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Rezension


Die Letzte macht das Licht aus – Elektra (Theater Lübeck)



Elektra am TheaterLübeck - Foto (C) Thorsten Wulff



Der erste Eindruck täuscht. Elektra betritt ein Zimmer und macht es sich auf der Couch gemütlich, was oberhalb der Szene vom weiß bekittelten Personal argwöhnisch beäugt wird. Couch? Beobachtung? Weiße Kittel? Ah so! Regisseur Reto Nickler schickt Elektra also in die Klapsmühle. Ist sicher besser so. Vom psychologischen Standpunkt aus betrachtet, läuft die Frau ja sowieso nicht ganz rund. Aber ein paar Takte später stellt sich dann heraus, dass es gar keine Kittel sind. Und demzufolge ist das auch keine geschlossene Abteilung. Aber jetzt! Neue Schränke werden geliefert, eine olle Matratze - und bitte Vorsicht mit der Badewanne! Ist Elektra gerade erst eingezogen? Sind das Erbstücke ihres Vaters Agamemnon? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ist im Grunde nicht weiter von Belang. Was man jedoch gern gewusst hätte, ist, weshalb diese Gegenstände nicht bereits im Zimmer sind, sondern mit viel Mühe nach unten bugsiert werden müssen.

Ab und zu schaut ein stummes Kind vorbei. Da kommen nun wirklich keine Zweifel mehr auf: Es ist die kleine Elektra. Chrysothemis dagegen steckt schon mitten in der Pubertät. Sie will zeigen, dass sie jetzt eine richtige Frau ist - und zieht sich erstmal aus. Nein? Doch noch nicht? Na dann schnell wieder rein in die Klamotten. Nach einer reichlichen halben Stunde kreuzt dann Klytämnestra mit einigen Eimern auf. Mutti kippt bunte Farben aus (liebe Grüße an Harry Kupfer), reißt einen Teil der Wandbekleidung herunter und will wohl damit für einen Tapetenwechsel sorgen. Soll unser Dorf Mykene schöner werden? Ach, Aktionismus auf der Bühne ist doch was Feines. Später stellt sich heraus, dass Elektra kahlköpfig ist. Dennoch will die Regie hier keinen physisch erklärbaren Krebstod vorwegnehmen. Die Metapher mit der geschlossenen Tür steht natürlich für einen Menschen, welcher sich von seiner Umwelt abgekapselt hat. Elektra hat sich eingesperrt, und zwar in sich selbst. Einzig Orest kann diese Mauer noch durchbrechen, eine emotionale Verbindung zu seiner Schwester herstellen. Was sie in Liebe vereint, ist der mörderische Hass auf die Mutter. Allein darauf hätte sich Nickler einschiessen sollen. Doch die szenischen Störfeuer im Obergeschoss und diese vielen angerissenen Interpretationsansätze rächen sich: Eine in die Breite gebaute Inszenierung ist das Resultat. Elektra erhebt sich am Ende einfach vom Sofa, gibt uns nichts weiter auf den Weg und löscht das Licht. Feierabend!

Diese Strauss-Oper darf nicht zu laut gespielt werden, muss aber dennoch scharfe Konturen aufweisen. Die Dissonanzen sollten unbedingt in den Fluss der Musik eingebunden sein. Ebenso die übereinander gelagerten Schichten der Partitur. Wenn dann noch die Wahl der Tempi bezwingend ausfällt, steht dem orchestralen Rausch so gut wie nichts mehr im Weg. Roman Brogli-Sacher hat in seinen vielen GMD-Jahren am spätromantischen Klang des Philharmonischen Orchesters gefeilt - und darf nun die Ernte einfahren. Dass dies gerade bei Elektra passiert, ist quasi die Kirsche auf dem Sahnehäubchen. Bravo!

Veronika Waldner beweist zwar, dass eine Klytämnestra ohne Keiftöne gesungen werden kann, dafür mangelt es ihr an Glaubwürdigkeit. Während Manuela Uhl (Chrysothemis) etwas Anlaufzeit benötigt, um sich aus einem weinerlichen Tonfall zu befreien, kostet Markus Ahme die wenigen Minuten genüsslich aus, die dem Ägisth zur Verfügung stehen. Eine glatte Wucht ist der Orest. Antonio Yang singt diese Partie mit genauester Artikulation, inniglich, ja, beinahe zärtlich. Wie bekommt das Theater Lübeck eine Opernsängerin unter Vertrag, die im nächsten Sommer den Grünen Hügel erklimmen wird? Antwort: Weil Catherine Foster klug ist. Allzu lang hat sie die Elektra nämlich noch nicht in ihrem Repertoire. Und bevor die wirklich großen Staatsopernhäuser an der Reihe sind, geht es Foster wohl darum, zunächst Erfahrungen mit dieser Rolle zu sammeln. Sie hat bereits für Brünnhilde und Isolde diesen Weg gewählt - und ist gut damit gefahren. Foster singt die Elektra nicht als metallische Kampfmaschine, sondern als lyrisches Kraftbündel mit warmen, aufblühenden Sopranspitzen. Lang, lang ist's her, dass die Ohren dies hören durften: Eine Elektra, die elektrisiert.




Elektra am TheaterLübeck - Foto (C) Thorsten Wulff


Heiko Schon - 14. Oktober 2012
ID 6260
ELEKTRA (Theater Lübeck, 12.10.2012)
Musikalische Leitung: Roman Brogli-Sacher
Inszenierung: Reto Nickler
Ausstattung: Hartmut Schörghofer
Licht: Falk Hampel
Video: Volker Hahm
Dramaturgie: Sascha Mink
Besetzung:
Klytämnestra … Veronika Waldner
Elektra … Catherine Foster
Chrysothemis … Manuela Uhl
Ägisth … Markus Ahme
Orest … Antonio Yang
Der Pfleger des Orest … Johan Hyunbong Choi
Die Vertraute … Rebecca Kwon
Die Schleppträgerin … Steinunn Skjenstad
Ein junger Diener … Daniel Szeili
Ein alter Diener … Ivan Lovric-Caparin
Die Aufseherin … Imke Looft
u. a.
Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck
Chor des Theater Lübeck
Choreinstudierung: Joseph Feigl
Premiere war am 12. Oktober 2012
Weitere Termine: 21., 27. 10. / 11., 30. 11. / 13., 21. 12. 2012 / 19. 1. / 9. 2. / 14. 3. 2013

Weitere Infos siehe auch: http://www.theaterluebeck.de


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