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Premierenkritik

Kraft des

rechten

Glaubens



Anna Princeva als Hélène und Sébastien Guèze als Gaston in Jérusalem an der Oper Bonn | © Thilo Beu

Bewertung:    



Jerusalem war für die Kreuzritter im Mittelalter ein begehrtes Eroberungsziel. Das von Christen, Juden und Muslimen als heilige Stadt angesehene Jerusalem in den judäischen Bergen wird in einem heiligen Krieg grausam belagert. Giuseppe Verdis Oper Jérusalem von 1847 spielt vor dem Hintergrund dieser Kreuzzüge gegen die muslimischen Seldschuken. Erstmals wird Jérusalem nun in Deutschland als Koproduktion mit dem Theater ABAO Bilbao an der Oper Bonn szenisch aufgeführt - dem Opernhaus, das sich seit einigen Spielzeiten frühen und weniger bekannten Verdi-Opern widmet.

Während der Ouvertüre werden zunächst Bilder, die Jerusalem darstellen, auf den geschlossenen, schwarzen Theatervorhang projiziert. Schachtartig herabfallend deuten sich in der Projektion skizzenhaft Eindrücke von Kreuzrittern und vom gläubigen Kirchenvolk und religiöse Vorstellungen wie das Fegefeuer im Zusammenhang mit einer bewaffneten Pilgerreise an (Video: Joan Rodón und Emilio Valenzuela Alcaraz). Paco Azoríns Bühnenbild nimmt das Motiv des Fallenden und des Hineingezogenwerdens wieder auf, wenn die Figuren sich mehrfach in einer Szenerie bewegen, die von einem bewegten und dunklen Tunnel überlagert wird - ein möglicher Verweis an den Höllenschlund und das Inferno in Dantes Göttliche Komödie (1321).



Sébastien Guèze als Gaston, Chor und Statisterie in Jérusalem an der Oper Bonn | © Thilo Beu


In Toulouse im Jahre 1095 wird für die gewaltsame Besetzung und Aneignung Jerusalems mobilisiert. Verdis Oper thematisiert jedoch weniger die mögliche Grausamkeit des Eroberungskrieges. Im Zentrum der Handlung steht hingegen eine Liebesgeschichte um Hélène, der Tochter des Grafen von Toulouse, die sich heimlich mit Gaston trifft. Die Liebe der beiden jungen Menschen steht unter einem unguten Stern. Hélènes Vater tötete im Bürgerkrieg Gastons Vater. Doch Gaston ist bereit, dem Grafen zu vergeben, wenn dieser seiner Hochzeit mit Hélène zustimmt. Bevor der Graf zum Kreuzzug aufbricht, reicht er zum Zeichen des Friedens Gaston die Hand seiner Tochter. Doch Roger, der Bruder des Grafen, ist eifersüchtig. Er ist heimlich in seine Nichte Hélène verliebt. Roger beauftragt einen Mörder, Gaston umzubringen. Doch der Attentäter verletzt stattdessen den Grafen. Um Roger zu entlasten, gibt der Attentäter Gaston als seinen Auftraggeber an. Daraufhin verurteilt das päpstliche Legat Gaston zum Exil und Hélène bleibt einsam zurück.

Gesanglich und orchestral ist Jérusalem ein stimmiger und rundum gelungener Hochgenuss. Der Chor und Extrachor des Theater Bonn unter der Leitung von Marco Medved überzeugt durch vorbildliche Diktion und expressive Nuancierung. Das Beethoven Orchester Bonn spielt unter der Leitung von Will Humburg spannungsvoll und facettenreich und setzt etwa in den Bläserpartien stimmungsvolle Akzente.



