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Lyrik

Türkises


Barbara Köhler erkundet Istanbul in Wort und Bild


Bewertung:    



Nach dem verheerenden Terroranschlag vom 12. Januar 2016 - ein 28jähriger Islamist sprengt sich inmitten einer Reisegruppe nahe der weltberühmten Hagia Sophia in die Luft und tötet außer sich mindestens weitere 17 Menschen (unter ihnen auch 10 Deutsche) - hat das türkische Istanbul, was den touristischen Aspekt betrifft, an unschuldigem Charme verloren. Und wahrscheinlich ist es (nicht nur für uns Deutsche) zwischenzeitlich überall, wohin man mit dem Urlaubsflieger reisen könnte, brandgefährlich, und man sollte daher besser derart populäre Ziele weltweit meiden? Nein, nicht.

*

Die seit 20 Jahren in Duisburg lebende und im ostdeutschen Amerika (in Sachsen) geborene Lyrikerin Barbara Köhler nutzte ein fünfwöchiges Aufenthaltsstipendium der Kunststiftung NRW, um in 2014, zu Beginn des Jahres, ihre Eindrücke sowie Erfahrungen während ihrer Artist-in-Residence-Zeit in der Stadt am Bosporus auktorial zu bündeln. Es entstand ein schöner Bild- und Textband, den sie Istanbul, zusehends nannte und den jetzt der Düsseldorfer Lilienfeld Verlag auf den Buchmarkt brachte:

"In 23 Gedichten und vielen Fotos, die auf ihren Streifzügen ganz beiläufig entstanden, scheint 'zusehends' ein immer vielgestaltigeres Antlitz Istanbuls auf: Farben, seltsame Blumen, die Augen der Stadt, Spuren und Zeichen, das Fremde der Sprache, Worte und Blicke. Dabei wird Sightseeing zum seeing sight: das Sehen sehn, den eigenen Blick, die fremden Blicke und wie sie sich begegnen. Barbara Köhler ist auf Istanbul zugegangen, hat hingesehen und hingehört und das Gefundene mit Kamera und Sprache festgehalten." (Quelle: lilienfeld-verlag.de)

Ein Buch zum Vor- und Rückblättern.

Du bist sogleich in dem durch die Autorin zu dir Hingelichteten gefangen, und die Neugier wächst und wächst. Was, fragst du dich von Anfang an, ist das für sie Erkundens- und Beleuchtenswerte dieser maßlos schönen als wie unerklärlich abweisenden Stadt? [Ich selbst war erstmals, ungefähr ein Jahr vor ihr, im März 2013 dort.] Wahrscheinlich musst du wirklich, um von ihr nicht wettermäßig eingelullt, irregeführt zu werden, ausgerechnet wenn es kalt oder noch immer kalt oder schon wieder kalt ist, zu ihr hin; dann hast du einen unverstellten und auch freien Blick auf sie, bist also nicht auf permanentes oder anheimelndes Sonnenlicht, das sie womöglich "künstlich" schönte, angewiesen.


"Ist das blindlings oder siehst du nur zuviel?
Gibt's was zu verbergen oder nichts dahinter?
In der Überforderungszone, kurz vorm Rauschen
zappelnder, zappender Blick ohne Anhaltspunkt
sucht nach einem Motiv. TAKE A PICTURE! Genug
davon ist im Angebot, mehr als genug. Dichte,
blickdichte, lärmende Oberflächen, Einzelbild
modus nicht drin, die Trennschärfe abnehmend,
geht gegen null: TAKE PICTURES AND PAY - bloß
dass es davon nicht weniger werden. Noch mehr
vom Gleichen, Ähnlichen - Bilder über Bilder.
Bis sich blindlings vielleicht oder bildlings
etwas verschiebt, in den Sucher, die Suchende
gerät, in den Blick: Das, siehst du, ist dein
Motiv - das zeigt dir, weswegen du hier bist."

(EMINÖNÜ, BASARTUNNEL)



Köhlers Texte und Metaphern haben etwas Unverwechselbares und Besonderes. Es braucht zunächst ein bisschen "Überwindung", dass man sich dann peu à peu auf ihre wohl nicht immer leseleichten Sprachbilder einlässt. Doch schon beim zweiten also wiederholten Überfliegen ihrer Zeilen kurzschließt dein Gehirn und sagt dir: einfach, plastisch.

Farben, Farbbeschreibungen - trotz des in Istanbul erlebten grau und gräulich anmutenden Winters oder Noch-Winters - kommen zum Vorschein. Plötzlich bist du dir auch über das Türkis, dieser Vermischung zwischen Blau und Grün, bewusster noch als je zuvor; natürlich, stellst du fest, hat jener Farbton auch mit dieser Stadt bzw. diesem Land oder sogar dem Bosporus, den du dir plötzlich so türkisfarben wie irgend möglich vorstelltest, zu tun. Der Übergang von Asien nach Europa (oder umgekehrt) ist ein Kolor.

Auf Atatürk ("Vater der Türken"), dessen nachkolorierte türkisblaue Augen allerorts in Istanbul ersehbar sind, wirft die Autorin einen liebenswert-ironischen obgleich abgrenzend-distanzierten Blick.

Die damaligen Unruhen und auch Zusammenstöße zwischen Demonstranten und der Polizei, die insbesondere auf dem Taksim, in dessen Nähe Köhler ihre temporäre Wohnung hatte, werden von ihr, und obgleich sie "nur" die Anfänge in etwa mitbekommen haben dürfte, vorzeitig und ahnbar aufgegriffen. Im Glossar zu ihrem Buch vermerkt sie so:


"Am 11.03.2014 starb Berkin Elvan, der im Juni 2013 im Umfeld der Gezi-Proteste durch eine Tränengaskartusche aus nächster Nähe am Kopf verletzt wurde, als er morgens auf dem Weg zum Bäcker war. In den Tagen nach seinem Tod wurde das ekmek, einfaches türkisches Weißbrot, zu einem Zeichen stillen Protests. Premier Erdogan bezeichnete den Jungen in einer Rede zu dieser Zeit als Terroristen."


Vor- und rückblättern.

Istanbul, zusehends ist (auch) als Reiseführer nutzbar. Ausprobieren!
Andre Sokolowski - 22. Januar 2016
ID 9091
Barbara Köhler | Istanbul, zusehends
Gedichte, Lichtbilder

88 Seiten, m. Farbfotografien
Gebunden, Fadenheftung
20 × 14 cm
(D) € 18,90, (A) € 19,40, sFr 27,00 (UVP)
Lilienfeld Verlag, 2015
ISBN 978-3-940357-48-9


Weitere Infos siehe auch: http://www.lilienfeld-verlag.de/index.php?option=com_content&view=article&id=184&Itemid=95


http://www.andre-sokolowski.de

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