Von der heimlichen
Macht der Kinder
MUSIK FÜR DIE LEBENDEN von Gija Kantscheli - an der Oper Bonn
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Bewertung:
Bomben schlagen ein, das Theater, in dem alle untergekommen sind, bietet keinen Schutz. Mit einem akustischen Knall beginnt die Oper des georgischen Komponisten Gija Kantscheli, die den wenigsten Musikliebhaberinnen und -liebhabern ein Begriff sein dürfte. Musik für die Lebenden ist seine einzige Oper, die 1984 uraufgeführt wurde. Das Theater Bonn zeigt sie im Rahmen der verdienstvollen Reihe FOKUS’33, die in den letzten Spielzeiten einige spannende Begegnungen mit Werken außerhalb der etwas ausgetretenen Pfade des Musiktheaterrepertoires ermöglichte.
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Kantschelis Oper beschäftigt sich nicht mit einem konkreten Krieg oder politischen Ereignis. Die Menschen, die sich in ein Theater geflüchtet haben, sind überwiegend Kinder. Als die Lage sich beruhigt hat, das Bombardement nachlässt, betritt eine Frau mit Soldaten den Schauplatz. Sie wirkt despotisch, hat die Macht über die Soldaten und alle anderen in diesem Raum. Einige der Kinder werden ausgewählt, Teil der Armee zu werden. Alles bleibt abstrakt, wird gewollt nicht konkret. Das spiegelt sich auch in den Bewegungen der Frau, verkörpert von einer Tänzerin, ebenso wie der Offizier, der ihr zu Seite steht (Manon Greiner und Uri Burger). Auffällig aber ist: Die Frau und ihre Entourage singen nicht, anders als die Kinder. Die Kinder (und die Zuschauer:innen) bekommen dann auf Geheiß der Frau eine Aufführung zu sehen, in der erzählt wird, wie zwei Haseneltern ihr Kind von einem Krokodil geraubt wird. Kurz darauf wird dieses von bewaffneten Hasen gestellt und vermutlich zur Strecke gebracht. Die Botschaft ist klar: Gegen Gewalt muss man sich mit Gewalt wehren. Aber wer sind hier die Bösen und wer die Guten?
Nach einem offenen Umbau geht es im zweiten Teil des Abends noch deutlich stärker um das Thema Theater im Theater und die Frage, wie sich dieses instrumentalisieren lässt. Aufgeführt wird die Oper Liebe und Pflicht, zwei Liebende werden getrennt, es gibt einen veritablen Bösewicht, Italiener verbunden sich gegen Franzosen und am Schluss sind alle tot, das Theater zerstört. Immer wieder hatten Bombenangriffe die Aufführung gestört. Aber die Kinder haben überlebt und erobern sich die Bühne zurück.
Und es werde Musik lautet der ursprüngliche Titel von Kantschelis Oper. Und die Musik steht im Zentrum. Vieles ist dabei geprägt von Gegensätzen: lauter Bombenknall gegen eher leise intonierte Klangflächen, chorische Passagen im ersten Teil gegen solistische Auftritte im zweiten. Beeindruckend sind vor allem die hervorragend disponierten Chöre, nicht zuletzt der Kinder- und Jugendchor des Theaters Bonn. Ihm fällt die Aufgabe zu, musikalisch einen Großteil des Abends zu bestreiten. Und das tun die Kinder und Jugendlichen mit Bravour und erhalten dafür am Ende zu Recht begeisterten Applaus.
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Musik für die Lebenden an der Oper Bonn | Foto (C) Bettina Stöß
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Die Idee, in der Reihe FOKUS’33 ein Wiederbegegnen und Wiederhören mit Opern zu ermöglichen, die in Vergessenheit geraten sind, ist aller Ehren wert. Allerdings wird es wohl auch Kantschelis Musik für die Lebenden nicht ins Repertoire schaffen. Spannend wäre hier, einmal einen ganz anderen Inszenierungsansatz zu wählen, aber das könnte sich bei den recht detaillierten Vorgaben des Librettos schwierig gestalten. Musikalisch überzeugt die Oper in Bonn zwar nicht auf ganzer Linie, manches ist dann doch sehr auf Effekt komponiert, aber hörenswert ist sie allemal.
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Karoline Bendig - 6. Juli 2025 ID 15352
MUSIK FÜR DIE LEBENDEN (Oper Bonn, 01.07.2025)
von Gija Kantscheli | Libretto von Robert Sturua
Musikalische Leitung: Daniel Johannes Mayr
Regie: Maxim Didenko
Bühne und Kostüme: Galya Solodovnikova
Licht: Boris Kahnert und Jorge Delgadillo
Dramaturgie: Polina Sandler
Choreografie: Sofia Pintzou und Alexander Fend
Choreinstudierung: André Kellinghaus
Einstudierung Kinder- und Jugendchor: Ekaterina Klewitz
Mit: Ralf Bachbauer, Valérie Ironside, Uri Burger, Manon Greiner, Cléloa Oemus, Tae Hwan Yun, Tianji Lin, Katerina von Bennigsen, Ava Gesell und Giorgos Kanaris sowie den Tänzerinnen und Tänzern Thomas Bauer, Uri Burger, Camilla Fiumara, Nikos Fragkou, Manon Greiner, Laura Guy, Shinnosuke Nagata, Andrew Pan, Aya Sone und Victor Villareal
Chor sowie Kinder- und Jugendchor des Theaters Bonn
Beethoven Orchester Bonn
Premiere war am 15. Juni 2025.
Weiter Termin: 10.07.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de
Post an Karoline Bendig
Musiktheater (Premieren)
Neue Musik
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