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Besprechung

29. März 2014 - Teatro dell'Opera di Roma

BRUNDIBÁR

Oper von Hans Krása


Altes Brundibár-Plakat | Bildquelle: drmk.ch


"Entartete" (schöne) Kinderoper

Das Licht geht aus, und wir hören beunruhigt die Geräusche eines einfahrenden Zuges. Das Dröhnen und Zischen der Dampflokomotive wird immer lauter und langsamer, dann ein Pfeifen bis er schließlich zum Stehen kommt.

In der Ferne ein Kinderchor, die Tür auf der rechten Seite der Bühne öffnet sich und ca. 30 Kinder zwischen 7 und 12 Jahren kommen langsam gehend und hell singend in den Raum. Sie tragen armselige verschlissene Kleidung, eine Kopfbedeckung und den Stern auf der linken Brust, Puppen oder anderes Spielzeug im Arm und einen kleine Pappkoffer. Der Vorhang hebt sich. Die Kinder sind in Theresienstadt angekommen.

Arbeit macht frei steht da in den bekannten ungemütlichen Schriftzügen über der Bühne. Graue Brettergestelle überall, aus denen sich die Kinder aber ganz schnell mit Farben und Bildern eine schöne heile Welt zaubern und dazu singen. Der Eisverkäufer erscheint und bietet seine Köstlichkeiten feil, dann der Bäcker und schließlich der Milchverkäufer; zuletzt der Polizist - und hier beginnt das Märchen:

Da der Milchmann den Geschwistern Pepícek und Aninka ohne Geld keine Milch für die kranke Mutter geben will, kommen die Kinder auf die Idee, es dem Leierkastenmann Brundibár gleich zu tun, der durch sein Singen recht viel Geld zugesteckt bekommt. Allerdings erregen sie nur die Aufmerksamkeit von Brundibár, der sie – Konkurrenz witternd – auf der Stelle vom Marktplatz verjagt, d.h. hier lässt er die Kinder vom Polizisten und der Masse verjagen. Erschrocken, ängstlich und verzweifelt legen sie sich schlafen. Die Geschichte nimmt eine positive Wendung, als plötzlich ein Vogel, eine Katze und ein Hund (drei Tiere, die sich ja sonst nicht unbedingt grün sind) erscheinen und Beistand in der Not und im Kampf gegen Brundibár anbieten. Die Kind-Tier-Gruppe organisiert sich, und mit Unterstützung aller anwesenden Kinder vertreiben sie den niederträchtigen Brundibár. Die Geschwister, jetzt optimistisch und stark weil vereint, singen ihr Lieblingslied - diesmal viel sicherer und besser und bekommen schließlich genug Geld für die Milch zusammen. Brundibár, der als Böser vom Dienst natürlich nicht so leicht aufgibt, versucht - erfrischend erfolglos - das Geld zu stehlen. Beim finalen Marsch herrscht nur noch Freude über den Triumph aufgrund der Solidarität und des Zusammenhaltes des Guten dem Bösen gegenüber. Vorhang!

Tschuff...... tschuff....tschuff...tschuf..tschufftschufffff .. der Zug rafft sich auf und setzt sich mit einem schneller werdenden und sich entfernenden Dröhnen und Zischen wieder in Bewegung – Richtung Auschwitz.

Krásas Oper ist eine Kinderoper und deshalb auf den ersten Blick eher unpolitisch. Überlebende aus Theresienstadt, die bei den Aufführungen mitwirkten, haben jedoch immer wieder hervorgehoben, dass Krása in der Person von Brundibár das Böse (die Nazis) veranschaulichen wollte (diese Idee hat z.B. die Kushner-Inszenierung in Chicago Anfang 2000 aufgegriffen). Ein verdientes Happyend nach Abenteuern und Angst macht aus der Geschichte ein Märchen. Der römische Brundibár trug zwar einen langen Soldatenmantel und eine Militärkappe, war aber weder böse noch stark, er ließ den Polizisten die schmutzige Arbeit des Verjagens erledigen. Er endet nur noch als Mantel auf dem Boden. Die beiden stärksten Szenen waren das Ein- und Ausfahren zu Zuges.

