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 *-Sternchen
 |   Bettina Mönch als Julie Nichols, Daniel Berger als Ron Carlisle und Julian Culemann als Dorothy Michaels in Tootsie in der Oper Bonn | Foto © Annabell Dornieden
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 | Bewertung:   
 
 
 „Schätzchen“ oder „Darling“, so lässt sich Tootsie (von „to toot“: dt. hupen, tuten, blasen) aus einem amerikanischen, leicht sexistischem Slang übersetzen. Im Zentrum leuchtender Pailletten, die  atmosphärisch auf den roten Opernhausvorhang projiziert werden, prangt dieses Wort, geläufig als verniedlichende Anrede für eine Frau.
 
 Tootsie basiert auf einer vielprämierten US-amerikanischen Travestie-Komödie von 1982 mit Dustin Hoffman in der Titelrolle. Jessica Lange gewann für ihre Verkörperung der Julie Nichols in Sydney Pollacks Filmklassiker einen Oscar als beste Nebendarstellerin. Andrea Grody und David Chase besorgten 2019 für eine Adaption des Stoffes als Musical musikalischen Arrangements, Simon Hale eine Orchestrierung. Musik und Gesangstexte kommen von David Yazbeck (deutsch von Roman Hinze) und die leicht abgewandelte Geschichte entstammt der Feder eines Buches von Robert Horn.
 
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 Stilvoll und lebhaft dynamisch setzt Gil Mehmert am Theater Bonn das oft absurd erscheinende Musicalgeschehen in Szene. (Der Regisseur hatte Tootsie 2022 bereits als europäische Erstaufführung am Staatstheater am Gärtnerplatz in München inszeniert.) In Bonn setzt Jürgen Grimm die Partitur routiniert mit einer 18-köpfigen Band, vielen Jazz- und Funk-Elementen und Akzentsetzungen durch Rhythmus- oder Blaseinsätze farbig leuchtend um.
 
 
 Die Story
 
 Sie handelt von romantischen und komischen Verwicklungen eines glücklosen, aber talentierten Schauspielers, Michael Dorsey. Der Vierzigjährige bemüht sich intensiv um Engagements. Doch er hat auch aufgrund seiner Rechthaberei den Ruf, schwierig zu sein, was zu einer Reihe von Ablehnungen führt. Dorsey droht aufgrund seines ramponierten Rufs zu verzweifeln.
 
 Inspiriert von seiner Ex-Freundin Sandy setzt er sich bald eine Perücke auf und verkleidet sich und nennt sich Dorothy Michael, um für eine Frauenrolle in einem seichten Musical am Broadway vorzusprechen. Prompt wird als vermeintliche Frau engagiert. Das im Stück produzierte Musical Julias wahre Flamme basiert sehr lose auf Romeo und Julia. Dank des Beitrags von Dorothy, die als Mediensensation bald ihren Durchbruch feiert, wird es schließlich „Julias wahre Amme“ genannt.
 
 Der heterosexuelle Michael verliebt sich jedoch in die Julia-Darstellerin Julie Nichols, die er als Dorothy kennenlernte. Als sich Julie nach den Proben regelmäßig mit Dorothy treffen möchte, geraten seine Empfindungen und sein Privatleben gehörig durcheinander. Der zuerst rein zweckdienliche Wechsel in die Identität einer Frau hat für Dorsey neben ganz praktischen auch psychologische Auswirkungen, die unvermeidlich auch komisch sind. Geschlechterstereotype werden hier auf köstliche Weise auf die Schippe genommen.
 
 
 Auf der Opernbühne dominieren großformatige Elemente die Kulissen-Requisiten. Judith Leikauf und Karl Fehringer setzen die Skyline von New York mit Fassaden und Neon-Leuchtschriften aber auch Bestandteilen eines Broadway-Theaters und Dorseys WG-Wohnung auf beweglicher Drehbühne in Szene. Flüssig und mit Leichtigkeit werden Übergänge zwischen den unterschiedlichen Handlungsorten choreographiert. Gleich zu Beginn fesseln mitreißende Choreographien von Faye Heather Anderson.
 
 Es erscheint kaum nachvollziehbar, dass ein Mann als Frau mehr kreative Macht haben könnte als in seiner eigentlichen Geschlechtsrolle. Julian Culemann wechselt jedoch glaubhaft naht- und mühelos zwischen der lässigen Darstellung des talentierten Schauspielers Dorsey und der inspirierenden und feinfühligen Dorothy Michaels. Der Anfangs noch schwierige, schrullige und herrische Dorsey lernt in der Rolle als Dorothy diplomatisch zu agieren. Culemann stellt beide Seiten seiner Figur leidenschaftlich mit unterschiedlich hohen Stimmlagen dar. Stimmlich solide beeindruckt er mit einfühlsamen und sensiblen Darbietungen von „Was soll man tun“, „Grenzenlos“ und „Sprich mit mir, Dorothy“.
 
 Bald gewinnt Dorsey als Dorothy die Zuneigung der Schauspielerin Julie Nichols, in die er sich verliebt. Bettina Mönch verleiht dieser Figur einfühlsame Tiefe. Sie singt das expressiv funkige und soulige „Alles läuft schief“ mit kraftvoll sinnlicher, atemberaubender Singstimme. Julie gesteht ihrer neuen Vertrauten Dorothy, dass sie einen liebe- und verständnisvollen Mann sucht. Kurz darauf lässt sie mit ihrem „Wer bist du?“-Thema gegenüber Dorothy aufhorchen. Dieses Motiv wiederholt sich im Musical und deutet die Unaufrichtigkeit Dorothys/ Dorseys an.
 