Sébastien Guèze als Gaston, Chor und Statisterie in Jérusalem an der Oper Bonn | © Thilo Beu


Die Solisten beeindrucken stimmlich, aber auch durch schauspielerische Verve. Der Tenor Sébastian Guèze überzeugt höhensicher mit großer Strahlkraft. Starbassist Franz Hawlata verkörpert die Rolle des Roger nuanciert mit stimmlich kräftigem Ausdruck, ebenso wie Csaba Szegedi Hélènes Vater mit seiner Bariton-Stimme kraftvoll und gekonnt modelliert. Insbesondere Anna Princeva begeistert schließlich bei den Arien und Kantilenen ihrer Figur Hélène mit beweglicher Stimme, feinen Koloraturen und sorgt für Gänsehaut-Feeling.

Einen Punktabzug gibt es jedoch aufgrund einer gewissen Diskrepanz zwischen der gesanglich-musikalisch gelungenen Interpretation und der einfallslos-braven Inszenierung des spanischen Regisseurs Francisco Negrin. Wohl dem also, der die Ohren öffnen kann für die wunderbare akustische Darbietung und gleichzeitig die Augen verschließen kann vor dem, was sich da Inhaltliches auf der Bühne abspielt. Die Kreuzritter-Historie wird ähnlich verklärend inszeniert, wie sie wohl auch schon im 19. Jahrhundert in Paris uraufgeführt wurde. Nur wenige Ideen, wie die Andeutung des Tunnel-Infernos in einigen Szenen deuten mäßig eine Reflektion des Stoffes an. Dass unhinterfragt im Namen Gottes zu Massenermordungen aufgerufen wird, erscheint in der heutigen Gegenwart nahezu unerträglich. Hier mangelt der Bonner Adaptation der vieraktigen Oper in Zeiten des IS-Terrors eindeutig an einer zeitgemäßen Form der Inszenierung, treten die Figuren doch implizit für religiöse Intoleranz, menschenverachtende Grausamkeit, lächerliches Ehrgefühl und verbrämte Machtgier ein. Über 160 Jahre nach der Erstaufführung erscheint es feige, den Blickwinkel auf den zugrunde liegenden Stoff samt seinem religiösen Ballast nicht zu ändern. Immerhin finden sich im lesenswerten Programmheft des Theater Bonn erhellende Zeitzeugnisse unter anderem vom muslimischen Historiker Ibn al-Athīr (1160-1233), der über die Belagerung Jerusalems durch die Kreuzfahrer berichtet, das zehntausende Menschen getötet wurden. Darstellerisch überzeugt so auf der Bühne nur die Liebesgeschichte, während die übrige Darstellung zu anachronistisch und unkritisch anmutet.



Anna Princeva als Hélène und Sébastien Guèze als Gaston in Jérusalem an der Oper Bonn | © Thilo Beu

Ansgar Skoda - 7. Februar 2016
ID 9120
JÉRUSALEM (Oper Bonn, 31.01.2016)
Musikalische Leitung: Will Humburg
Inszenierung: Francisco Negrin
Licht: Thomas Roscher
Bühne: Paco Azorín
Kostüme: Domenico Franchi
Video: Joan Rodón und Emilio Valenzuela Alcaraz
Choreinstudierung: Marco Medved
Besetzung:
Gaston, Vicomte de Béarn … Sébastien Guèze
Le Comte de Toulouse … Csaba Szegedi
Roger, le frère du Comte … Franz Hawlata
Hélène, la fille du Comte … Anna Princeva
Isaure, la confidante d‘Hélène … Brigitte Jung
Adhémar de Monteil, legat du pape … Priit Volmer
Raymond, l’ecuyer de Gaston … Christian Georg
L’Émir de Ramla … Giorgos Kanaris
L‘Officier de l‘émir … Christian Specht
Un Hèrault … Egbert Herold
Un Soldat … Nicholas Probst
Chor des Theater Bonn
Extrachor des Theater Bonn
Beethoven Orchester Bonn
Premiere war am 31. Januar 2016
Weitere Termine: 14. + 27. 2. / 10., 18. + 26. 3. / 2. + 4. 4. 2016


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de/


Post an Ansgar Skoda

http://www.ansgar-skoda.de



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