Die Musik ist einfach, melodiös und unsentimental, ohne Pathos oder moderne Experimente. Ohrwürmer, die man so schnell dann nicht mehr los wird. Leicht und ansprechend, manchmal an Gershwin erinnernd, fast ein Musical mit Jazz- und dann wieder Walzer-Elementen und tschechischem Lokalkolorit. Alles wird von 12 Instrumenten und 36 Sängern (alles Kinder) bestritten. Die Darsteller haben sich gut geschlagen, sie gehören allesamt zum Kinderchor der Oper Rom. Die ansprechenden und passenden Kostüme sind von Anna Biagiotti. Regie und Bühnenbild von Cesare Scarton und Michele Della Cioppa, am Pult José Maria Sciutto...


* * *


Hans Krása gehörte wie Victor Ullmann, Gideon Klein und Pavel Haas zu der verlorenen Generation der Komponisten (alle vier kamen mit dem gleichen Transport nach Auschwitz). Die Musik für diese kunterbunte und spitzbübisch-lustige Kinderoper ist Brecht/Weill-Stil und vielleicht sogar als Lehrstück zu betrachten. Beide sollen lernen: die Spieler, die schlimme Zeit zu überstehen - und die Zuschauer, das Böse nicht aufkommen zu lassen. Das Libretto hat der tschechische Maler, Bühnenbildner und Kunstkritiker Adolf Hoffmeister (1902-1973) kurz vor der Invasion geschrieben. Der Triumph über Angst und Panik und ein Hoch auf Kameradschaft, Zusammenhalt, Verbundenheit, Solidarität, Mut und Hoffnung sind die Hauptaussagen. Hoffmeister/Krása waren sicher inspiriert vom pädagogischen Erfolg des Brecht-Weill-Schulstücks Der Jasager, das zu dieser Zeit schon über 200 mal in Weimarer Schulen aufgeführt worden war. Hoffmeister, nach dem Krieg schon in England, sagte darüber „We have actually an opera as a Brechtian didactic drama.“

Der Berliner Musikwissenschaftler Dr. Kurt Singer, schrieb über die Theresienstädter Aufführungen, dass "Bundibár ein Beispiel wäre wie eine kurze Oper heutzutage auszusehen und zu klingen hätte, wie sie den höchsten künstlerischen Genuss mit konzeptioneller Originalität mit modernem Charakter mit brauchbaren Melodien verbinden könne (...) man könne ein Werk nicht mehr loben". Singer, der auch der Berliner Vorsitzende des jüdischen Kulturbundes war, ist 1944 mit 59 Jahren in Theresienstadt an Folge der Strapazen gestorben.