 Mathias Schlung mimt den unbekümmerten WG-Mitbewohner und besten Freund Dorseys als sympathischen Sidekick. Der zurückhaltende Jeff Slater kann während seiner Tirade „Jeff fasst zusammen“ auftrumpfen. Hier kritisiert er ganz unverblümt das komplizierte Szenario, das Michael Dorsey für sich und die anderen geschaffen hat.
 
 Für Lachsalven sorgt auch Vera Bolten in der Rolle der Sandy Lester, Michaels neurotische, chronisch verstörte Exfreundin. In ihrem Song „Was passier’n wird“ treibt sie, stets das Schlimmste erwartend, tobend ihre negativen Gefühle auf die Spitze. Auf berührende Weise stellt Bolten voller lebhafter Energie mit übertriebenen Gesten die Unsicherheiten im Leben einer arbeitslosen Schauspielerin dar.
 
 Jan Nicolas Bastel spielt den begriffsstutzigen, einfältigen aber sehr attraktiven Max Van Horn, der als männlicher Cast eine Hauptrolle im Musical ergatterte und gerne seinen nackten Oberkörper präsentiert. Voller versteckter Selbstzweifel und amüsanter Ahnungslosigkeit fühlt er sich auf liebenswerte Weise zu der älteren Dorothy hingezogen.
 
 Daniel Berger hinterlässt als extravaganter, prätentiöser und eingebildeter Regisseur und Choreograf Ron Carlisle einen bleibenden Eindruck. Auch er hat lüstern ein Auge auf Julie Nichols geworfen, der er nachstellt. Berger überzeugt mit tänzerischem Können, wenn er unverhohlen völlig übertrieben in Nummern die Choreografie erklärt und gleichzeitig vorführt.
 
 Bemerkenswert ist auch Susanna Panzner in der Rolle der Produzentin Rita Marshall, die voller Durchsetzungskraft mit Herzlichkeit und gegen Widerstände Dorothy Michaels entschlossen fördert.
 
 Das komödiantische Timing überrascht mit nahtlosen Übergängen schneller Szenen- und Kostümwechsel. Das Ensemble erhält mit mitreißenden Tanzchoreographien und Nummern wie „Heut' kommt's auf alles an“ die Energie auf der Bühne aufrecht. Das Musical wartet auch mit humorvollen Momenten auf, wie einem Vorsingen von Schauspielerinnen voller falscher und schräger Töne. Regisseur Mehmert, der übrigens mit Hauptdarstellerin Bettina Mönch verheiratet ist, setzt mit witziger Detailarbeit Akzente, wenn er das Konterfei von Dorothy Michaels in einer Choreografie auf dem Höhepunkt ihres Ruhmes auf Plakaten großer Broadway-Erfolge mit Leading Ladys wie Hello Dolly und Cabaret inszeniert.
 
 Gemäß der heute auch etwas altmodisch anmutenden Filmvorlage werden einige Klischees oberflächlich bedient. Hier dürfen Zuschauende nichts allzu Tiefgründiges oder Subtiles erwarten. Michael überdenkt seine Geschlechtsidentität nicht und outet sich auch nicht als Dragqueen. Er trägt letztendlich mögliche Konsequenzen seines Handelns, indem er vor seiner Geliebten Julie nicht mehr im Kleid auftreten möchte. In der fiktiven Konstellation der Theaterwelt zeigen sich schlussendlich auch die Produzentin Marshall und der Regisseur Carlisle vor allem geschockt über den Betrug ihres Bühnenstars, ohne diese List mit Humor zu nehmen oder Verständnis für sein Geständnis anzudeuten. Das bebildert in unserer heutigen Zeit wohl freilich kaum einen gelungenen Beitrag zur möglichen Geschlechterfluidität und erscheint sogar etwas transphob, denn eine abschließend kritische Reflexion ist an dieser Stelle leider nicht erkennbar. Daher ein Punktabzug in der Gesamtbewertung.
 
 Insgesamt ist Tootsie jedoch eine leichte und herzerwärmende, unbeschwert amüsante Unterhaltung mit mitreißenden Rhythmen, liebevollen Tanznummern, pointiertem Witz und einer herausragenden Ensemblearbeit.
 
 
 
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 |   Tootsie in der Oper Bonn | Foto © Bettina Stöß
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 Ansgar Skoda - 31. Oktober 2025
 ID 15540
 TOOTSIE (Oper Bonn, 26.10.2025)
 von Robert Horn (BUch) und David Yazbek (Musik und Gesangstexte)
 Musikalische Leitung: Jürgen Grimm
 Regie: Gil Mehmert
 Regiemitarbeit: Kai Hüsgen
 Bühne: Judith Leikauf und Karl Fehringer
 Kostüme: Claudio Pohle
 Licht: Michael Heidinger
 Choreografie: Faye Heather Anderson
 Mit: Julian Culemann, Bettina Mönch, Vera Bolten, Mathias Schlung, Jan Nicolas Bastel, Daniel Berger, Susanna Panzner, Michael Ophelders, Bernard Niemeyer, Nina Janke und Michael Ophelders
 sowie Elena Franke, Yoko El Edrisi, Veronique Spiteri, Gioia Heid, Lukas Schwedeck, Lorenzo Eccher, Nils Axelsson, Paolo Ciferri, Adriano Sanzo und den Swingern Anna-Julia Rogers & Oriol Sánchez i Tula
 Statisterie des Theater Bonn
 Premiere war am 26. Oktober 2025.
 Weitere Termine: 08., 15.11./ 06., 13., 22.12.2025// 01., 27.01./ 14., 28.02./ 20., 24., 28.03./ 06., 11., 16., 24.04./ 14.5.2026
 Eine Kooperation mit dem Staatstheater am Gärtnerplatz, München
 
 Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de
 
 
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