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Staatsoper Hamburg, 21. Februar 2008

Don Carlos

Giuseppe Verdi


(C) Staatsoper Hamburg



Auf zur friedlichen Gärtnerei!
Peter Konwitschny darf ein bisschen Hamburg zurückerobern.

Wenn man zur Hamburger Staatsoper geht und unvorbereitet auf eine Verdidemonstration stößt, die sich scheinbar auf der Suche nach Trockenem unter dem Vordach positioniert, hält man das nicht allein wegen der rot-weißen Plastikkleidung sämtlicher Protagonisten für einen schweren ästhetischen Kategorienfehler von Seiten der Gewerkschaft. Denn heutzutage kooperieren Gewerkschaften nur allzu gerne wirklich mit dem Bösen, während die oft „von Links“ in Verdacht stehende Gattung Oper diese Liaison immer nur zum Schein eingegangen ist, ja immer wieder aufs Neue eingehen muss. Was bleibt ihr übrig in dieser Welt?
Eine Möglichkeit scheinbarer Gegenwehr ist das vielzitierte Regietheater, was mehr meint als den glanzlosen Glanz des Heute über den Werken auszugießen oder eigene Einfälle zu zeigen. Nämlich meint es Werkreflexion vor realem Gesellschaftshintergrund oder die Monsterparade heutiger Innenstädte im Vexierrätselbild der Szene so zu beleuchten, dass die Monster von selbst Lust bekommen, Mensch zu werden. Einer der Vorbereiter eines derartig ambitionierten dramatischen Musiktheaterdenkens ist Giuseppe Verdi, der statt langweilig rekonstruierte Museumsoper lieber „von allem ein Autodafé machen werde“ (An Ricordi, 10.5.1889). Einer seiner Wegbereiter ist Peter Konwitschny, der das Diktum des Ostberliner Theatergenies Walter Felsenstein, der Werkimmanenz sämtlicher Regieeinfälle, konsequent hin zu einer Gesellschaftsimmanenz sämtlicher Werke ausgeweitet hat. Und aus diesem Befund möglichst notwendige Schlüsse für seine Regiearbeit zieht.
Ein Schluss bei seiner Don Carlos-Inszenierung von 2001 ist zum Beispiel die nur in einer fünfaktigen Fassung zu ihrem Recht kommende Eboli (strahlend und kontrolliert: Michelle Breedt) mitsamt ihrem vermeintlichen Traum vom Ehe(un)glück mit Don Carlos persiflierend zu thematisieren, statt eines Perlenballetts, das Philipp II. auf so unkomisch komische Weise ehrt. Ein anderer Schluss ist, und ich glaube, er stammt von Vera Nemirova, das Autodafé im Forum heutiger Medienhölle zu zeigen, gestaltet als Aufhebung von Bühne zu Gunsten eines totalen Theaters. Darin werden globale Hinrichtungspraxen an Menschen und ihre „multimedial“ aufbereitete Faszinationsfreude als Schreckenseinheit präsentiert und dank des Einsatzes des gesamten Staatsopernpersonals als eigene Getriebenheit recht unmittelbar erfahrbar. Zur großverheißenden Bühnenmusik werden die sechs gestriemten flandrischen Aufmüpfer vor den Gästen durch die Sekthäppchenhalle getrieben, auf die Gerichtsbühne gezurrt und ihr Todesurteil von einem trotz Indisposition singenden, bis auf die Parodieeinlage alles in allem nur wenig überzeugenden Peter Rose als Philipp II. verhängt.
Diesem Regietheater als Erfahrung folgt ein primär psychologisch äußerst differenziert gearbeiteter zweiter Teil: neben den Wunderbaren, Michelle Breedt als Eboli und Rachele Stanisci als Elisabeth, die nebenbei bemerkt mit ihrem dunkel timbrierten, kultiviert geführten Sopran die Ausgangsbesetzung ganz schnell vergessen lässt, treten vor allem Don Carlos (in jeder Hinsicht herrlich: Jean-Pierre Furlan), Posa (eindringlich: George Petean) und Karl V (gelungen: Tim Mirfin) plastisch hervor, während der Großinquisitor und, etwas unvermutet für Konwitschny, auch Philipp II. in dieser Machart unterbestimmt bleiben; vielleicht verstärkt durch die wegen spürbarer Rollendistanz und fehlender Schallkraft unverständliche Besetzung mit Harald Stamm. Der von Florian Csizmadia wie gewohnt gut einstudierte Chor, bei dem sprachlich noch was zu machen wäre, überzeugt bis auf einige wenige Stellen im ersten Akt vor allem durch sein anfängliches Spiel: der Fontainebleau-Akt wird dank seiner zu einem zwingenden Vorspiel auf dem Theater, bevor Johannes Leiacker dann einen auf Garantie freiraumfreien Plattenbau-Bühnenraum runterfahren lässt und die schwarze „tinta“ des Carlos einfach weiß verpackt – als Symbol für die Macht des alles erstickenden Spanien.
Indes das Orchester der Hamburgischen Staatsoper, die Philharmoniker, atmet unter Philippe Auguin in einem durchweg homogenen wie durchgeistigten Verdi-Ton; federnd zu Beginn, emphatisch in der Gesangsbegleitung, sinnfällig in der Entwicklung des Freundschafts- oder Treuemotivs, unverwaschen-klar und verdichtet in der Expression und vielleicht sogar mal ein wenig zügig während des schmerzvollen wie vermeintlich einfachen a-Moll/C-Dur Abschieds von der Freiheit vor Posas Tod.

So wird „Don Carlos“ zu Erkenntnis: Ob nicht tatsächlich ein friedlicher Gärtner ohne Stress alles retten könnte?


Wolfgang Hoops - red / 28. Februar 2008
ID 00000003722

Weitere Infos siehe auch: http://www.hamburgische-staatsoper.de





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