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Rezension


21. April 2013, Philharmonie Essen

LEIDENSCHAFT UND FORM

Klavierabend des polnisch-ungarischen Pianisten Piotr Anderszewski


Das ist Piotr Anderszewski - Fotoquelle: http://www.philharmonie-essen.de




Schumann hört man selten wirklich gut gespielt. Zu ungewöhnlich, zu ungestüm war sein Genie. Nichts für die kleinen Geister! Große Gefühle, riesige Bögen – das alles war präsent bei Piotr Anderszewski im Konzert am vergangenen Sonntag in der Essener Philharmonie. Schöner Gesang in der Schumannschen Fantasie C-Dur? Bitte schön! Punktierter Rhythmus? Aber wie! Stellen Sie sich eine Mischung von Chopin und Liszt vor: Eine Kreuzung, die nur ein ungläubiges Kopfschütteln und Lachen hervorrufen kann. Und doch ist diese verrückte Assoziation nicht ganz fehl am Platz bei Anderszewski: Er ist nämlich polnisch-ungarischer Abstammung. Nach seinen eigenen Worten kann er Liszt nicht leiden – und spielt ihn auch nicht. Doch egal, was der Pianist sagt: Er hat Paprika im Blut! Und davon profitiert sein Schumann. Er ist nervös, leidenschaftlich – doch kann er auch sehr bedacht sein, eindringlich. Anderszewski genießt es, die Töne wie aus dem Nichts herbeizuzaubern – und im Nichts wieder verschwinden zu lassen. Die Kultur des Anschlages ist bei ihm sehr hoch – auch im Fortissimo „trommelt“ der Flügel nicht, sondern entfaltet eine wirklich königliche Farbenpracht!

Piotr Anderszewski ist dafür bekannt, dass er seine Programme sehr sorgfältig zusammenstellt. Damit zeigt er noch eine seiner Stärken: das Gefühl für die Form, für das Ganze. Nicht nur die Komposition an sich – sondern das Konzert an sich, die CD an sich! Das ist sehr wichtig für Anderszewski. Eine wohldurchdachte Dramaturgie steckt hinter allem, was er macht. Man bekommt den Eindruck, dass er nicht nur den Inhalt, sondern sogar die Tonalität der Werke berücksichtigt. Oft stehen Kompositionen nebeneinander, die entweder in derselben Tonart geschrieben sind, oder verwandt, oder ein Dur-Moll-Paar bilden. So wie die Englische Suite Nr. 3 in g-Moll und die Französische Suite Nr. 5 in G-Dur – das geliebte Duo, inzwischen fast unzertrennlich, mit dem Anderszewski gerne seine Klavierabende beginnt. Auch das Konzert in der Essener Philharmonie wurde mit diesen beiden Bachschen Werken eröffnet. Sie klangen allerdings weniger inspiriert, als im Dezember 2012 in Berlin. Eigentlich ist Anderszewski ein Künstler, dessen Interpretationen immer „frisch wie am ersten Tag“ klingen. Naja – fast immer! Denn auch Musiker sind Menschen und keine Götter. Auch sie erleben ihre Höhen und Tiefen, haben bessere und schlechtere Tage. In einem Interview auf YouTube erzählt Anderszewski, dass er viel Zeit braucht, um ein Werk einzustudieren. „Vielleich ist es ein Handicap – vielleicht aber auch mein Reichtum!“ Sicherlich stimmt das Letztere. Denn Piotr Anderszewski ist ein sehr ernster und sehr begabter Musiker. Er ist in gleichem Maße temperamentvoll und intellektuell. In seiner Arbeit als Interpret geht er sowohl sinnlich als auch analytisch vor. Ein selten ausgewogenes Talent! Auch seine künstlerische Ethik, die Haltung gegenüber dem musikalischen Werk kann man nicht hoch genug preisen: Wenn man jemanden niemals des Narzissmus bezichtigen kann, dann Anderszewski! Mit seinem stark ausgeprägten Gefühl für die Form erinnert er an einen Bildhauer. Jede Komposition umfasst er als Ganzes, sieht sie mit seinem inneren Blick vor sich wie eine Skulptur. Die Idee ist wichtig, das Was, doch nicht weniger wichtig ist das Wie. Liebevoll feilt der Künstler an jedem Detail. Im Konzert merkt man aber nichts davon. Der Pianist haucht das Leben in jede Komposition hinein. Als Interpret ist er wirklich begnadet mit den Fähigkeiten eines Propheten, der dazu fähig ist, die Herzen zu erschüttern. Das kommt allerdings nur dann vor, wenn Anderszewski sich genug Ruhe vor dem Konzert gönnt. Mit dem jetzigen Programm (Bach - Janaček– Schumann) tourt er seit Monaten intensiv quer durch Europa. Er tritt manchmal mehrere Male pro Woche auf – und immer mit denselben Kompositionen. Doch für die geistige Nahrung gilt dasselbe Gesetz wie für die leibliche: Man kann nicht immer die gleiche Kost zu sich nehmen und sie dabei genießen. Irgendwann rebelliert der Körper und braucht Abwechslung. Und genau das geschieht, wenn ein Musiker zu oft ein und dasselbe Programm spielt.


Leyla Jasper - 23. April 2013
ID 6696
KLAVIERABEND (Philharmonie Essen, 21.04.2013)
Johann Sebastian Bach: Englische Suite Nr. 3 g-Moll, BWV 808 / Französische Suite Nr. 5 G-Dur, BWV 816
Leoš Janáček: Auf verwachsenem Pfad, Teil 2
Robert Schumann: Fantasie C-Dur, op. 17
Piotr Anderszewski, Klavier


Weitere Infos siehe auch: http://www.philharmonie-essen.de


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