240 Lichter, trotzdem ziemlich
dunkel und hinzu etwas
Theaterblut
TRISTAN UND ISOLDE - Sir Donald Runnicles´ letzte Wagner-Premiere an der Deutschen Oper Berlin
|
Bewertung:
Sir Donald Runnicles (seit 2009 Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin) streicht ein Jahr vorher als geplant die Segel; er hat bereits sein Amt als neuer Chefdirigent der Dresdner Philharmonie (in direkter Nachfolge Marek Janowskis) angetreten und wickelt nunmehr - bis zum Ende der begonnenen Saison - die letzten Dirigate seiner Wahl im ersten Hause in der Bismarckstraße ab; neben der gestern Abend seine Deutschlandpremiere gefeiert habenden Tristan und Isolde-Inszenierung aus Genf sind das Wagners RING und Der fliegende Holländer, Puccinis Tosca sowie Korngolds Violanta (Premiere: 25.01.), auch die Gurrelieder von Schönberg wird er musikalisch leiten.
Einen direkten Wechsel, also von GMD zu GMD, wird es erstmal nicht geben. Stattdessen wartet das Haus ab Herbst 2026 mit einem Triumvirat - bestehend aus den Herren Maxime Pascal, Michele Spotti und Titus Engel - auf; eine vorläufige Verlegenheitslösung, so vermute ich, bis irgendwann in naher Zukunft ein adäquater Ersatz für Sir Runnicles gefunden würde. Ein Opernhaus von Weltrang ohne stilprägenden Dirigenten-Chef: irgendwie undenkbar. (Vielleicht wäre auch mal eine Dirigentin im vakant werdenden Amt nicht die verkehrteste der Lösungen, oder?)
Doch nicht genug damit, denn:
Auch der Intendantenwechsel lässt noch eine ganze Spielzeit auf sich warten. Der inzwischen pensionierte Dietmar Schwarz (bis Sommer d.J. dreizehn Jahre lang erfolgreich im Amt) wurde und wird interimsmäßig von Christoph Seuferle, dem langjährigen Operndirektor der DOB, "ersetzt"; er leitet das Haus bis Aviel Cahn (Ex-Generaldirektor des Grand Théâtre de Genève) als neuer Intendant nachrückt - und womöglich erfolgte die Übernahme der aktuellen Tristan-Produktion aus Genf (offiziell ist sie bei beiden Häusern freilich als Co-Produktion ausgewiesen) auf dessen vorsorglichen Wunsch hin; also:
*
Michael Thalheimer hatte inszeniert, Henrik Ahr das Bühnenbild und Michaela Barth die Kostüme kreiert.
In Berlin schöpfte man dann besetzungsmäßig - allein was die fünf Hauptfiguren anbelangte - aus dem Vollen. Drei landauf-landab umherjettende Top-Stars (Clay Hilley als Tristan, Elisabeth Teige als Isolde und Georg Zeppenfeld als König Marke; allesamt auch Bayreuth-Dauergäste) führten diese Riege an. Hinzu gesellten sich Irene Roberts (als Brangäne) und Thomas Lehman (als Kurwenal); beide zählen oder zählten zu den renommiertesten Ensemblemitgliedern der DOB.
In Genf dirigierte seiner Zeit Marc Albrecht - hier nun Sir Runnicles.
Ich hatte Aufführungen der zwei zurückliegenden Tristan-Inszenierungen mehrmals besucht - mit der von Götz Friedrich (1980) begann ich drei Jahre nach der Wende, und da konnte ich geborener Ossi auch zum allerersten Male René Kollo live erleben. Und in puncto Graham Vicks 2011er Sicht der Dinge bedauere ich es im Nachhinein, dass Peter Seiffert (1954-2025) sowie Stephen Gould (1962-2023), die da die Titelrolle sangen, nicht mehr leben.
Musste oder muss das Rad also andauernd neu erfunden werden, fragte ich mich jetzt beim Anblick dieser vielen Zeitlos-Lichter in dem neuen Tristan-Anlauf an der DOB.
