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Konzertbericht

Von Engeln

beflügelt



Suzanne Vega im Kölner Theater am Tanzbrunnen | Foto © Ansgar Skoda

Bewertung:    



Gegen 20 Uhr kommt Suzanne Vega mit raschen Schritten auf die Bühne. Begleitet wird sie von Gerry Leonard. Der Ire übernimmt seit Jahren bei ihren Konzerten und im Studio Gitarrenparts und produzierte auch das im Mai erschienene neue Album Flying with Angels. Die Sängerin trägt ein schlichtes, dunkles Jackett. Beim Einstiegssong Marlene on the wall, einer Hommage und Reminiszenz an Marlene Dietrich, setzt sie sich einen Zylinder auf. Ihr erster weltweiter Hit von 1985 ist ein kraftvoller Einstieg für ihre Performance. Vega setzt Akzente und macht Pausen, mit sanftem Timbre und nuanciertem Ausdruck in der Stimme.

Vega verkörpert mit burschikoser Eleganz die gediegene Coolness der New Yorker Künstler. Gerry Leonard steuert bei 99.9 F° und Caramel sphärische Soli mit Looping-Techniken und dem Übereinandersetzen mehrerer Sounds und Effekte bei. Schimmernde Lichtspiele an den Wänden sorgen mit warmen Tönen für eine romantisch entspannte Atmosphäre. Gutgelaunt erzählt Vega, dass sie während ihrer Konzertreisen auch angespornt sei, die Sprache der Länder zu erlernen, in denen sie auftrete. Prompt probiert sie sich an Brechts und Weills Moritat von Mackie Messer (Mack the Knife). Während sie beim Ablesen der Lyrics von einem Blatt die Melodie einhält, hilft sie sich auf sympathische Weise mit Ausrufen wie "ups" oder "Wrong Verse" über komplexere Zeilen mit Umlauten hinweg.

Die Songs der Singer-Songwriterin schöpfen mit einem Hauch von Beiläufigkeit aus dem unergründlichen Fundus des Lebens. Die gefühlvoll performte Songparabel Small blue thing aus ihrem Albumdebüt lädt introspektiv zu einer Reise in Momentaufnahmen und bildhaften Vergleichen in die wundersame Welt der Natur und Spiritualität ein. Im Refrain lauten die Verszeilen "I am lost inside your pocket/ I am lost against your fingers/ I am falling down the stairs/ I am skipping on the sidewalk/ I am thrown against the sky/ I am raining down in pieces/ I am scattering like light" (dt.: Ich bin verloren in deiner Tasche./ Ich bin verloren zwischen deinen Fingern./ Ich falle die Treppe hinunter./ Ich hüpfe auf dem Bürgersteig./ Ich werde gegen den Himmel geworfen./ Ich regne in Stücken herab./ Ich zerstreue mich wie Licht.)

Vegas Folk-Musik ist unter anderem beeinflusst von dem kanadischen Singer-Songwriter Leonard Cohen. Bei ihrer Ansage für den Song Gypsy erzählt die 66jährige von einem Cohen-Code für Beziehungen. Die New Yorkerin schrieb Gypsy 18jährig als Gruppenleiterin im Ferienlager. In ihrer Jugend entschied die Frage "Magst du Leonard Cohen?" darüber, ob jemand für ein Date in Frage kam. Wer auf die Frage mit "wen?" kontert, kam nicht in Frage. Vega macht sich nun charmant über den zwanghaften Optimismus ihrer Landsleute lustig. Denn die gängige Antwort war damals, Cohen zu mögen. Allerdings nur in gewissen Momenten, um nicht durch eine uneingeschränkte Bejahung als depressiv zu gelten. Vega wurde diese Frage von einem Engländer gestellt. Als sie dem Code entsprechend antwortete, entgegnete er "Welche Stimmung? Ich liebe ihn die ganze Zeit." Sie wurden für einige Wochen ein Paar und sie schrieb ihm den Song.

Ihre Fähigkeiten als literarisch bewanderte Erzählerin bringt die Singer-Songwriterin in witzigen und interessanten Anekdoten auch zu den Entstehungshintergründe ihrer neuen Songs zur Geltung, zu denen sie regelmäßig übergeht. So ist ihr neuer Song Chambermaid von einem Traum inspiriert, in dem sie Bob Dylans Zimmermädchen war. Sie erzählt davon, dass sie mal vor vielen Jahren als Support von Bob Dylan auftrat. In diesem Zusammenhang hatte sie auch ein intimes Gespräch mit der legendären, US-amerikanischen Musikikone unter vier Augen. Er habe lächelnd mit strahlenden Augen und Zähnen eine so große Wirkung hinterlassen, dass sie alles vergessen habe, worüber sie gesprochen hätten. Den wagemutigen, freundschaftlichen Kuss, den sie ihm gab, werde sie jedoch in Erinnerung behalten.

