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nachDRUCK # 5

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CD-Kritik

Apropos

"genug"



Bewertung:    



Drei der schönsten und wohl auch bekanntesten Arien Johann Sebastian Bachs vereint dessen Kantate Ich habe genug BWV 82. Seit ich sie erstmals hörte, waren sie für mich so eine Art von "Trost", dem wohl für jeden von uns unausweichlichen Schicksal des einstigen Übertritts vom Leben zum Tod in gedanklicher Gelassenheit entgegensehen zu können. Das physische Sterben ist so sicher wie das Amen in der Kirche, und man weiß natürlich nicht, WIE sich dann dieser Vorgang eines Tages am oder im eignen Körper (hoffentlich) schmerzfrei oder (hoffentlich nicht) schmerzvoll ereignen würde, und man will es freilich auch nicht vorher wissen... Zuversicht und Optimismus - als die zwei womöglich ungelegensten Vokabeln, die im von mir vorbezeichneten Kontext benutzbar wären - zeichnen Bachs 82. Kantate (die Zählung im BWV beginnt tatsächlich mit allen etwa 300 Kantaten) aus.


"Thematisiert wird die im Neuen Testament überlieferte Darstellung des neugeborenen Jesu im Tempel. Die Hauptperson dabei und in der Urfassung ein Bassist ist der fromme alte Simeon, der erst dann in Frieden von dieser Welt scheiden will, wenn er das Heil, den Erlöser, gesehen und in Händen gehalten hat. Der unbekannte Textdichter lässt Simeon ausgiebig von seinem letzten Glück am Rande des Grabes schwärmen. Die Oboe präsentiert das melodisch einprägsame Thema, welches vom Sänger übernommen wird. Das Rezitativ nach der Eingangsarie erfreut mit einem gefühlvollen Arioso - 'Lasst uns mit diesem Manne ziehn!'. Im Zentrum der Kantate steht die balsamische Arie 'Schlummert ein, ihr matten Augen', ein Stück voll verinnerlichter , in sich ruhender Schönheit und altgoldener Spiritualität. Nach einem kurzen, gleichsam Abschied nehmenden Rezitativ wendet Bach in der Finalarie 'Ich freue mich auf meinen Tod' die Stimmung überraschend ins Freudige, ja ins Tänzerische. Der Tod, der Übergang in eine andere Sphäre, erscheint dem alten Simeon als beglückende Erfüllung seines Erdendaseins."

(Gottfried Franz Kasparek aus dessem Einführungstext im Booklet zur CD Genug)



Die sog. Schlummerarie gerät zum insgeheimen Höhepunkt der neuesten CD-Einspielung mit dem in Salzburg ansässigen Ensemble BachWerkVokal (unter Leitung seines Gründers Gordon Safari). Max Tavella singt sie schlicht-ergreifend und mit einer professionellen Unaufdringlichkeit, die ihres gleichen sucht. Dann dimmen er und die ihn begleitenden Musikerinnen und Musiker (Oboe d'amore: Shai Kribus!) bei der obgligatorischen Arien-Wiederholung ihre Verve und ihre Lautstärke nochmals um mindestens die Hälfte runter; und das alles klingt so unwahrscheinlich schön und überirdisch "zuversichtlich", "optimistisch" [s.o.], dass es mir beim Hören justament die Tränen in die Augen trieb...

Auch Bachs (Dialog-)Kantate O Ewigkeit, du Donnerwort BWV 60, in der es auch um ein versöhnlich-gutmütiges Austarieren zwischen Furcht & Hoffnung (vor dem/ auf das) Weiterleben nach dem Tod geht, hab' ich so noch nie gehört: Es fängt allein schon damit an, dass der Eröffnungschoral allein von Katrin Heles (statt eines sonst hier üblichen Chors) verlautbart und von Maximilian Kiener (als personifizierte Hoffnung) korrespondiert wird; beide Stimmen unterscheiden sich in ihrem Timbre und der interpretatorischen Charakterististik, ihre (in der Rolle der Furcht) wirkt klar, gerade, fast schon überdeutlich - seine ist von leicht vibrierendem, fast (furchtsam) zitterndem Sound. Jakob Hoffmann (als Jesus-Stimme) bietet beiden durch sein nüchtern-dreimaliges "Selig sind die Toten..." ausgleichende Zwischenhalts. Der kurzlebige Schlusschoral "Es ist genug..." hinwieder wird vom ganzen Chor als tröstliche Umschmeichelung von sich und uns im Ganzen nachgesungen.

