UNSERE NEUE GESCHICHTE (Teil 58)
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Wunderwerke und
Naturgestalter
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Bewertung:
Das Erdzeitalter Devon beschreibt die Zeit vor rund 400 Millionen Jahren und ist nach der Grafschaft Devon im Südwesten Englands benannt, wo der erste Nachweis für Baumwuchs entdeckt wurde. Hier wurde 1991 die Biochemikerin und Wissenschaftshistorikerin Harriet Rix geboren, die ihre Leser mit Geniale Bäume auf eine Entdeckungs- und Abenteuerreise durch die Erdgeschichte mitnimmt. Im Rahmen ihrer Tätigkeit hat sie Wälder in Kalifornien, im Staat New York, in Syrien, Brasilien, im Himalaya und vielen anderen Orten besucht und weiß als Journalistin sehr spannend und stilsicher darüber zu berichten.
"Fast 400 Millionen Jahre lang gehörten Bäume zu den größten Organismen an Land. Sie hemmten mit ihren Ästen die Luftzirkulation und wurden so zu Landschaftsarchitekten, die andere Lebensräume in der Natur gestalteten... Dieses Buch schreibt die Geschichte der Wirkmächtigkeit von Bäumen, eine Geschichte, die – erstaunlicherweise – bislang noch niemand erzählt hat." (S. 11)
Die Pflanzen waren im Devon-Zeitalter starken Stürmen vom Ozean her ausgesetzt. So mussten sie immer stärkere Schutzschichten und tiefere Wurzeln bilden. Da die nunmehr entstandenen Bäume Sauerstoff ausschieden, stieg der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre an und erlaubte dadurch die Entstehung neuen Lebens. Bäume sorgen heute noch für saubere Luft, schützen vor Überschwemmungen und speichern Kohlendioxyd. Rix geht von der These aus, dass sich Bäume in einem gewissen Sinn entwickelt haben, um Macht über das Wasser zu erlangen. Einige haben die Fähigkeit, den Himmel zu melken, und können Kondenswasser gewinnen, und Rix nennt den Baum „Alchemist mit einem Destillierapparat“. Die Bäume sind u.a. durch ihr Wurzelwerk in der Lage, das Ökosystem zu stabilisieren und sie waren es, die im Laufe des Devon das Wasser zu kanalisieren und Flussläufe zu formen wussten. Um sich entwickeln zu können, brauchen Bäume u.a. Phosphor und das ist in gebundener Form in Felsen enthalten, in den sie mit ihren Wurzeln eindringen, ihn zu Staub zerkleinern, aus dem dann das Erdreich entsteht. Dieses wiederum ist Grundlage für weitere Pflanzen, die unter dem Schutz der Bäume gedeihen.
Rix kommt nicht umhin, einiges an biochemischen Kenntnissen zu vermitteln, nimmt dabei aber Nicht-Biochemiker durchaus an die Hand. Ihre Ausführungen sind zu detailliert und umfangreich, um sie an dieser Stelle auch nur ansatzweise wiedergeben zu können, sind aber notwendig, um die Bedeutung und Fähigkeiten von Bäumen zu illustrieren. Am Ende der Kapitel über Wasser und Erde kommt Rix zu dem Schluss:
"Ohne Bäume... wäre unser Planet heute noch eine Mondlandschaft aus blanken Felsen... Doch Bäume haben die Dunkelheit der Erde erhellt und eine von Grün bedeckte Welt erschaffen." (92f)
Im Kapitel über Feuer erklärt sie, wie Bäume Scheinfeuer auslösen können, die bei niedrigen Temperaturen das ansonsten für richtige Brände anfällige Falllaub verbrennen, wobei gleichzeitig Fressfeinde vernichtet und Nährstoffe freigesetzt werden, ein Zyklus, der für neues Wachstum zentral ist. Mittlerweile werden kontrollierte Brände als Brandschutz eingesetzt, aber oft genug sind Wälder nicht vor vernichtenden Feuern geschützt, die z.B. durch Blitzeinschlag entstehen. Rix macht auf den schnell wachsenden Eukalyptusbaum aufmerksam, der fast überall auf der Welt eine Art Siegeszug angetreten hat, dabei aber andere Bäume verdrängt und deswegen meist als Monokultur zu finden ist. Wegen seiner sehr hohen Brennbarkeit fallen die Brände oft besonders verheerend und übergreifend aus.
Über die Beziehung der Bäume zur Luft haben die meisten in der Schule etwas erfahren, sie nehmen Kohlendioxyd auf und geben Sauerstoff ab.
