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Opernkritiken

Das Antlitz der Europa

Ein prall gefülltes Wochenende in der Lausitz



Görlitz ist zwar keine Stadt der Liebe, aber an Liebhabern mangelt es ihr wahrlich nicht. Diese scheuen weder Kosten noch Mühe, um den Glanz der Angebeteten in die große weite Welt hinauszutragen, wie damals der weiße Stier die leicht bekleidete Europa. So nahte letztes Jahr der Filmemacher Wes Anderson. Er kam, sah, verliebte sich, verfiel sogar und entschied, hier den Großteil seines kongenialen Streifens Grand Budapest Hotel zu drehen. Oder aber der Mäzen, der hinter der ebenfalls zur Legende gewordenen „Altstadtmillion“ (511.500 EUR) steckt. Erst vor wenigen Wochen schob er oder sie das stattliche Spendensümmchen bereits zum 20. Mal über den Tisch. Nicht zu vergessen die vielen Visionäre, die die Bewerbung um den UNESCO-Welterbetitel fleißig vorantreiben. Nachdem Görlitz nur wenige Millimeter an der Kulturhauptstadt 2010 vorbeigeschrammt ist, wird es diesmal hoffentlich klappen.

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Selbst das Gerhart Hauptmann-Theater wirbt mit einem Werber und lässt Sir John Falstaff auf Die lustigen Weiber von Windsor los. Otto Nicolai hat aus dem Shakespeare'schen Schwank einen Singspielknaller fantastisiert, der an der Rampe eigentlich immer zündet. Gut, für die Staatsopernhäuser ist das Werk heute, pfui, eine Klamotte, die auf ihren Staatsopernbühnen nichts mehr verloren hat. Aber so ein Stadttheater spielt eben auch die Possen von anno dazumal - und hat merkwürdigerweise Erfolg damit. Die Bude ist jedenfalls gerammelt voll. Das Licht geht aus, der Lappen hoch, Ulrich Kern stupst im Graben vergnügt die Takte, die Drehscheibe läuft und läuft, das mit sichtlich Spaß agierende Bühnenpersonal sowieso - und man stellt schon nach wenigen Minuten fest: Dieser Abend kann gar nicht in die Binsen gehen! Regisseurin Rebekka D. Stanzel weiß ganz genau, wann sie welchen Knopf zu drücken hat, damit der Unterhaltungsdampfer immer schön in Fahrt bleibt. In ihren besten Momenten versprühen diese Weiber den Charme und Witz einer Screwball-Komödie. Da muss ein Herrentagsausflug vorzeitig beendet werden, weil Falstaff (exzellent: Stefan Bley) zwei der Männer gnadenlos unter den Tisch säuft (letzte Worte aus dem Bollerwagen: „Mir ist schlecht!“), singt Frau Fluth den hohen Ton, weil ihr gerade in den Sopranpopo gekniffen wurde, schlägt die Regie im dritten Akt eine Brücke zu Shakespeares Sommernachtstraum, indem sie kleine Elfen und Pucks aufmarschieren lässt. Selbst der alte Witz mit dem Putzlappen, der mehr Dreck macht als er beseitigt, funktioniert bestens: Im Publikum wird geklatscht, gegluckst und gegackert. Aus dem Sängerensemble ragt die erfischend komische, glut- wie glanzvolle Audrey Larose Zicat als Frau Fluth heraus.




Die lustigen Weiber von Windsor am Gerhart Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau | Foto (C) Marlies Kross

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Tags darauf öffnet im hauseigenen Café der Salon Pitzelberger. Hinter dem Etablissement steckt eine Offenbachiade, die unter Operettenfans Kultstatus genießt, was vielmehr heißen soll, dass sie sooft nun auch wieder nicht gespielt wird. Aber es gibt sogar eine legendäre Aufnahme aus DDR-Zeiten mit Reiner Süß, Gerd E. Schäfer und Helga Piur - alles Namen, die jeder Görlitzer kennt, sofern er die 40 überschritten hat. Die einstündige Aufführung ist ausverkauft, wir warten geduldig im Foyer. Nun lugt die Souffleuse hinter einer Säule hervor, und die Eheleute Brösel betreten die Szene. Diese benötigen dringend Geld für die Heimreise und fangen als Diener bei Herrn von Pitzelberger an, der in seinem Haus zu einer Soiree geladen hat. Als musikalischer Leckerbissen wurden italienische Opernsänger versprochen, die jedoch wenige Minuten vor dem Auftritt absagen. Tochter Ernestine hilft ihrem Vater aus der Patsche und darf dafür am Ende selbst entscheiden, wen sie heiratet. Das ganze Ensemble gibt sich lustvoll der Narretei hin: Hans-Peter Struppe als Pitzelberger am Rande des Nervenzusammenbruchs, Laura Scherwitzel und Benjamin von Reiche als wild herumknutschendes Liebespärchen sowie Michael Berner und Felicitas Ziegler als buffoneske Scherzkekse. Letztere darf mit „Mein Gott, was sind die Männer dämlich“ die beste Nummer schmettern, auch wenn die eigentlich aus Offenbachs La Périchole stammt. Eine kleine, aber feine Zwischenmahlzeit.




