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Liederabend

Vom Opernboogie

bis zum Furz...

...und einiges mehr von und über Georg Kreisler (1922-2011)

Bewertung:    



Das Lachen bleibt einem hier oftmals im Halse stecken. Wie kein anderer nimmt dieser widerständige Geist gesellschaftliche Missstände aufs Korn: Georg Kreisler (1922-2011) war einer der ganz Großen des deutschsprachigen Kabaretts und Träger des Hölderlin-Preises sowie des Prix Pantheon. In den Frankfurter Kammerspielen inszenierte Martha Kottwitz (musikalische Einrichtung: Christina Lutz) einen höchst unterhaltsamen Liederabend mit Torsten Flassig als Verkörperung Kreislers und dem Pianisten Yuriy Sych. Dabei folgt der Abend keinem traditionellen Muster. Flassig begrüßt die Zuschauer aus der ersten Reihe des Publikums heraus, indem er den hinter sich Sitzenden Fragen stellt. Dann öffnet sich der Theatervorhang, und Yuriy Sych stimmt am Klavier munter einige Jazz-Improvisationen an. Er wartet geduldig auf seinen Kompagnon, der sich auch vom Publikum herauf auf die Bühne bitten lässt. Flassig brilliert dann schon beim eröffnenden Lied Opernboogie und sorgt auch bei Liedern wie Please shoot your husband oder Das Triangel für große Bühnenmomente.

Mit Anekdoten führt Flassig durch Stationen im bewegten Leben des virtuosen Entertainers, der bereits in jungen Jahren als Musiker erfolgreich war. Während des Liederabends werden in schneller Folge etwa fünfzehn Lieder der besonderen Künstlerpersönlichkeit präsentiert. Bekannt war Kreisler als Schriftsteller, Satiriker und Komponist, der seine grotesken und bösartigen Geschichten mit einem freundlichen Lächeln präsentierte und bei seinem Publikum eine seltsame Mischung aus Belustigung und Irritation erzeugte. Mit beißender Satire und Überspitzungen, die gerne auch übertreiben, wandte er sich schlussendlich vor allem gegen Charakter- und Gewissenlosigkeit.

Nichts war vor ihm sicher; weder die kleinen menschlichen oder unmenschlichen noch die großen politischen Boshaftigkeiten wie der Antisemitismus. Es beeindruckt die Frische sowie die Freude am Zynismus und an der Provokation von Kreislers Texten. Kreislers Telephonbuchpolka geht dem heute 38-jährigen Berliner Torsten Flassig wie aus einem Guss über die Lippen. Bei den Liedern Weg zur Arbeit und Ich kann tanzen vermittelte Flassig, wie sehr Text und Gesang eine Einheit bilden und dass auch traditionelle Genres wie Polka oder gar der Walzer für Kreisler keineswegs tabu waren. Noch immer gelingt es Kreisler mit seinen Texten das Publikum mit abgründigem, beißendem, aber auch hintergründigem Humor zu begeistern. In seiner meisterlichen Sprache hält er der Gesellschaft den Spiegel vor und püriert alle Konventionen ordentlich durcheinander.

Kreisler konnte auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Das Kind jüdischer Eltern wuchs in Wien in einer von Judenhass geprägten Gesellschaft auf. 1938 emigrierte er nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich in die USA. Während des Zweiten Weltkriegs trat der Soldat Kreisler als Entertainer im "Camp Ritchie" auf, einem Ausbildungslager der US-Armee für jüdische Emigranten. Später begann er unter schwierigen Umständen seine Bühnenkarriere als Jazzpianist in der New Yorker Monkey Bar. Dort kam allerdings sein dekadenter Wiener Humor nicht eben gut an, sodass er in den 1950er-Jahren wieder zurück nach Europa ging und nach Wien, wo er in der Marieta Bar regelmäßig auftrat.

Auf der Bühne der Kammerspiele schafft Marco Pinheiro mit kleinen Tischen und Stühlen und passenden Gläsern ein atmosphärisches Bar-Setting. Kreislers Lieder waren auch im Österreichischen Rundfunk zeitweise verboten.

