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Opernkritik

Die holde

Elsa



Anna Netrebko debütierte als Elsa in Lohengrin an der Semperoper Dresden | Foto (C) Daniel Koch

Bewertung:    



Vorspiel: Für seine Dirigate wird Christian Thielemann oft genug über den grünen Klee gelobt. Doch für seine Stimme, Meinungen, Entscheidungen (siehe Pegida, die Causa Serge Dorny oder die für einen Chefdirigenten lachhaften zehn Opernvorstellungen in der gesamten Saison 2016/17 der Sächsischen Staatsoper) kassiert Thielemann regelmäßig Kloppe vom Feuilleton. Heute nicht. Denn wenn er im Graben die Lohengrin-Debüts von Anna Netrebko und Piotr Beczala überwacht, hätte man das selbst wohl eher im Salzburger Festspiel-Zirkus verortet - und nicht im stinknormalen Repertoirealltag der Semperoper. Dort eröffnet der Abend mit der Betrachtung eines romantisches Wandteppichs, auf welchem schon die ersten Schwäne über den Teich schnattern. Thielemann untermalt dieses Bild, schichtet die Streicher zart wie Blätterteig übereinander, lässt das Blech golden aufleuchten, drückt genau vor dem Beckenschlag auf die Stopptaste, dass man sich schon fragt: Kommt er noch? Ja, er kommt. Schöner geht’s kaum.

Erster Akt: Wären da nicht diese mittelalterlichen Kostüme, man könnte denken, die rechts postierten Bläser weisen auf das Pausenende in Bayreuth hin. Derek Walton gibt einen noblen Heerrufer, Georg Zeppenfeld einen belcantesk phrasierenden, wahrhaft königlichen Heinrich. Problematisch hingegen: Die Besetzung des Telramund mit Tomasz Konieczny, einfach seiner gaumig timbrierten, knarzigen (will sagen: nicht sonderlich schönen) Stimme wegen. Noch problematischer: die Chöre [s. Besetzungsliste]. Gerade vor dem Auftritt Lohengrins wackeln sie gewaltig, was man hier jedoch der Regie in die Schuhe schieben möchte. Diese knipst nämlich kurzerhand das Licht über der Rampe aus und lässt alles abtransportieren, was den Blick auf den silbernen Riesenvogel im hinteren Bereich behindert. Und sie liegt da, inmitten des Trubels, als unschuldsweiße, in Ketten gelegte Elsa und wartet auf die Hilfe des Schwanenritters: Anna Netrebko. Für die Stimme kommt die Partie zum richtigen Zeitpunkt: Samtig dunkel, sehr edel, sehr strahlend, voluminös und dabei doch jugendlich tönt diese Elsa. Netrebko kann ihren Sopran in seiner ganzen Pracht entfalten. Thielemann verschafft ihr den dafür nötigen Rahmen. Muss er dann doch mal auf die Tube drücken, bleibt der ein oder andere Konsonant ungesungen. Das schmälert aber nicht Netrebkos gute Textverständlichkeit. Der emotionalste Moment ereignet sich kurz vor dem Zweikampf: Was sich klanglich und gesanglich in dieser Ensembleszene ereignet, hat eine Wucht, dass einem die Tränen in die Augen schießen. Die Wunderharfe [Sächsische Staatskapelle Dresden] macht’s möglich.