Salon Pitzelberger am Gerhart Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau | Foto (C) Pawel Sosnowski

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Am Sonntag sollte ursprünglich der Görlitzer Tannhäuser in Bautzen gastieren. Nein, nicht die Wagner-Oper, sondern deren Verhohnepiepelung von Johann Nestroy. Aber schade, schade: Der Tenor ist krank. Dafür kommen die Bautzener in den Genuss einer konzertanten Jenůfa. Der neue Generalmusikdirektor Andrea Sanguineti entfesselt die suggestive Kraft von Janáčeks Musik, dirigiert in tollkühner Geschwindigkeit, serviert eisige Farben, folkloristischen Schneid, tosende Gewalten - und trifft damit des Pudels Kern. Seine Interpretation macht das Unmögliche möglich: Vor dem geistigen Auge findet das mährische Dorfdrama tatsächlich statt. Die Neue Lausitzer Philharmonie spielt harmonisch ausgewogen (welch grillenhafte Streicher!), feinsinnig bis spannungsgeladen, ohne nennenswerte Patzer. Sängerisch ist das Ganze nicht weniger eindrucksvoll: Helena Köhne lotet als gar nicht so alte Buriya Urtiefen aus; Lindsay Funchal gibt eine glockenhelle, feenhafte Karolka; Laura Scherwitzel ist als Barena auf den Punkt besetzt; Ji-Su Parks Altgesell könnte fraglos in der Staatsopernliga mitspielen; Keith Boldt ist ein wunderbar emphatischer, leidenschaftlicher Laca; Ewandro Stenzowski nimmt mit seinem tenoral zart dahin schmelzenden Stewa für sich ein; Yvonne Reich präsentiert ein rasiermesserscharfes, psychologisch ausgefeiltes Porträt der Küsterin, und Patricia Bänsch brilliert als Jenůfa mit ihrem rauchglasig timbrierten, höhenstrahlenden Mezzo. Man könnte sich Bänsch auch gut als Fremde Fürstin in der Rusalka vorstellen, übrigens auch optisch. Leider bleiben im Bautzener Theater viele Plätze unbesetzt. Doch diejenigen, die gekommen sind, werden Jenůfa nicht so schnell vergessen - da bin ich mir sicher.




Jenufa im Gerhart Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau | Foto (C) Marlies Kross



Bewertung insgesamt:    



Heiko Schon - 31. Mai 2014
ID 7868
DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR (Gerhart Hauptmann-Theater Görlitz, 23.5.2014)
Musikalische Leitung: Ulrich Kern
Inszenierung: Rebekka D. Stanzel
Ausstattung: Britta Bremer
Besetzung:
Sir John Falstaff … Stefan Bley
Herr Fluth … Ji-Su Park
Herr Reich … Bernd Gebhardt
Fenton … Benjamin von Reiche
Junker Spärlich … Michael Berner
Dr. Cajus … Hans-Peter Struppe
Frau Fluth … Audrey Larose Zicat
Frau Reiche … Patricia Bänsch
Jungfer Anna Reich … Laura Scherwitzel u.a.
Neue Lausitzer Philharmonie
Tanzcompany des GHT Görlitz-Zittau
Choreografie: Dan Pelleg, Marko E. Weigert
Chor des GHT Görlitz-Zittau
Choreinstudierung: Manuel Pujol
Premiere war am 5. Oktober 2013
Weiterer Termin: 9. 6. 2014

SALON PITZELBERGER (dto., 24.5.2014)
Musikalische Leitung: Manuel Pujol
Inszenierung: Rita Schaller
Ausstattung: Werner Pick
Besetzung:
Herr von Pitzelberger … Hans-Peter Struppe
Ernestine … Laura Scherwitzel
Frau Brösel … Felicitas Ziegler
Herr Brösel … Michael Berner u.a.
Premiere war am 12. Februar 2014
Weiterer Termin: 8. 6. 2014

JENUFA (dto., 25.5.2014)
Musikalische Leitung: Andrea Sanguineti
Besetzung:
Die alte Buriya … Helena Köhne
Die Küsterin … Yvonne Reich
Jenůfa … Patricia Bänsch
Laca … Keith Boldt
Stewa … Ewandro Stenzowski u.a.
Neue Lausitzer Philharmonie
Chor des GHT Görlitz-Zittau
Choreinstudierung: Manuel Pujol
Szenische Premiere in Görlitz war am 26. April 2014
Weiterer Termin: 1. 6. 2014

Weitere Infos siehe auch: http://www.g-h-t.de


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