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nachDRUCK # 5

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Premierenkritik

Sklaven der Triebe


Es ist schon erstaunlich, was sich Wolfgang Joop für die nächste Zeit alles vorgenommen hat: Er will Schlüpper an die Börse bringen, eine deutsche Kaufhauskette aufmöbeln und mit seinen Bussi-Bussi-Winke-Winke-Auftritten der Deutschen Oper den nötigen (?) Faktor Glamour verschaffen. Doch mit seiner Kunst der Selbstdarstellung kann er einem nicht mehr helfen: Don Giovanni. Dafür kommt nicht nur Joop zu spät, auch die Zeiten haben sich geändert. Heute redet keiner mehr um den heißen Brei: Wohl jeder versteht was vom Vögeln und hat seine Meinung dazu. Der eine behält sie für sich, die Mehrheit hat Medien, Foren, Portale um sie der Öffentlichkeit kund zu tun. Das sexuelle Verhalten hat sich gewandelt: Der Körper ist Ware, man konsumiert und was bestellt wird, wird geliefert. Geld spielt bei dieser Entwicklung eine wichtige Rolle, denn, wie traf Désirée Nick den Nagel so schön auf den Kopf: An Treue verdient ja keiner was. Was soll Don Giovanni einer Gesellschaft wie der unsrigen also noch beibringen? Wie anders als mit Schulterzucken reagieren, wenn auf der Bühne das ach so schändliche Verhalten des Verführers angeprangert wird? Roland Schwab macht sich in seiner Inszenierung gar nicht erst die Mühe, eine Lösung des Problems anzubieten. Denn die Möglichkeit, keine Fragen zu stellen, bietet auch den bequemen Vorteil, darauf keine Antworten geben zu müssen. Schwab tut das, was immer irgendwie geht: Er hält uns den Spiegel vor...



Don Giovanni: Ildebrando d´Arcangelo; Leporello: Alex Esposito; Donna Anna: Marina Rebeka; Donna Elvira: Ruxandra Donose; Don Otavio: Yosep Kang - Photo: Marcus Lieberenz im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN


Es gibt ihn nicht, den einen Don Giovanni. Es ist nur eine Rolle, die wir spielen, nur halt in immer anderen Varianten. Sex ist ein Freizeitspaß wie Golfen: Wir halten den Schläger in der Hand und vor uns liegt das Objekt der Begierde, der attraktive Spielball. Wir lochen ein, Schlag auf Schlag - neues Spiel, neuer Fick. Schwab startet zunächst im stylisch ausgeleuchteten Halbdunkel. Zur Registerarie schleift Don Giovannis Alter Ego Leporello eine schwarze Mülltüte an die Rampe: Bedeutungslose Erinnerungen an Plastikgefühle in einem Plastiksack. Die Party zum Ende des ersten Aktes findet in einem SM-Club statt (im Programmheft verweist man aufs Berghain), im zweiten Akt bricht Schwab diese Ebene mit etwas Commedia dell’arte auf, lässt ein paar Rotnasen aufmarschieren, lädt zu Dinner for One und letztem Abendmahl. Das ist lustig anzuschauen, aber letztlich hohles Theater. Nur das Schlussbild gibt ein kluges Rätsel auf: Der leergebrannte Wüstling fährt im Drogenrausch zur Hölle - und wacht wieder auf. Der Epilog wurde gestrichen, Don Giovanni kann seines Weges ziehen. Was soll uns das sagen? Dass das alles nicht so schlimm ist und wir weitermachen können wie bisher? Dass das Fegefeuer schon längst in uns drin lodert? Dass es beim Spiel um die Liebe sowieso nur Opfer (in diesem Fall sieben) geben kann? Das ist eine Form der Irritation, die gefällt. Nur leider kommt sie viel zu spät.



Don Giovanni: Ildebrando d´Arcangelo; Leporello: Alex Esposito; Donna Anna: Marina Rebeka; Donna Elvira: Ruxandra Donose; Don Otavio: Yosep Kang - Photo: Marcus Lieberenz im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN


Der Sänger des Abends heißt Alex Esposito. Denn während Ildebrando d'Arcangelo lange Zeit so tut, als ob ihn das alles nichts angehen würde, er auch stimmlich erst im letzten Drittel zur Hochform aufläuft, wirft sich Esposito mit darstellerischer Inbrunst, ach quatsch, mit singschauspielerischer Akrobatik in seinen Leporello und ist sich weder für metrosexuelle Handgreiflichkeiten noch für Slapstick-Nummern à la "kleiner Mann mit Stock und Hut" zu schade. Hier steht einer hinter dem Konzept, der den ganzen Handlungsverlauf am Leben erhält. Man kann sich diese Produktion ohne Esposito im Grunde gar nicht vorstellen. Yosep Kang legt einen klangschönen Don Ottavio vor, Ante Jerkunica ist ein ordentlicher Komtur, nur der Masetto von Krzysztof Szumanski ist etwas zu blass geraten. Bei den Damen setzt sich Marina Rebeka mit weitem Vorsprung an die Spitze: Was für eine aufleuchtend klare Höhe, welch anschmiegsames Timbre. Einzig an den Koloraturen (Crudele? Ah no, mio bene!) dürfte noch etwas gefeilt werden. Ruxandra Donose und Martina Welschenbach leisten sich kleine Brüche im Register und geraten in oberen Lagen schnell ins Flackern. Ein im Graben vor sich hin dämmernder Roberto Abbado kassierte seine Buhs völlig zu recht.



Don Giovanni: Ildebrando d´Arcangelo; Leporello: Alex Esposito; Donna Anna: Marina Rebeka; Donna Elvira: Ruxandra Donose; Don Otavio: Yosep Kang - Photo: Marcus Lieberenz im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN



DON GIOVANNI (Deutsche Oper Berlin, 16.10.2010)
Musikalische Leitung: ROBERTO ABBADO
Inszenierung: ROLAND SCHWAB
Bühne: PIERO VINCIGUERRA
Kostüme: RENÈE LISTERDAL
Choreographische Mitarbeit: SILKE SENSE
Künstlerische Produktionsleitung: CHRISTIAN BAIER
Chöre: THOMAS RICHTER
Don Giovanni: ILDEBRANDO D'ARCANGELO
Donna Anna: MARINA REBEKA
Don Ottavio: YOSEP KANG
Der Komtur: ANTE JERKUNICA
Donna Elvira: RUXANDRA DONOSE
Leporello: ALEX ESPOSITO
Masetto: KRZYSZTOF SZUMANSKI
Zerlina: MARTINA WELSCHENBACH
CHOR DER DEUTSCHEN OPER BERLIN
ORCHESTER DER DEUTSCHEN OPER BERLIN



Heiko Schon, 17. Oktober 2010
ID 00000004888

Weitere Infos siehe auch: http://www.deutscheoperberlin.de





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