Hans Krása (1899-1944), der aus einer angesehenen und wohlhabenden Bürgerfamilie stammte, wollte mit Brundibár einen Kompositionswettbewerb gewinnen. Als der deutsch-tschechische Komponist seine Oper 1938 schließlich fertig gestellt hatte, befand sich sein Land schon im Kriegszustand und Krása musste aufgrund seiner deutsch-jüdischen Wurzeln aus der Öffentlichkeit zurückzutreten. 1942 wurde er in das „Vorzeigelager“ der Nazis, Theresienstadt, deportiert und durfte dort als Leiter der Musiksektion "Freizeitgestaltung" tätig sein. Nicht wissend, dass seine Oper Brundibár zwischenzeitlich – heimlich – und auf Initiative von Rudolf Freudenfeld im Prager Jüdischen Waisenhaus aufgeführt wurde. Freudenfeld kam 1943 ebenfalls nach Theresienstadt. Glücklicherweise gelang es ihm unter den erlaubten 50 Kilogramm Gepäck einen Klavierauszug von Brundibár mit hinein zu schmuggeln. Auf dessen Basis, Krásas Gedächtnis und den zu Verfügung stehenden Instrumenten und Solisten im Lager schrieb Krása die Oper nach bzw. um. Er nahm auch Änderungen am links-gerichteten Text von Hoffmeister vor, und die Botschaft lautete danach nur mehr, dass das Gute über das Böse siegen kann solange man nur zusammen hält. In Theresienstadt hielten sich damals unzählige Musiker, Künstler oder Sänger auf, und es sind im Laufe der darauf folgenden Tage und Wochen immer mehr von den in Prag mitwirkenden Kinder und Erwachsenen im Lager angekommen, was bis 1944 zu über 50 Aufführungen führte. Darunter eine Extra-Aufführung 1944 für eine Inspektion über die Lebensbedingungen in Theresienstadt des Rotes Kreuzes, die auf die "Show" reingefallen war oder es nicht sehen wollte. Für die teilnehmenden und zuhörenden Kinder brachten diese Ereignisse ein Stück Normalität mit sich (vielleicht hat sich ja Benigni in "La vita e bella" daran inspiriert? ). Von Aufführung zu Aufführung waren die Rollen allerdings anders oder neu zu besetzen, da die eingespielten Darsteller immer wieder in Vernichtungslager deportiert wurden. Im Konzentrationslager Theresienstadt bestand zwar die Möglichkeit eines kulturelles Lebens – ein Vorzeigelager, wie es die Nazis im Propagandafilm "Theresienstadt - Der Führer schenkt den Juden eine Stadt" gerne zeigten (für den Film wurden sogar Auszüge aus der Oper verwendet) war es natürlich trotzdem nicht. Es war und blieb ein Zwischenstopp in die Gaskammern, die Vorhölle sozusagen. Dass Krásas Brundibár dort über 50 mal aufgeführt wurde, half ihm persönlich nichts. Er und viele der Mitwirkenden wurden 1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert und kamen dort um.

Dagmar Lieblová, eine Überlebende und Mitwirkende bei der Premiere (sie war damals 13 Jahre alt) erinnerte sich später "Für uns war es etwas ganz Außerordentliches. Es war ein Ereignis, denn es war etwas, das uns an das normale Leben erinnerte." Drei Monate nach der Premiere kam sie auch nach Auschwitz, wo außer ihr ihre ganze Familie ums Leben kam. "Ich habe darüber nachgedacht, ob es wirklich so sein wird, dass ich nie wieder etwas anderes sehe, als den Stacheldraht, die Blöcke und die Kamine."

Bis Ende der 70er Jahre war es dann ganz still um Brundibár, bis die Benediktinerschwester Veronika Grüters im Zuge ihrer Familienforschung das Werk entdeckte und anhand eines Klavierauszugs in tschechischer und hebräischer Sprache rekonstruierte. Der tschechische Violonist Joza Karas hat Mitte der 70er Jahre schon Brundibár nach den USA und Kanada gebracht. Nach 1985 brach ein regelrechtes und fast weltweites Bundibár Fieber aus. In Deutschland wurde es auch an vielen Schulen u.a. in Freiburg, Bielefeld, Görlitz, Berlin, Bonn aufgeführt, in Prag und Warschau sowieso. 1995 kam Brundibár schließlich auch nach Israel. Der Amerikaner Tony Kushner brachte Anfang 2000 eine sehr kontroverse und diskutierte Inszenierung für das Chicago Opera Theatre auf die Bühne, bei der Brundibár einen Hitler-Schnurbart trägt. Das von Maurice Sendak illustrierte Buch dazu war unter den Preisträgern „New York Times Book Review's 10 Best Illustrated Books of 2003“.





Brundibár an der Römischen Oper - Foto (C) Christa Blenk



Bewertung:    


Christa Blenk - 30. März 2014
ID 7714
BRUNDIBAR (Teatro Nazionale, 29.03.2014)
Musikalische Leitung: José Maria Sciutto
Inszenierung: Cesare Scarton
Bühne: Michele Della Cioppa
Kostüme: Anna Biagiotti
Orchestra Giovanile e Coro di Voci Bianche del Teatro dell'Opera di Roma
Premiere war am 25. März 2014
Weiterer Termin: 30. 3. 2014


Weitere Infos siehe auch: http://www.operaroma.it/ita/opera-brundibar-14.php


Post an Christa Blenk

eborja.unblog.fr



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