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Opernkritik

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Mr. García?



Die Entführung aus dem Serail an der Deutschen Oper Berlin | Foto (C) Thomas Aurin

Bewertung:    



Die Idee ist gar nicht mal doof. In seiner (ich nenns mal lieber:) Installation zu Mozarts Die Entführung aus dem Serail stellt (jetzt zieh‘ ich‘s auch konsequent durch:) Installateur Rodrigo García die Bedeutung eben jenes auf den Kopf: Der Ort, an dem Konstanze hier aufschlägt, ist keiner der Unterdrückung, sondern einer der geschlechtergrenzenlosen Freiheit und weißpulvrigen Glückseligkeit. Quasi wie ein Holodeck, nur in echt. Oder wie Mahagonny ohne Knete. Oder wie ein mit Amphetaminen vollgestopfter Venusberg. Ich begebe mich jetzt mal aufs Glatteis und behaupte: García schwebte eine Kenntlichmachung der apollinisch-dionysischen Aspekte vor, die in diesem Werk stecken. Getreu dem Motto: Wieviel Rausch verträgt ein Mensch, bis sie oder er wieder zurück zu seinem/seiner Ollen aufs heimische Sofa möchte?

Doch abgesehen vom tatsächlich horizonterweiternden Einfall, den Bassa Selim zu verweiblichen, fiel Garcías Umsetzung (I’m so sorry!) einfach beschissen aus. Es geht schon mal damit los, dass einem zu Vieles zu bekannt vorkommt: Bereits an der Staatsoper legte Michael Thalheimer Pedrillo & Co. englischen Slang in den Mund; Stripclips, Chemikalien, Alkohol, Titten und einen Basketball sah man auch in Calixto Bieitos Entführung an der Komischen Oper. Neu hingegen ist Belmontes Monstertruck, der während seiner Knatterfahrten an Schauwert einbüßt und ziemlich schnell anfängt zu nerven. Dafür sehen die Klamotten von Hussein Chalayan très chic aus. Ich könnte sie mir aber eher auf einem Laufsteg als auf dieser Bühne vorstellen.

Die Verpackung wäre Pillepalle, würde García mit Inhalten überzeugen. Die aber sind rar gesät und kommen über Drogenküchenpsychologie nicht hinaus. So gucken beispielsweise Blonde und Osmin durch eine Comicwand, auf der Wile E. Coyote mal wieder dem Road Runner nachstellt: Das schlaue Sopranvögelchen (meep, meep) lässt sich nicht so schnell einfangen, comprende? Belmonte wird ob seiner besungenen Liebe zu Konstanze der Lüge bezichtigt. Und warum jene überhaupt von "Martern aller Arten" berichtet, ja, das fragt man sich. Garcías Szenerie und Mozarts Singspiel laufen wie zufällig zur selben Zeit am selben Ort. Oder anders: Wäre dies ein Schauspiel, ich würde Belmonte, der lieber Prince oder Queen hören möchte, augenblicklich zustimmen. Obwohl… Retten ließe sich dadurch wohl auch nichts mehr, denn der Plot wird so spannend serviert, man möchte am liebsten einschlafen. Was wiederum Mozart verhindert.

Donald Runnicles kitzelt einen dezent weißlich schimmernden, nicht zu knalligen und dennoch schmissigen Klang hervor, der einen sommernachtstraumhaften Sog entfaltet. Zweiter Hoffnungsschimmer ist das junge, spielfreudige und sagenhaft gute Sängerensemble. Der Pedrillo von James Kryshak kommt zwar (noch) mit ein paar herausgekrähten Höhen daher, doch wie leichtfüßig und lyrisch versiert durchmisst Siobhan Stagg das Blondchen, mit welch‘ Witz und maskulin-frischem Tenor stattet Matthew Newlin den Belmonte aus, und wie zupackend kernig und dennoch kultiviert singt Tobias Kehrer den Osmin. Mit ihrer türkisfarbenen, spitzentönend virtuosen Konstanze krönt Kathryn Lewek eine Besetzung, die als mustergültig zu bezeichnen ist.

Annabelle Mandeng ist ein hochattraktiver, sportlicher Bassa Selim. Sie sagt gekonnt ihre Texte auf und stellt dar, was darzustellen ist. Eine Theaterschauspielerin vom Range eines Lars Eidinger (der aus dieser Produktion leider frühzeitig ausstieg) ist sie nicht. Ihr Schlussmonolog endet mit dem Satz „Wer möchte hier schon weg?“, was im Fall von Rodrigo García durchaus stimmen mag. Denn so ein Scheck von einem großen Opernhaus dürfte schon anders aussehen als die Brotkrumen eines Furzfestes in JWD. Das hätte aber nicht der Grund für die Vertragsunterzeichnung sein dürfen. Sondern die Liebe zu Mozart.



Die Entführung aus dem Serail an der Deutschen Oper Berlin | Foto (C) Thomas Aurin

Heiko Schon - 23. Juni 2016
ID 9402
DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL (Deutsche Oper Berlin, 22.6.2016)
Musikalische Leitung: Donald Runnicles
Inszenierung und Bühnenbild: Rodrigo García
Mitarbeit Bühne und Videodesign: Ramón Diago
Kostüme: Hussein Chalayan
Lichtdesign: Carlos Marquerie
Dramaturgie: Jörg Königsdorf, Anne Oppermann
Choreinstudierung: William Spaulding
Besetzung:
Konstanze … Kathryn Lewek
Blonde … Siobhan Stagg
Belmonte … Matthew Newlin
Pedrillo … James Kryshak
Osmin … Tobias Kehrer
Bassa Selim … Annabelle Mandeng
Chor und Statisterie der Deutschen Oper Berlin
Orchester der Deutschen Oper Berlin
Premiere war am 17. Juni 2016
Weitere Termine: 25., 28. 6. / 1., 6. 7. / 24., 30. 11. / 6. 12. 2016


Weitere Infos siehe auch: http://www.deutscheoperberlin.de


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