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„Man kann Fotos wegwerfen, Gegenstände zurücklassen, alte Kleidungsstücke verlieren – aber seine Leben von gestern mischen sich trotzdem in die Gegenwart, er spürt, wie seine Wurzeln ächzen, sie wollen sich nicht ausreißen lassen. Sie zittern, ineinander verwoben, dem Bewusstsein verborgen. Seine Vergangenheit wird zur Last. Wenn er seine Situation Punkt für Punkt betrachtet, läuft alles. Er bekommt gute Honorare. Er wird gut aufgenommen. Er sieht was von der Welt. Mariana wacht über ihn, und er mag sein Leben mit ihr. Aber er blutet aus toten Geschichten, presst kleine, geliebte Leichen an seinen Leib, er ist untröstlich. Er fühlt sich einfach unvollständig.“

(Virginie Despentes, Das Leben des Vernon Subutex 3, S. 198)

*

Im dritten Teil der Paris-Trilogie um Vernon Subutex lernt der Titelheld langsam mit der Gewissheit umzugehen, dass Gemeinschaftserlebnisse und Zugehörigkeitsgefühle kostbar und zerbrechlich sind. Gemeinsam genossene Augenblicke können stets ein jähes Ende finden. Obwohl Subutex stets an eine heilsbringende Zukunftsmusik glaubt, wird er sich einer Zartheit derselben bewusst.

Man erinnere sich an den ersten Teil. Hier wurde der Romanheld und ehemalige Plattenladenbesitzer obdachlos. Er kontaktierte Freunde über Facebook, machte neue Bekanntschaften und kam in den unterschiedlichsten Behausungen unter. Mehr und mehr tauchte er auch in die Pariser Halbwelt ein, während ihn der Produzent Laurent Dopalet von einer Privatdetektivin, der Hyäne, suchen ließ. Dopalet vermutete bei Subutex ein ihn kompromittierendes Vermächtnis mit Videoaufnahmen eines gerade verstorbenen Popstars.

Subutex lebte jedoch spätestens in Teil 2 überwiegend auf der Straße und zunächst abseits der Zivilgesellschaft. Nicht nur die Hyäne, sondern auch einige Freunde suchten ihn. Er wurde zum Zentrum einer recht heterogenen Gemeinschaft, die ihn regelmäßig aufsuchte und sich ihm teilweise sogar anschloss. Über diese Gemeinschaft fand die Hyäne Subutex und die Videoaufzeichnungen. Sie verriet dies jedoch überraschenderweise nicht an ihren Auftraggeber, sondern fand bald Gefallen an der Gruppe, in der sie wichtige Funktionen übernahm. Die Gemeinschaft um Subutex schaute aufmerksam die Videoaufzeichnungen an. Eine Teilnehmerin entnahm den Aussagen im Video, das Dopalet sich an ihrer verstorbenen Mutter schwer schuldig gemacht hatte. Sie nahm heimlich Rache an Dopalet, wovon die Gemeinschaft erst später erfuhr. Die Hyäne half ihr unterzutauchen.

In Das Leben des Vernon Subutex 3 feiern die einander zugetanen Freunde um Subutex zunächst an unterschiedlichen Orten im Freien sogenannte Raves, bei denen Subutex als eine Art Guru die Musik auflegt. Der Wert der Gemeinschaft wird hier hochleben gelassen. Bald gewinnen zuvor weniger wichtige Charaktere, wie die Alkoholikerin und arbeitslose Lehrerin Veró, die plötzlich ein Millionenerbe mit der Subutex-Gemeinschaft teilen soll, an Bedeutung. Das Auftauchen von Veró löst in der Gruppe folgenschwere Konflikte aus. Zeitgleich sorgen die Terroranschläge in Paris für Aufmerksamkeit. Neue Charaktere werden auf die Gemeinschaft aufmerksam, deren fiese Zwielichtigkeit sich erst im Verlauf des Romans langsam herauskristallisiert. Es kommt hier oft anders, als man denkt. Die Erzählperspektive wechselt ständig. Die französischen Autorin Virginie Despentes sorgt im dritten Teil ihrer Reihe wieder durch überraschende Wendungen und spannende Pointen für süffige Unterhaltung. Auch die Beschreibungen der Raves oder sogenannten „Convergences“, deren Musik Subutex besorgt, haben hohen Unterhaltungswert:



„Sie hätte nie geglaubt, sie würde ohne Drogeneinfluss sehen, wie farbige Bänder Menschen miteinander verbinden. Sie mag nicht, dass man ihr die Karten legt, sie glaubt weder ans Jenseits noch daran, dass man jemanden verfluchen kann. Aber sie hat gesehen, wie sich in der Dunkelheit Dinge abzeichneten, die nicht existierten. Und am meisten irritiert sie bis heute, dass sie nicht überlegt oder beschlossen hatte aufzustehen – sie stand einfach da, die Handflächen nach oben gestreckt, ein debiles Lächeln auf den Lippen festgeklebt, und tanzte. Und sie berührte niemanden, sie streifte keine anderen Körper, aber sie kannte das Gefühl – es war ein Orgasmus. Es hatte nicht das Geringste mit Sex zu tun, und trotzdem war es der unglaublichste Fick, den sie jemals erlebt hat.“ (S. 132-133)


Ansgar Skoda - 28. Oktober 2018
ID 10999
Link zum Roman: https://www.kiwi-verlag.de/buch/das-leben-des-vernon-subutex-3/978-3-462-05153-7/


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