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Krimi

Kaltblütig

auf der Lauer





Bewertung:    



Schweiß tritt aus den Poren der Figuren im neuen Krimi von Roland Gramling. In Brandenburg an der Havel, wo Privatdetektiv Sören Petersen in Tote jagen nicht ermittelt, ist gerade Hochsommer. Der neue Fall ist knifflig. Ein sogenannter Sniper erschießt aus wechselnden Verstecken heraus scheinbar wahllos Passanten. Der Nachfolgekrimi von Tote foltern nicht (2021) überrascht wieder mit pointierten Wendungen und interessanten Figuren, wie Constanze Stark, die erneut eine wichtige Rolle in der Aufklärung des Falles spielt. Die zwielichtige Anwältin wird diesmal mit ihrer traumatischen Kindheit konfrontiert. Eine Stärke des dicken Schmökers ist es, dass die Figuren Zeit haben, sich zu entwickeln. So veranschaulichen etwa Bewusstseinsströme das mitunter ambivalente Innenleben der Figuren. Constanze Stark schafft es regelmäßig, obwohl sie sich über Gesprächspartner ärgert, unter Druck steht und in die Enge gedrängt wird, ihre Gedanken zu ordnen:


„Mit einem Seufzen sank sie zurück und ließ sich vom angenehm kühlen Leder ihres Sitzes aufnehmen. Der Tag mochte mit einer unerfreulichen Zeitverschwendung begonnen haben, hatte aber soeben eine unerwartete Wendung genommen. Einerseits erfasste sie beim Gedanken an Brandenburg an der Havel eine innere Angespanntheit. Andererseits war da dieses angespannte Kribbeln, das sich wie ein knisterndes Feuer in ihr ausbreitete. Adrenalin flutete ihren Körper. Ihre Sinne schärften sich, in ihrem Kopf setzte sich ein mächtiges Getriebe in Bewegung. Tausende kleine Zahnräder, die ineinandergriffen. Optionen. Möglichkeiten. Chancen. Gefahren. Strategien. Namen. Abhängigkeiten. Beziehungen. Das waren die Kategorien, in denen sie dachte.
Für diesen Kick lebte sie. Das war ihr Beruf. Ihre Berufung.“

(S. 232)



Im Zentrum der Ermittlungen steht bald eine dubiose Sekte, und es werden vergangene, bisher nicht ganz aufgeklärte Fälle wieder aufgerollt. Constanze Stark begleitet die Ermittlungen im Auftrag des regierenden Bürgermeisters. Sören Petersen wird von der leitenden Ermittlerin der Mordkommission der örtlichen Polizei hinzugezogen. Das Ermittlungsteam muss alle Erwägungen in Betracht ziehen. Eile ist geboten, da die Bürger der Stadt in Unruhe geraten sind, drängt die Aufklärung. Schon bald gibt es mehrere Tote. Petersen lässt sich bald heimlich intim mit dem einzigen Opfer ein, das einen Mordanschlag überlebte. Wenn Stark ihn auf diesen jungen Mann anspricht, wird er misstrauisch. Er reagiert ausweichend, indem er ein anderes prominentes Opfer als Beispiel nennt:


„'Sollte er […] nicht traumatisiert sein? Ängstlich? Verstört?'
'Du bist nicht die Erste, die sich die Frage stellt, meine Liebe!"
'Opfer von Gewaltverbrechen reagieren nicht unbedingt immer so, wie man das von ihnen erwartet. Erinnern Sie sich an Natascha Kampusch? Die junge Frau weigerte sich, in der Öffentlichkeit die Rolle des misshandelten Opfers zu geben, und wurde dafür mit Häme und Hass überschüttet. Nur, weil das Publikum nicht bekam, wonach es gierte.'
'Ich sehe Ihren Punkt.'
'Da bin ich froh', antwortete Sören sarkastisch.“

(S. 392)



Neben den Auseinandersetzungen des großen Ermittlungsteams beleuchtet der Kriminalroman bald auch den Blickwinkel und das Vorgehen der Verbrecher. So betrachtet der Roman regelmäßig die Perspektive der Figur Hellea, die schließlich als gefährliche Auftragsmörderin gesucht wird und zuletzt aus Russland nach Brandenburg flüchtete:


„In Russland hatte sie sich mit den falschen Leuten eingelassen. Ihr Auftraggeber, ein Oligarch aus St. Petersburg, war plötzlich unerwartet beim Moskauer Regime in Ungnade gefallen und liquidiert worden. Ein als Fenstersturz getarnter Mord durch kremlnahe Paramilitärs. Hellea ahnte, sie stand als 'enge Mitarbeiterin', die zu viel wusste und noch dazu aus dem verhassten Westen kam, ebenfalls oben auf der Abschussliste. Seit dem missglückten Einmarsch in die Ukraine war die Lage unübersichtlich geworden. Krieg war nie gut fürs Geschäft. Zumindest nicht für das ihre.“ (S. 421)


Der fließende Wechsel der Perspektiven und Blickwinkel schafft es über weite Teile, den Spannungsbogen nicht abreißen zu lassen. Das Schicksal einiger Figuren erscheint dabei etwas konstruiert. Wendungen sind nicht immer pointiert, aber auch nicht vorherzusehen. Eine Stärke des Romans ist es, dass Szenen oft genau, fast filmisch beschrieben werden. Eine kleine Schwäche sind mitunter Tippfehler wie etwa „zum ihm“ (S. 149) oder „zu Begrüßung“ (S. 157). Das Personenregister auf den Seiten 633-636 sollte man konsultieren, wenn man den Krimi nicht in einem Rutsch durchließt, da sich das Personal breit auffächert und es auch wichtige Nebenschauplätze gibt. In Erinnerung bleibt neben dem trinkwütig-verführbaren Petersen und der nüchtern-analytischen Stark insbesondere auch das ruhige, geduldige und unaufgeregte Vorgehen der unheimlichen Hellea:


„Gelegentlich wechselte sie im Laufe der Stunden ihre Position. Mal saß sie in einem Café auf der Terrasse, dann wieder auf einer Parkbank, später schlenderte sie die Straße auf und ab. Die Augen, hinter der großen Sonnenbrille versteckt, spähten wachsam umher, selbst wenn sie vorgab, in einem Buch zu lesen oder auf ihr Smartphone zu starren. Im Zentrum ihrer Beobachtungen lag das Gebäude mit der Hausnummer siebzehn. Gleichwohl scannte sie zugleich die Umgebung. Die Überwachungskameras, etwa jene an einer Bankfiliale, nahm sie besonders ins Visier. Es dauerte nicht lange, bis sie eine imaginäre Straßenkarte zeichnen, jeden toten Winkel darauf markieren konnte. In der Nacht würde sie dank dieses verinnerlichten Rasters wie ein unsichtbarer Geist durch die Szenerie huschen. Ein Schatten in der Dunkelheit, wahrnehmbar, ohne erkennbar zu sein. Das war es, was sie sein würde, immer schon war.“ (S. 497)


Ansgar Skoda - 19. Dezember 2023
ID 14529
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