Zweiter Akt: Es war eine gute Wahl, die Christine Mielitz-Inszenierung von 1983 hierfür hervorzukramen: Weniger Stress für die Sänger, mehr Genuss fürs Publikum. Aber nicht nur. Mielitz setzte damals - man mag’s kaum glauben - die Handlung eins zu eins um, wobei sie einige Details mit der Lupe hervorhob. Beispielsweise rückt Mielitz den Machtkampf ins Zentrum der Geschichte, der die Vertrauensfrage miteinschließt. Folglich findet vordergründig keine Hochzeit statt, sondern vielmehr eine Krönung. Oder picken wir uns die Figur der Ortrud heraus: Mielitz zeigt bereits im 1. Akt, dass Telramund lediglich den Anweisungen Ortruds folgt. Als heidnische Strippenzieherin im Hintergrund erkennt sie schon bei der Ankunft Lohengrins, dass Telramund das Gottesgericht verlieren wird. Dennoch pfeift sie ihren Gatten nicht zurück und lässt ihn somit ins offene Messer laufen. Die Situation wiederholt sich im dritten Akt, als Ortrud Telramund zum übrig gebliebenen “Mittel der Gewalt” begleitet, wo er diesmal tatsächlich fällt. Doch zunächst rächt er sich für die erlittene Schmach: Ortrud muss einige kräftige Tritte aushalten. Apropos Kraft. Evelyn Herlitzius hat die Akkus geladen und macht ihrem Ruf als hochdramatische 100.000 Volt-Heroine wieder alle Ehre. Spielerisch eine Mischung aus Bette Davis und Disney-Hexe, gesanglich wie die junge Gwyneth Jones. Dass sie auch anders kann, beweisen die beinah lyrischen Passagen mit Netrebko, deren formvollendetes “Es gibt ein Glück, das ohne Reu” mich innerlich nicken lässt. Ja, das gibt es tatsächlich. Packendes Schlussbild.

Dritter Akt: Jetzt gilt es! Piotr Beczala muss nun endlich loslegen, denn bislang war seine Leistung ziemlich dünn. Das Timbre leuchtet, die Mittellage ist superb, der ein oder andere hohe Ton hingegen weniger. Während Netrebko aus vollen Rohren ballert, werden bei Beczala doch deutliche Grenzen hörbar. Bei der Ankunft hat er schon einmal gepatzt, auch die Gralserzählung geht nicht ohne Textfehler über die Bühne. Ferner beim Spiel: Wie lieben, leiden, fiebern und bangen wir mit oder um Elsa - und wie fremd bleibt uns diese Schlaftablette von Lohengrin. Ach ja, das Brautgemach. Mielitz hatte schon vorher gegen die Kirche gestichelt, indem sie den Vertreter Gottes einige Soldaten segnen lässt. Nun darf das Kirchenoberhaupt sogar kurz mit ins Schlafzimmer. Da auch das Bett kaum würdevoller und unbequemer aussehen könnte, ist im Grunde schon vorher klar, dass in der Kiste zwischen Elsa und Lohengrin nichts laufen wird. Wer sich von der antiquierten Ausstattung nicht ablenken lässt - wir sind ja alle in der Lage zu abstrahieren, oder? - findet hier eine zeitlos geniale Konzeption.

Epilog: 2002 sang ein Opernstarlet die Donna Anna in Salzburg. Ich gebe ehrlich zu, dass ich auch zum Personenkreis gehörte, der an eine kurze, eher materiell orientierte Karriere glaubte. Aber sie ist immer noch dort, wo sie schon vor 14 Jahren war - an der Spitze. Und das nicht zuletzt aufgrund ihrer klugen Rollenplanung. 2018 soll’s auf den Grünen Hügel gehen. Wieder unter Thielemann und mit Roberto Alagna als Lohengrin. Zunächst aber mein Beifall für dieses Debüt: Bravo, Frau Netrebko!



Der alte Semperoper-Lohengrin (von 1983) mit Anna Netrebko und Piotr Beczala | Foto (C) Daniel Koch

Heiko Schon - 27. Mai 2016
ID 9341
LOHENGRIN (Semperoper Dresden, 25.05.2016)
Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Inszenierung: Christine Mielitz
Bühnenbild und Kostüme: Peter Heilein
Licht: Friedewalt Degen
Chor: Jörn Hinnerk Andresen
Dramaturgie: Matthias Rank
Besetzung:
Heinrich der Vogler ... Georg Zeppenfeld
Lohengrin ... Piotr Beczala
Elsa von Brabant ... Anna Netrebko
Friedrich von Telramund ... Tomasz Konieczny
Ortrud ... Evelyn Herlitzius
Heerrufer des Königs ... Derek Welton
u.a.
Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Herren des Sinfoniechores Dresden
Extrachor der Semperoper Dresden

Sächsische Staatskapelle Dresden
Premiere war am 21. September 1983
Weiterer Termin: 29. 5. 2016


Weitere Infos siehe auch: http://www.semperoper.de


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