Struktur gegen
Freigeist
|
Giulio Cesare in Egitto an der Oper Köln | Foto (C) Karl & Monika Forster 2023
|
Bewertung:
Die Skepsis war groß: Kostüme von Christian Lacroix, das klingt nach opulenten Schauwerten. Fraglich zunächst, ob das auch inhaltlich einen Mehrwert bringt. Aber weit gefehlt: Alles folgt in Vincent Boussards Inszenierung von Händels Giulio Cesare in Egitto an der OPER KÖLN einem höheren Plan und fügt sich auf das Schönste zusammen.
Im Bühnenbild, das sehr formal gehalten ist – beim Auftritt des ägyptischen Königs Tolomeo (Sonia Prina) wedeln ein paar projizierte Palmen, generell überwiegen Farben und immer wieder das Meer – wird auf das Folkloristische weitgehend verzichtet. Der Raum wird durch einen schwarzen Rahmen in Höhe und Breite begrenzt, der zugleich ein (verschiebbares) Portal bildet. Klug lassen sich einzelne Rahmen- und Bühnenteile wie ein Passepartout gegeneinander verschieben und eröffnen mal den Ausblick auf die ganze Bühnenbreite, manchmal trennen sie das Ganze auch in zwei Teile, so dass das Geschehen parallel stattfinden kann oder sich einzelne Figuren oder kleine Grüppchen absondern können (Bühne: Frank Philipp Schlößmann). Besonders sinnhaft wird das Ganze etwa, wenn Auf- und Abtritte oder Umzüge beschleunigt werden sollen und quasi hinter einem geschobenen Rahmenelement stattfinden. Einfach und genial ist aber auch die Idee, die Darstellung von Cleopatra auf die Sängerin Giulia Montanari und die Schauspielerin Silke Natho aufzuteilen. So kann die Sängerin-Cleopatra quasi von außen ihr Schicksal beobachten und „erleiden“, das in dem nebenstehenden Portalabschnitt gespielt wird.
Es sind die Ägypter, die aus dieser Form ausbrechen, mit bunten Farben, sonderbaren Kostümen, insgesamt merkwürdige Gestalten. Einen Harem hat man sich auch irgendwie anders vorgestellt. Der gar nicht so heimliche Star des Abends ist Tolomeo, den Altistin Sonia Prina hinreißend verkörpert: Im Ganzkörpernacktkostüm mit leicht überdimensioniertem Penis lümmelt er sich auf seinem Schreibtischsessel herum, der als Thron fungiert, die Nacktheit mehr oder weniger kaschierend. Sesto (Anna Lucia Richter), der ihn ermorden möchte, ist kein ernstzunehmender Gegner, und so arrangiert Tolomeo ihn und dessen Mutter Cornelia (Adriana Bastidas-Gamboa) eigenhändig zu einem Schlussbild und führt bei seiner eigenen Ermordung den Degen. Das Spiel ist vorbei, der anfangs ermordete Vater von Sesto gerächt – oder doch nicht? Bleibt das glückliche Ende für Cesare und Cleopatra – zumindest die finale Pose überzeugt im Schattenspiel. Fraglich, ob das Ganze von Dauer ist.
Titelfigur Giulio Cesare (Sonja Runje) ist eine Art Kontrastfolie zu Prinas Tolomeo: Stets edelmütig, um eine gute Figur bemüht, aber auch ein bisschen statuarisch. Sein Kostüm, das ihm einen leichten Bronzeton verleiht und durch eine Art Mantel eine Pose mit breiter Brust ermöglicht, unterstreicht das. Sonja Runje gibt Giulio Cesare staatsmännische Größe, lässt aber gleichfalls durchblicken, dass da auch Emotionen im Spiel sind, nicht zuletzt im berührend musizierten „Se in fiorito ameno prato” quasi im Duett mit der Solovioline, gespielt von Elisabeth Weber. Zwar kommen Cesare und Cleopatra am Ende zusammen, aber nicht ohne Grund ist ihr großer Auftritt, nachdem er sie eher beiläufig gerettet hat, ein Solo („Da tempeste“, eine von drei insgesamt wunderschönen Arien im zweiten Teil des Abends). Giulio Cesare ist da schon längst nicht mehr auf der Bühne. Überhaupt gehört der zweite Teil des Abends eher Giulia Montanari als Cleopatra, die sich scheinbar mühelos durch ihre Arien bewegt, stets mit präzise eingesetzter Stimmkraft und unglaublicher szenischer und emotionaler Präsenz.
