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Festival d’Aix-en-Provence 2025

Drei Werke,

ein Atem

Quatuor Diotima


Bewertung:    



Ein lauer Sommerabend im Garten der Villa Lily Patré – und ein Streichquartettabend, der nicht nur in der Programmwahl, sondern auch in der klanglichen Umsetzung Maßstäbe setzte. Das Quatuor Diotima, in diesem Jahr Formation à l’honneur des Festivals, präsentierte ein dreiteiliges Programm, das zentrale Werke des Streichquartettrepertoires des 20. und 21. Jahrhunderts miteinander in Resonanz brachte – ergänzt durch einen Klassiker, der in dieser Lesart fast unheimlich modern wirkte.

Boulez’ Livre pour quatuor ist weniger ein geschlossenes Werk als eine sich über Jahrzehnte entwickelnde Gedankenlandschaft in sechs „Feuillets“. Diotima spielt Auszüge daraus mit höchster Konzentration – und setzt narrative, fast schon disruptive Spannungsbögen frei. Es entsteht eine Musik der Gleichzeitigkeit und Verdichtung, in der vier scheinbar autonome Stimmen nebeneinander und übereinander existieren – und sich doch immer wieder berühren, verzahnen, sich durch rhythmische Konvergenzen oder farbliche Nähe kurzzeitig begegnen. Inmitten einer insgesamt klassischen, fast strukturell harmonischen Grundhaltung wirken einzelne disharmonische Einsätze wie bewusste Kontraste, Halbtöne als Interventionen, als Befragung der Form.

Kaija Saariahos Terra Memoria wurde als stiller Höhepunkt des Abends angekündigt – klanglich fein, strukturell ausgearbeitet, emotional aufgeladen. Dennoch wirkt das Werk in diesem Kontext fast akademisch, beinahe verkopft, trotz aller Nähe zu Boulez in Klangfarben und rhythmischer Dichte. Der Unterschied: während Boulez in den 1950ern die Form aufbricht, tastet Saariaho sie fast ehrfürchtig ab – ihre klanglichen Gesten haben etwas Zurückhaltendes, das sich nicht ganz von der kompositorischen Idee löst. Und doch gelingt Diotima auch hier eine eindringliche, fast meditative Lesart.

Und dann: Claude Debussys Quatuor à cordes en sol mineur, ein Werk von 1893 – und doch wirkt es neben Boulez und Saariaho erstaunlich zeitgenössisch. Die vier Musiker laufen hier zur Höchstform auf. Es ist nicht nur technisch auf höchstem Niveau gespielt – es ist gemeinsames Atmen, gespannter Dialog, musikalisches Mitfühlen. Das Quartett entfaltet seine volle emotionale Kraft, von impressionistisch flirrenden Linien bis zu rhythmisch pointierten Dialogen. Debussys Werk passt klanglich überraschend selbstverständlich in das zeitgenössisch geprägte Programm – ein Hinweis darauf, wie radikal und frei seine Klangsprache schon im ausgehenden 19. Jahrhundert war.

Ein großer Kammermusikabend, getragen von einem Quartett, das Präzision mit Ausdruck, Analyse mit Poesie zu verbinden weiß. Und ein schöner Beweis dafür, dass ein gut gewähltes Programm nicht nur chronologische, sondern emotionale und strukturelle Linien sichtbar machen kann. Ein Abend, der – im besten Sinne – nachwirkt.



Quatuor Diotima | © Michel Nguyen; Bildquelle: festival-aix.com

Steffen Kühn - 10. Juli 2025
ID 15357
FESTIVAL D’AIX—EN—PROVENCE (Villa Lily Pastré, 09.07.2025)
Pierre Boulez: Livre pour quatuor, parties I a & I b
Kaija Saariaho: Terra Memoria
Boulez: Livre pour quatuor, partie V
Claude Debussy: Quatuor à cordes en sol mineur
Quatuor Diotima
Yun-Peng Zhao, Violon
Léo Marillier, Violon
Franck Chevalier, Alto
Alexis Descharmes, Violoncelle


Weitere Infos siehe auch: https://festival-aix.com


Post an Steffen Kühn

http://www.hofklang.de

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