht- und hörbarem Engagement. Auch der Chor zeigte sich bei seinen wenigen Auftritten gut disponiert. In Falstaff überwiegen die Ensembleszenen, und die gelingen hervorragend, da alle Solisten ohne Ausnahme auf hohem Niveau singen und die räumlich schwierige Kommunikation mit dem Dirigenten kaum ins Gewicht fällt. Den größten Applaus heimsen neben Lucio Gallo in der Titelpartie dann aber doch Lipart Avetisyan (Fenton) und Maria Kublashvili (Nannetta) ein. Die beiden haben etwas längere, beinahe lyrische Arien, die sie innig gestalten und für die sie zu Recht beklatscht werden.

Falstaff an der Kölner Oper ist eine gelungene Produktion: Dietrich Hilfsdorfs Regie beglückt mit zahlreichen Details, es gibt also immer etwas zu sehen und dennoch bleibt alles im Fokus, was wichtig ist. Im besten Sinne also solides Regiehandwerk, gepaart mit funktional-schönen Kostümen (Renate Schmitzer). Dazu eine Bühne (Dieter Richter), die mit einfachen Handgriffen zwei Bühnensituationen erlaubt: Aus Falstaffs Raum wird, wenn der rückwärtige Vorhang zur Seite gezogen wird, ein großer Raum, dessen Rückwand stilisierte Säulen zieren, dazwischen Türen für die Auf- und Abtritte. Auch das erinnert nicht von ungefähr an eine Shakespeare-Bühne.




Falstaff an der Oper Köln - Foto (C) Paul Leclaire

Karoline Bendig - 19. November 2016
ID 9692
FALSTAFF (Staatenhaus, 16.11.2016)
Musikalische Leitung:  Will Humburg
Inszenierung:  Dietrich W. Hilsdorf
Bühne: Dieter Richter
Kostüme: Renate Schmitzer
Licht:  Andreas Grüter
Dramaturgie: Tanja Fasching
Mit: Lucio Gallo (Sir John Falstaff), Nicholas Pallesen (Ford), Liparit Avetisyan (Fenton), Martin Koch (Dr. Cajus), Ralf Rachbauer (Bardolfo), Lucas Singer (Pistola), Natalie Karl (Alice Ford), Maria Kublashvili (Nannetta), Adriana Bastidas Gamboa (Meg Page) und Dalia Schaechter (Mrs. Quickly)
Statisterie der Oper Köln
Gürzenich-Orchester Köln
Premiere an der Oper Köln: 30. Oktober 2016


Weitere Infos siehe auch: http://www.operkoeln.com


Post an Karoline Bendig



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