Flassig berührt das Publikum mit seinem Gesang von Kreislers schwermütigen Lied Was sagt man zu den Menschen, wenn man traurig ist. Auch das wirkungsvoll vorgetragene Lied Barbara von 1961 hat eine eigene Geschichte. Kreisler war bereits dreimal geschieden und Vater dreier Kinder, bis er 15 Jahre nach der Komposition seines Liedes 1976 Barbara Peters kennenlernte, die 1977 seine Bühnenpartnerin und Lebensgefährtin wurde. 1985 heiratete er die zwanzig Jahre jüngere Frau. Weitere Stationen des nunmehr gemeinsamen Lebensweges waren dann München, Berlin und Basel. Ab 2007 lebte das Paar dann überwiegend in Salzburg. Hier endet auch die Frankfurter Bühnenerzählung vom Lebensweg Kreislers.

Mit seinen scharfsinnigen Theatertexten, Essays, Kurzgeschichten und Satiren fand Kreisler meist keine Verlage. 2010 erschien sein Buch Anfänge. Eine literarische Vermutung. Hier meint Kreisler „Alle Anfänge sind leicht ... nur das Durchhalten ist schwer." Ähnelt er im Anfang eben dieser Aussage noch Hermann Hesse ("Allem Anfang wohnt ein Zauber inne"), so führt er uns anhand einiger gelungener Romananfänge (Krimi, Familienroman) in ironischer Weise vor, dass auch die zweite Aussage seiner Lebensweisheit gilt – eben weil er viele seiner Romane selbst nicht weitergeschrieben hat.

Aber durchgehalten hat Kreisler Jahrzehnte lang: Das, was sein Werk ausmacht, kam auch am Konzertabend mit Torsten Flassig und Yuriy Sych beim Publikum an.

Der spielerisch sehr präsent dargebotene Liederabend voller heiterer Melodien zu oftmals traurigen Texten entstand in brieflicher Rücksprache mit der Kreisler-Witwe Barbara Peters. Einige Orte, die Stationen der Inszenierung abbilden, bestehen auch heute noch, wie etwa die New Yorker Jazzbar.

In den 50er und 60er Jahren hatte er Erfolge mit seinem wohl bekanntesten, makabren Chanson Gehn ma Tauben vergiften im Park. Dieses Lied wird am Abend nicht zur Aufführung gebracht. Kreisler mochte es zuletzt nicht mehr, wie er noch Juni 2011 während einer von mir besuchten Lesung im Bonner Pantheon erzählte. Er hat es auch persönlich nicht mehr dargeboten. In den Kammerspielen gibt es am Ende noch nach dem Schlussapplaus zwei Überraschungszugaben.



Yuriy Sych und Torsten Flassig (vorne) in Heute leider Konzert! mit Liedern und Texten von Georg Kreisler am Schauspiel Frankfurt | Foto (C) Jessica Schäfer

*

Zum Ende dieser Besprechung noch ein Hinweis: Auf Kritiker war Kreisler nie gut zu sprechen. Wer dazu Genaueres wissen möchte, der sollte sich doch einfach mal seinen Chanson Der Musikkritiker anhören, der in den Kammerspielen live performt wurde. Köstlich, wenn man's nicht grad selbst ist, den er da meint!

Ansgar Skoda - 14. Dezember 2025
ID 15607
HEUTE LEIDER KONZERT! (Kammerspiele, 11.12.2025)
mit Liedern und Texten von Georg Kreisler

Regie: Martha Kottwitz
Bühne und Video: Marco Pinheiro
Kostüme: Mirjam Kiefer
Musikalische Einrichtung: Christina Lutz
Dramaturgie: Jana Fritzsche
Licht: Tobias Lauber
Mit: Torsten Flassig und Yuriy Sych
Premiere war am 11. Mai 2024.
Weitere Termine: 25.12.2025// 12.01.2026


Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspielfrankfurt.de


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