*

Es gibt auch vergleichende Musiken von Johann Schelle (1648-1701) und Johann Rudolf Ahle (1625-1673) zu hören; sie dauern jeweils etwa 3 Minuten. Schelle stammte aus dem Erzgebirge und war einer von Bachs Vorgängern im Amt des Leipziger Thomaskantors, Ahle wiederum war ein im thüringischen Mühlhausen geborener und gestorbener Organist und Dichterkomponist. "Komm, Jesu, komm" (für 5 Stimmen und begleitende Gitarre/ Laute) sowie - Achtung Thema! - "Es ist genug!" (für 6 Stimmen und Basso continuo) erfahren durch den fast schon nüchternen und sowieso geradlinigen Vortrag der sie singenden Vokalsolistinnen und -solisten eine erdende Konzentration und frohlocken gleichsam irgendwie zum Nachsingenwollen.

Dass Alma Mahler-Werfel (1879-1964), die legendäre und nicht unberüchtigte Wiener Mehrfachgeliebte und -gattin solch damaliger Weltberühmtheiten wie Oskar Kokoschka, Walter Gropius, Franz Werfel, Gustav Mahler (also nacheinanderfolgend) "nebenbei" gelegentlich auch komponieren tat, dürfte vielleicht den wenigsten Klassikradio-Konsumenten bekannt sein. Zwei ihrer ehrgeizigen Kunstlieder - Laue Sommernacht (nach einem Gedicht von Otto Julius Bierbaum) und Hymne an die Nacht (nach Novalis) - werden von Alicia Grünwald und Electra Lochhead, jeweils am Flügel begleitet von Gereon Kleiner, artifiziell, zum Teil energisch und schon sehr beseelt zum Besten gegeben. Als Entdeckung, sage ich jetzt mal, von einigem Gewinn.



Ensemble BachWerkVokal | Bildquelle: bachwerkvokal.com


Selbst eine 11-minütige Auftragskomposition von Jakob Gruchmann (geb. 1991) aus dem Jahre 2021 - Genug - Kantate für Vokal- und Instrumentalensemble (nach einem Text von Albert Vinzens) - wird hör- und erlebbar. Das Werk ist fünfteilig und handelt selbstverständlich, und getreu dem Generalthema dieser CD, von Leben & Tod. Am aufhorchendsten vielleicht der sog. "Dialog zu dritt" zwischen einem Kind und dessen Großmutter sowie einem Alten Mann; letzterer entpuppte sich schlussendlich als in einer der Kisten, die das arme furchtsame Kind so vor sich sieht, womöglich seiner Auferstehung (oder auch nicht) entgegensehnende Männerleiche. (Zitat: "Kind: Ein Sarg? Ein toter Mann?/ Großmutter: Da in der Kiste.") Doch, das hatte irgendwie schon was.

O ja, man soll, man muss ganz einfach zuversichtlich oder sogar optimistisch sein, was uns ein Leben nach dem Tode alles so bescheren würde, und so warten wir es einfach erst mal ab.

Andre Sokolowski - 30. November 2022
ID 13940
Genug
- (1) Johann Sebastian Bach (1685-1750): Motette Komm, Jesu, komm BWV 229
- (2) Johann Schelle (1648-1701): Komm, Jesu, komm, Aria a 5 voci
- (3) J. S. Bach: Kantate Ich habe genug BWV 82
- (4) Alma Mahler-Werfel (1879-1964): Laue Sommernacht
- (5) Jakob Gruchmann (*1991): Genug, Kantate für Vokal- und Instrumentalensemble (2021)
- (6) A. Mahler-Werfel: Hymne an die Nacht
- (7) Johann Rudolf Ahle (1625-1673): Über die Sehnworte des Elias - Es ist genug!, Aria a 6 voci
- (8) J. S. Bach: Kantate O Ewigkeit, du Donnerwort BWV 60, Dialogus zwischen Furcht und Hoffnung
Ensemble BachWerkVokal
Gesangssolistinnen und -solisten:
Electra Lochhead, Sopran (6)
Alicia Grünwald, Alt (4)
Katrin Heles, Alt (8)
Maximilian Kiener, Tenor (8)
Jakob Hoffmann, Bass (8)
Max Tavella, Bass (3)

Gereon Kleiner, Klavier (4, 6)
Wonny Seongwon Park (5)
Instrumentalistinnen und Instrumentalisten
Dirigent: Gordon Safari
MDG 923 2259-6


Weitere Infos siehe auch: https://www.bachwerkvokal.com/


https://www.andre-sokolowski.de

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