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Raus

aus dem

Stammhaus!



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Ludwig Mies van der Rohe hat mit der Neuen Nationalgalerie am Kulturform in Berlin eine Ikone der klassischen Moderne geschaffen. Der sichtbare Teil des Gebäudes, die gläserne und aus Stahl konstruierte Eingangshalle, konnte bei der Eröffnung 1968 moderner nicht sein. Dennoch strahlt der Bau einen latenten Klassizismus aus. Ein Universalraum auf einer 105 × 110 Meter großen Granitterrasse, der den leichten Abhang am Ufer des Landwehrkanals ausgleicht. Die Kantenlänge des dominierenden, ebenfalls quadratischen Daches beträgt 65 Meter, die umschließenden Glaswände sind allseitig um 7 Meter zurückgesetzt. Wie ein antiker Podiumstempel thront dieses Bauwerk im Stadtraum in Nachbarschaft von Hans Scharouns Philharmonie.

*

Und nun waren die Nachbarn zu Gast. Die Schlagzeuger der Berliner Philharmoniker spielten im Rahmen der diesjährigen Biennale ein Konzert mit Schlagzeugliteratur aus den 1960er Jahren. Gegenüber der Installation der aktuellen Ausstellung von Monica Bonvicini fanden ca. 400 Zuhörer Platz, gegenüber einer fast ebenso großen Fläche, welche die Musiker für ihre riesige Anzahl an Instrumente benötigten. Raphael Haeger führte mit einem plaudernden Tonfall durch das Programm:

Maurice Ohana Stück Quatre Études chorégraphiques erinnerte vor allem im vierten und letzten Satz an Strawinskys Sacre du Printemps. Wilde Tanzrhythmen wurden von ekstatischen Aktionen begleitet. Das nur fünf Minuten dauernde Stück des Klangforschers Giacinto Scelsis (Scelsi hat es stets abgelehnt als Komponist bezeichnet zu werden) kam über dissonante Kontraste von Geräuschen nicht hinaus, es konnte den Rahmen des Konzertes und die Erwartungen nach 10 Minuten Umbaupause und Anmoderation nicht erfüllen.

Mit André Jolivet Komposition Cérémonial, hommage à Varèse für sechs Schlagzeuger wurde dann endlich das Versprechen des Abends, "RaumMusikZeit", eingelöst: klangliche Vielfalt, ein Feuerwerk an Farben und eine rhythmische Kraft füllten den Mies´chen Pavillon aus. Das Publikum war mitten in der Stadt völlig sichtbar und transparent zusammengekommen, um gemeinsam einen künstlerischen Diskurs zu erleben. Das Klangerlebnis in einem anderen als dem des klassischen Konzertsaals schuf eine andere Art des Zusammenseins und einen hohen Erinnerungswert – mehr davon bitte, liebe Philharmoniker und liebe Neue Nationalgalerie!



Das Programm der Biennale der Berliner Philharmoniker war schon hinreichend kritisiert wurden, auch hinsichtlich seiner Männerlastigkeit: 50 Stücke von 28 Komponisten, keine einzige Frau darunter. Bei der Besetzung des Nachfolgenden konnte man weiter fragen: Warum befanden sich unter den acht Interpreten keine Frauen.

Herausgehoben auf der Website der Philharmoniker war Alan Gilbert, der nicht als Dirigent, sondern als Geiger auftrat, als Interpret des Violinparts in György Ligetis Trio für Violine, Horn und Klavier. Seine Partner waren der Pianist Kirill Gerstein und der Solohornist der Berliner Philharmoniker Stefan Dohr.

Kammermusikalische Stücke für die Besetzung Klavier, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott muss man suchen. Wolfgang Amadeus Mozarts Quintett und Ludwig van Beethovens Es-Dur-Quintett haben sich in den Spielplänen behauptet. Das 1796 geschriebene Stück Beethovens folgte nunmehr zwei Kompositionen der klassischen Moderne. Als Kontrast ist das ganz nett, doch die Länge der dem Rokoko verpflichteten Komposition nahm zu viel Raum ein. Kirill Gerstein konnte sich auf den expressiven Klavierstil, der in den Salons der Aristokratie für  Furore und Aufruhr sorgte, sehr gut einlassen und lieferte ein perfektes historisches Divertimento ab.

György Ligetis Bagatellen für Bläserquintett aus dem Jahr 1953 atmen den Einfluss von Béla Bartók und Igor Strawinsky. Die fünf Bläser eröffneten den Abend mit fünf reizvollen Miniaturen. Ligetis Trio für Violine, Horn und Klavier von 1982 ist eine Hommage an Johannes Brahms und dessen Werk für die gleiche Besetzung. Hornquinten prägen das Stück, kontrastiert von melodischen Linien der Violine, welche an Gesänge aus Ligetis Heimat denken lässt.

Und schließlich György Kurtágs Bläserquintett aus dem Jahre 1959, welches, ganz der klassischen Moderne verpflichtet, minimalistische und mikroskopische Motive feiert. Die komprimierten Verläufe stellen hohe Anforderungen an die Interpreten.

* *

Alles in allem ein wunderbarer Kammermusikabend zur späten Stunde in der St. Matthäus Kirche gegenüber der Philharmonie Berlin. Wie schon beim Konzert in der Neuen Nationalgalerie: die Philharmoniker sollten öfter raus treten aus ihrem Stammhaus. Schon die unmittelbaren Nachbarn bieten fantastische Möglichkeiten, und in ein paar Jahren kommt das Museum des 20. Jahrhunderts von Herzog&deMeuron gegenüber dazu.



Late Night mit den Schlagzeugern der Berliner Philharmoniker in der Neuen Nationalgalerie | Foto (C) Monika Rittershaus

Steffen Kühn - 28. Februar 2023
ID 14070
BIENNALE DER BERLINER PHILHARMONIKER (Neue Nationalgalerie, 18.02.2023)
Maurice Ohana: Quatre Études chorégraphiques
Giacinto Scelsi: I Riti, Ritual March for the Funeral of Achilles
André Jolivet: Cérémonial, hommage à Varèse für sechs Schlagzeuger
Schlagzeuger der Berliner Philharmoniker und Gäste
Dirigent: Stanley Dodds

(Philharmonie Berlin, 25.02.2023)
György Ligeti: Sechs Bagatellen für Bläserquintett
György Kurtág: Bläserquintett op. 2
Ludwig van Beethoven: Quintett Es-Dur für Klavier, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott op. 16
Ligeti: Trio für Violine, Horn und Klavier
Alan Gilbert, Violine
Kirill Gerstein, Klavier
Stefan Dohr, Horn
Mitglieder der Berliner Philharmoniker


Weitere Infos siehe auch: https://www.berliner-philharmoniker.de/


Post an Steffen Kühn

http://www.hofklang.de

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