"Bald nutzten die Pflanzen (im Lauf der Erdgeschichte) das Kohlendioxyd, um chemisch komplexe Kohlenstoffringe zu bauen... Diese Stoffe können Pflanzenfresser vertreiben, Bestäuber anlocken, Regen bringen und Feuer anziehen." (S. 146)
Vor rund einem Jahr wurden neue Erkenntnisse publiziert: Man war davon ausgegangen, dass Bäume Methangas produzieren, das für das Klima um ein Vielfaches schädlicher ist als Kohlendioxyd. Das Gegenteil ist aber der Fall: Bäume binden nicht nur Kohlendioxyd, sondern auch Methangas. Man geht nach entsprechenden Messungen heute davon aus, dass Bäume weltweit 24,6 bis 49,9 Megatonnen Methangas aufnehmen!
Im Kapitel über Pilze erfahren wir, dass Pilze ohne photosynthesefähige Organismen, wie Bäume, nicht existieren können, der Baum aber ohne Pilze zurecht kommen kann, wie etliche Straßenbäume. Trotzdem werden häufig Wurzelnetzwerke gebildet, die sich in einer Tiefe von bis zu vier Metern abspielen können. Der Begriff "Wood Wide Web" dürfte allgemeinen Bekanntheitsgrad erlangt haben, in dem Pilzfäden, Mycelen, unterirdisch für einen Informationsaustausch sorgen.
"Unter jedem Wald und Forst fand ein von Mycelen gelenkter Austausch von Stickstoff, Phosphaten und Zucker statt, von Signalmolekülen, Kalzium und Magnesium, von Glutamaten, Fetten und Aminosäuren, vielleicht sogar elektrischen Signalen – ein ständiger Strom von Interaktion von Pilz zu Pilz, der für das Leben der Bäume ausschlaggebend war.“ (S. 178f)
Rix stellt das in seiner Komplexität dar, denn diese Netzwerke können sehr gemeinschaftlich ausgerichtet, aber auch sehr fragil sein und kippen. So zerstört der Hallimasch-Pilz ganze Wälder und es ist schwierig, ihm Einhalt zu gebieten.
Die Kapitel über Pflanzen und Tiere sind partiell spannende Reiseberichte über jene Orte, wo erdgeschichtlich oder biochemisch Bemerkenswertes zu finden ist. Tiefe Schluchten, eine mehrtägige Kanufahrt im Amazonasgebiet und vielfältige andere Abenteuer lockern die Biochemie auf. - Die meisten Pflanzen standen anfangs im wahrsten Sinne des Wortes unter dem Diktat der Bäume, weil nur diese und wenige andere Arten hoch genug wachsen konnten, um an Sonnenlicht zu gelangen. Die Pflanzen darunter mussten sich bestenfalls mit dem begnügen, was für sie abfiel. Rix beschreibt die Emanzipationsgeschichte der Pflanzen, die außerhalb der Wälder gediehen. Sie schildert anschaulich, wie sich die Natur nach dem Asteroideneinschlag, der die Dinosaurier und die Natur vernichtete, erholte und welche Fähigkeiten dabei entstanden.
Die Bäume entwickelten Strategien, um Tiere anzulocken, damit diese sie bestäuben oder ihre Samen vertilgen und verbreiten, eine Art mobile Einsatztruppe. Das können Insekten sein, aber auch Elefanten leisten ihren Beitrag.
"Bestäubung und Samenverbreitung gehören zu den wichtigsten Gründen, warum Bäume Tiere prägen.“ (S. 261)
Im abschließenden Kapitel über Menschen erfahren wir, dass z.B. unsere Hände sich als Greiforgane entwickelten, um auf Bäume klettern zu können und an Früchte und Nüsse heranzukommen. Es gab auch eine Zeit, in der unsere Vorfahren sich in den Bäumen Nester gebaut haben. Die Bäume waren für die Ernährung grundlegend und sind heute noch unverzichtbar, allein schon weil sie unsere Atemluft produzieren. Am Ende wünscht sich Rix:
"Ich hoffe, dass die Kultur der Bäume so tief in uns verwurzelt ist, dass selbst die verrücktesten Entwicklungen – wie der Irrsinn der Städte oder die Begeisterung für die Technik – sie nicht ausreißen können." (S. 296)
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Geniale Bäume von Harriet Rix ist ein einzigartiges und bedeutsames Werk, das umfassend und anschaulich die Entwicklungsgeschichte der Bäume und damit auch die von uns Menschen illustriert. Das Buch ist eine Beweisführung über einen Zeitraum von 400 Millionen Jahren und zeigt, welche zentrale Bedeutung für unseren Planeten den Bäumen zukommt. Die Faszination, die sie auf Rix ausüben, und die Achtung, die Rix ihnen entgegenbringt, sind ansteckend. Nach der Lektüre des Buches geht man ganz anders durch den Park und Wald.
Helga Fitzner - 11. September 2025 ID 15457
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Geniale Bäume
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