Der Thalheimer begründete seinen inszenatorischen Ansatz lt. einem Video auf der Genfer Website etwa so, dass in Anbetracht der absoluten Radikalität dieses wohl radikalsten Liebespaares aller radikalen Liebespaare die zwei Protagonisten "nur Wagner, sich selbst und den jeweiligen Partner" hätten und demzufolge keinerlei weitere Requisiten bräuchten - halt nur Licht und Lichter (von Stefan Bolliger in ihrer 240-fachen Ausleuchtung verantwortet). An sich ist seine Inszenierung zwar im Gros ereignislos, doch bei Personenführungen (falls Wagner seinen Protagonistinnen und Protagonisten während der fünf Stunden permanenter Ansingerei Interaktionen zugestanden haben wollte) punktet er minimal; im dritten Aufzug bei der letzten großen "Aufklärungsszene" (Ankunft Melot, Brangäne, Marke und ihr Aufeinandertreffen insbesondere mit dem völlig außer Rand und Band geratenen Kurwenal) wird das deutlich. Dass sich Isolde bei ihrem Liebestod die Kehle aufschlitzen muss, vermag nicht richtig einzuleuchten; dann hätte sie ja eigentlich keine einzige Note mehr hervorröcheln können; doch egal.
Die Teige hat sich ihre Rolle womöglich etwas zu früh aufgehalst, besonders im zweiten Aufzug wird der stimmliche sprich stimmkräftige Unterschied zum Hilley (der seinen Tristan par exzellence herunterschmetterte) ohrenscheinlich. Publikumsliebling war die Roberts; ihr Liebeswachtgesang "Habet acht", den sie vom 1. Rang aus Richtung Bühne anstimmte, war dann freilich etwas überdimensional. Der Kurwenal mit Lehman: eine Wucht in Tüten. Und Zeppenfelds Marke war und ist wie eh und je ein Fest der Sonderklasse.
Aus dem Orchestergraben klang es hochsolide, aber auch letztendlich viel zu laut.
Das Publikum schien vollkommen entzückt zu sein, geradezu mit allen - außer mit Thalheimer & Co, die dann beim Schlussvorhang deutliches Buhgewitter einheimsen mussten.
In summa war es (allein für mich) der szenisch ödeste Tristan, den ich seit Jahren und Jahrzehnten sah.
|
Tristan und Isolde/i>, inszeniert von Michael Thalheimer | Foto (C) Bernd Uhlig
|
Andre Sokolowski - 2. November 2025 ID 15542
TRISTAN UND ISOLDE (Deutsche Oper Berlin, 01.11.2025)
Musikalische Leitung: Sir Donald Runnicles
Inszenierung: Michael Thalheimer
Bühne: Henrik Ahr
Kostüme: Michaela Barth
Licht: Stefan Bolliger
Dramaturgie: Luc Joosten und Jörg Königsdorf
Chöre: Jeremy Bines
Besetzung:
Tristan ... Clay Hilley
König Marke ... Georg Zeppenfeld
Isolde ... Elisabeth Teige
Kurwenal ... Thomas Lehman
Melot ... Dean Murphy
Brangäne ... Irene Roberts
Ein Hirt ... Burkhard Ulrich
Seemann ... Kangyoon Shine Lee
Steuermann ... Paul Minhyung Roh
Herrenchor der Deutschen Oper Berlin
Orchester der Deutschen Oper Berlin
Premiere am Grand Théâtre de Genève: 16. September 2024
Berliner Premiere war am 1. November 2025.
Weitere Termine: 09., 16., 23.11.2025
Weitere Infos siehe auch: https://deutscheoperberlin.de
https://www.andre-sokolowski.de
Ballett | Performance | Tanztheater
Konzerte
Musiktheater
Neue Musik
Rosinenpicken
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CD / DVD
KONZERTKRITIKEN
LEUTE
MUSIKFEST BERLIN
NEUE MUSIK
PREMIERENKRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
RUHRTRIENNALE
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|