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Premierenkritik

Sand im Getriebe

Mozarts IDOMENEO an der Oper Köln

Bewertung:    



Der Kriegsheld ist schwer angeschlagen, nichts mehr übrig vom strahlenden Helden. Ein Gezeichneter, zwar hochdekoriert, aber mit ständig blutender Kopfwunde und stets präsenten Schuldgefühlen. Unfähig, sein Land zu regieren, was bald für Probleme sorgt. Der Krieg prägt Kreta, das auf die Rückkehr seines Königs Idomeneo wartet: Flüchtlingsströme ziehen übers Land, von Militär in Schach gehalten, auf der einen Seite ein Staatsbegräbnis, auf der anderen Seite die namenlosen Opfer des Krieges hinter Felsen verscharrt, aber mit Blumen dekoriert.

Die Regie von Floris Visser beeindruckt durch eine intensive Personenregie und Bilder, die im Kopf bleiben. Er erzählt die Geschichte trotz mehr als dreistündiger Dauer geradezu kurzweilig, ständig passiert etwas, ohne dass die Handlung in Aktionismus abgleitet. Beinahe beiläufig passiert vieles. Am stärksten ist die Inszenierung immer dort, wo sie abstrakte Bilder findet wie die Toten, die einem Sarg entsteigen: mit einer Axt im Rücken, einer Schlinge um den Hals, mit Würgemalen. Schwächer dort, wo es plakativ-konkret wird: die Kriegsgefangenen in Guatanamo-Orange gekleidet, die Köpfe mit einem Sack verhüllt. Überhaupt: die Axt - sie gemahnt den heimgekehrten Idomeneo an seinen Schwur an den Gott Poseidon. Aus Dank darüber, dass er und seine Soldaten vor einem Sturm gerettet wurden, verspricht er, die erste Person zu opfern, die ihm am Land begegnet. Mythoskundige ahnen es: Es ist der eigene Sohn Idamante, auf den unschuldig die Verdammnis fällt. Der Großteil der Handlung wird davon getragen, wie diesem Schicksal entronnen werden kann. Idomeneo verzweifelt darüber.

Frank Philipp Schlößmanns Bühne lässt sich von einer engen Zelle in eine Sand- und Hügellandschaft öffnen, in der zwei Fahnenmasten stehen: einer leer, einer mit der griechischen Flagge. Vermeintlich klar, wer hier der Gewinner ist. Aber als das Sterben in Kreta auch nach dem Krieg kein Ende findet, weil die Pest wütet, zeigt sich: So einfach ist die Sache nicht, so leicht lässt sich Leid nicht beenden.

Musikalisch gelingt die Premiere von Idomeneo durchweg überzeugend. Rubén Dubrovsky entlockt dem Gürzenich-Orchester einen nuancierten, filigranen Klang. Der Orchesterklang profitiert durchweg dadurch, dass die Musiker:innen nicht in einem tiefen Orchestergraben verschwinden. Der Bühnenwechsel von der großen offenen Fläche zurück in die Intimität eines Zimmers an der Bühnenrampe offenbart aber auch ein akustisches Problem: Im weiten Raum verlieren sich die Stimmen der Sänger:innen, während der kleinere, abgegrenzte Raum sofort ein ganz anders musikalisches Erleben und Ausgestalten ermöglicht. Aber auch mit dieser Einschränkung gelingen allen Darstellenden musikalisch und darstellerisch ergreifende Figurenporträts: Sebastian Kohlhepp gibt Idomeneo als innerlich und körperlich versehrten König, der mit seinem Schicksal hadert und sich am liebsten verkriechen möchte.

Der erste intensive Auftritt gehört den beiden Liebenden: Anna Lucia Richter als Idamante und Kathrin Zukowskis Ilia erreichen unmittelbar mit ihren ersten Arien die Herzen der Zuschauenden. Ana Maria Labin verkörpert stimmlich und darstellerisch als exzentrische, rachsüchtige und besitzergreifende Elettra den Gegensatz zu Kathrin Zukowskis eher lieblich-leidender Ilia. Nichtsdestotrotz kann man nicht umhin, auch mit dieser Figur Mitleid zu haben, als sie am Ende alles verliert. Anicio Zorzi Giustiniani als Ratgeber und Arzt Arbace, John Heuzenroeder als Gran Sacerdote, der diesen Gottesmann ausgesprochen unsympathisch wirken lässt, und Lucas Singer als schicksalsentscheidende Stimme aus dem Off runden den gelungenen Gesamteindruck ab. Auch der Chor der Oper Köln ist außerordentlich gut disponiert bis in die kleinsten Gruppeneinsätze. Ein Extralob gebührt der Statisterie, die in Floris Vissers Inszenierung schauspielerisch besonders gefordert ist.

*

Kölns Idomeneo lässt sich durchaus als ein Plädoyer für diese selten gespielte Mozart-Oper verstehen: Musikdramaturgisch mitreißend und, wie immer bei Mozart, nah an den Emotionen seiner Figuren, an den Menschen. Unverständlich, warum sie eher selten gespielt wird. Die Aufführung zeigt aber auch, dass gerade Mozart-Opern sehr viel Detailarbeit benötigen, im Orchestergraben wie auf der Bühne, und zudem ein spielfreudiges Ensemble. Das alles kommt am Premierenabend in der Oper Köln wundersam und beglückend zusammen.

Am Ende bleibt des Bild des Kriegshelden, dem man Denkmäler setzt: Dieses Bild mag veraltet sein, ad acta kann man es heute nach wie vor nicht legen. Trotz der Liebe zwischen Ilia und Idamante, die die Versöhnung der Völker krönt, ist der Geist der Rache und des Kriegs nicht totzukriegen.



Mozarts Idomeneo an der Oper Köln | Foto (C) Sandra Then

Karoline Bendig - 18. Februar 2024
ID 14610
IDOMENEO (Staatenhaus, 17.02.2024)
Musikalische Leitung: Rubén Dubrovsky
Inszenierung: Floris Visser
Bühne: Frank Philipp Schlößmann
Kostüme: Gideon Davey
Choreographie: Pim Veulings
Licht: James Farncombe
Chorleitung: Rustam Samedov
Dramaturgie: Stephan Steinmetz
Mit: Sebastian Kohlhepp (Idomeneo), Anna Lucia Richter (Idamante), Kathrin Zukowski (Ilia), Elettra (Ana Maria Labin), Anicio Zorzi Giustiniani (Arbace), John Heuzenroeder (Gran Sacerdote) und Lucas Singer (La Voce)
Statisterie und Chor der Oper Köln
Gürzenich-Orchester Köln
Premiere an der Oper Köln: 17. Februar 2024
Weitere Termine: 22., 25., 28.02./ 02., 08., 10., 13.03.2024


Weitere Infos siehe auch: https://www.oper.koeln


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