Die stimmungsvollen Arrangements sind bald nicht mehr nur gitarrengetrieben, wenn sich zu dem Bühnenduo auch die New Yorker Cellistin Stephanie Winters gesellt und auch Percussions und Backing Vocals besorgt. Beim vielleicht ironisch gemeinte Bekenntnis I never wear white“ erklärt Suzanne Vega Schwarz zu ihrer Farbe, während sie auf der Bühne tänzerisch herumwirbelt.

Die Künstlerin meint vor der sachten Darbietung von Flying with angels, so der Titelsong ihres neuen Albums, dass sie mitunter auch an Übersinnliches oder (Schutz-)Geister glaube, von denen dieser Song handle. Ein interessanter neuer Song ist auch das rockig-raue Speaker’s Corner, das von Meinungs- und Versammlungsfreiheit handelt. Vor ihrer Darbietung des Songs spricht die New Yorker Künstlerin zwei Zeilen der Lyrics laut aus: „I guess we better use it now/ Before we find it gone“ (dt.: „Ich denke, wir sollten sie besser jetzt nutzen, bevor es sie nicht mehr gibt.“) Sie deutet so drohende Gefahren für aktuelle Demokratien an.

Die Hintergründe für die kompositorisch recht abwechslungsreichen Songs verblüffen und machen auf die Texte neugierig, denen die Konzertbesucher jedoch nicht immer folgen können. Einen einzigartigen Flair verbreitet natürlich auch Suzanne Vegas alterslose und klare Stimme, die mit ihrer spröden Eintönigkeit, einem unverwechselbaren Hauch von Beiläufigkeit und Understatement für sich einnimmt. Untermalt wird ihr Gesang durch ein gekonntes Akustikgitarrenspiel mit Folk-Elementen, ungewöhnlichem Beat und rockigen Passagen. Während frühere Alben der mittlerweile 66-Jährigen oft Einsamkeit thematisieren, geht es Vega in ihrem späteren Oeuvre um Verbindendes
zwischen den Menschen. Die Songs bestechen durch melodische Kniffe und unerwartete Arrangements.

Gegen Ende ihres Konzertes singt Vega noch mit kühl zurückgenommener und präsenter Stimme ihren größten Hit Luka. Der Song beschreibt hintergründig die Sicht eines misshandelten Jungen. Der harmonisch dicht instrumentierte Song lässt erst beim genaueren Hinhören erahnen, dass es um gesellschaftliche Verdrängung von häuslicher Gewalt geht. Der angenehm unaufgeregt vorgetragene Refrain bewegt viele im Publikum: "Just don't ask me what it was - You just don't argue anymore." Darauf folgt ohne eine längere Unterbrechung Tom’s Diner, das berühmte Lied über Toms Restaurant in der 112. Straße, Ecke Broadway in New York City. Während Tom’s Diner trägt die Komponistin nun wieder einen Zylinder und bewegt sich schwungvoll und elegant im Takt der Musik. Angelehnt ist die dynamische Performance an den DNA-Remix des ursprünglichen A-Cappella-Stücks. Das britische Produzenten-Duo DNA hatte 1990 einen nicht autorisierten Remix gemacht. Vegas damalige Plattenfirma A&M kaufte die Single auf, um sie erfolgreich selber zu veröffentlichen. Mittlerweile hat Vega keinen Plattenvertrag mehr und gründete ihr eigenes Label 'Amanuensis'.

Als erste Zugabe bringt die Sängerin noch Walk on the Wild Side von ihrem 2013 verstorbenen Freund Lou Reed. Zur zweiten, das Publikum erstaunlich erheiternden Zugabe Tombstone (dt.: Grabstein) erzählt Vega, dass sie von ihrer Mutter inspiriert gewesen sei. Diese habe ihr während eines Telefonats berichtet, wie sie eine 17 Jahre alte Katze nach dem Ableben erst lange wusch, dann in ein Kästchen legte, dieses auf ein kleines Floß befestigte, welches sie in einen Fluss und in Brand setzte. Vega habe den Song Tombstone 1996 geschrieben, um zu verinnerlichen, dass sie niemals nach aufwendigen Ritualen derart beerdigt werden möchte.


Herzlich bedankt sich die Künstlerin gegen Ende bei ihrem Publikum. "Back then, we rehearsed and sang in our living rooms. However, it is much more exciting in front of an audience." (dt.: Damals probten und sangen wir in unseren Wohnzimmern. Vor einem Publikum ist es jedoch viel spannender.) Als letzte Zugabe performt das Trio noch das gefühlvolle Highlight „Galway“ aus Vegas jüngsten Album. Ein höchst stimmungsvolles und denkwürdiges Konzert.



Schlussapplaus für Gerry Leonard, Suzanne Vega und Stephanie Winters (von links nach rechts) im Kölner Theater am Tanzbrunnen | Foto © Ansgar Skoda

Ansgar Skoda - 17. Oktober 2025
ID 15518
Weitere Infos siehe auch: https://www.suzannevega.com/


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