Insgesamt bemerkenswert ist, wie klar und überzeugend die Wiederaufnahme dieser Inszenierung aus dem Mai 2023 szenisch und musikalisch daherkommt. Die sängerischen und darstellerischen Leistungen sind alle auf den Punkt, angefangen von Anna Lucia Richters jugendlich-stürmerischem Sesto, der kämpfen will, aber nicht einmal das Schwert erheben kann, über Matthias Hoffmann, der trotz groteskem Äußerem (Clownsgesicht, blaue Haare) seiner Figur Achilla eine Tiefe und Entwicklung verlieht, die überrascht, und Adriana Bastidas-Gamboas standhafter Witwe Cornelia, die überzeugend trauert, bis zu den eher kleineren Rollen von Regina Richter als Nireno und William Scolof als Curio.
Auch das Gürzenich-Orchester ist hervorragend disponiert, jeder Ton klar, jede Dynamik bewusst gewählt. Rubén Dubrovsky und es zelebrieren Händel. Das ist ein Fest für alle, die es mit der Barockmusik halten, auch wenn es an der einen oder anderen Stellen vielleicht doch noch Kürzungspotenzial gegeben hätte. Etwas mehr als drei Stunden dauert der Abend, und am Ende verlässt man zwar beseelt, aber auch etwas erschlagen den Saal 2 vom Staatenhaus. Ein eindrucksvoller Beleg – nicht, dass es eines solchen noch bedurft hätte – für die kompositorischen Fähigkeiten eines Georg Friedrich Händel, der Figuren wie Cesare und Cornelia mit einer ganz eigenen Klangfarbe ausstattet, aber auch die große Extravaganz, die Stimmenopulenz, die musikalische Virtuosität nicht scheut.
|
Giulio Cesare in Egitto an der Oper Köln | Foto (C) Karl & Monika Forster 2023
|
Karoline Bendig - 11. Juli 2025 ID 15359
GIULIO CESARE IN EGITTO (Staatenhaus, 08.07.2025)
von Georg Friedrich Händel
Musikalische Leitung: Rubén Dubrovsky
Inszenierung: Vincent Boussard
Bühne: Frank Philipp Schlößmann
Kostüme: Christian Lacroix
Co-Kostümbildner: Robert Schwaighofer
Video: Nicolas Hurtevent
Licht: Andreas Grüter
Dramaturgie: Svenja Gottsmann
Mit: Sonja Runje (Giulio Cesare), Giulia Montanari (Cleopatra), Adriana Bastidas-Gamboa (Cornelia), Anna Lucia Richter (Sesto), Sonia Prina (Tolomeo), Matthias Hoffmann (Achilla), Regina Richter (Nireno) und William Socolof (Curio) sowie den Schauspieler:innen Midian Abeler, Eva Arteaga, Susan Fararuni, Silke Natho, Yannick Schwarz und Tobias Zell
Andreas Gilger, Cembalo
Laute/Theorbe: Sören Leupold und Liza Solovey, Laute/Theorbe
Elisabeth Weber, Solo-Violine
Ivo Dudler, Solo-Horn
Gürzenich-Orchester Köln
Wiederaufnahme an der Oper Köln: 5. Juli 2025
Weiterer Termin: 12.07.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.oper.koeln
Post an Karoline Bendig
Konzerte
Musiktheater
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
AIX-EN-PROVENCE
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
BAYREUTHER FESTSPIELE
CD / DVD
KONZERTKRITIKEN
LEUTE
LUDWIGSBURGER SCHLOSSFESTSPIELE
NEUE MUSIK
PREMIERENKRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
SALZBURGER FESTSPIELE
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|