Von Zeitspalten
im Übersinnlichen
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Bewertung:
"'Herein', kam sogleich von innen die Antwort. Sabin öffnete die Tür und stand Cbyte gegenüber. Sie staunte. Der Clown sah genauso aus wie auf der Bühne. Ein quadratischer Kopf, der Körper metallisch glänzend und die charakteristischen roten Augen, die ihren warmen Glanz vermutlich neuester LED-Technik zu verdanken hatten. Die gesamte Gestalt entsprach dem klassischen Roboter aus dem letzten Jahrhundert. Aus der Reihe fiel nur die rote Clownsnase und das ausgeklügelte Make-up, das seinen Mund modellierte. Es sah aus, als lachte er sie an... Er sah so verdammt gut aus in seiner Bühnenkluft. Genial, ein Clown, der sich als Roboter tarnt, um dann mit Make-up und roter Clownsnase dem klassischen Bild zu folgen. Komisch, skurril, bewunderungswürdig. Fast wünschte sie, er würde es bei diesem Outfit belassen. Andererseits, es gab eigentlich keine Bilder von seiner wahren Natur, und wenn sie für das Magazin eines bekäme, wäre dies allein eine kleine Sensation." (Auszug aus Der Clown)
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Dass Roboter und Androide nicht nur Arbeitserleichterung und Hilfe, sondern auch Bedrohung darstellen können, hat Isaac Asimov schon umgetrieben. Ellen Norten weiß das auch. In Eine harmlose Pandemie steht das Ende der Menschheit auf dem Spiel, und Roboter kommen endlich zum Zuge.
Um die Relativität der Zeit, um Langeweile, Vermisstsein und Liebe zwischen den Zeitspalten geht es in der Geschichte Zeitenwende.
Mit viel Humor und einem Augenzwinkern beschreibt die Autorin das Leben auf dem Planeten VAMP II, der nur von Vampirinnen bewohnt ist, die ihre Abstinenz irgendwann satthaben und kurzerhand einen Flirt-Ausflug nach Leipzig machen. Die Folgen davon sind in Emil Blutrausch zu lesen.
Leidenschaft gibt es überall, in den Tiefen des Meeres und im All. Die Geschichten Im Fischrestaurant; Bizarre Leidenschaft und der Preis der Schönheit behandeln diesen Zustand sehr unterschiedlich und extravagant. Eine witzige Neuinterpretation von Schneewittchen ist Illona und der Apfel.
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"Cornelius sah den blutigen Schnabel des Vogels, ein Tier, das er sein ganzes Leben lang hatte schützen wollen. Der Storch war zu einem unerbittlichen Feind geworden. Dann holte das Tier erneut aus und stieß ihm den Schnabel in die Brust." “ (Auszug aus Storchenfest)
Hier [s. Zitat oben] fängt der Puls zu rasen an, und es bringt uns zu Hitchcocks Vögel.
Herzklopfen verursachen auch die Fantasie-Erzählungen Der Kran und Die Glut oder Tod eines Weckers. Als promovierte Biologin öffnet uns Ellen Norten immer wieder eine Tür in das geheimnisvolle Treiben der Welt der Viren und der sonstigen sichtbaren und unsichtbaren Lebewesen oder Organismen, wie in Kein Leben auf Xinthan.
Daheim und vor der Tür – häusliche Abendteuer heißt der letzte Teil des Buches, bestehend aus neun Geschichten. Die Autorin lädt uns in ihr spannendes, persönliches Universum ein, und wir werden Zeuge einer Realitätsbewältigung in ihrer Science-Fiction und Fantasie-Welt. Auf den ersten Blick eine normale Wohnung, zentral gelegen, sanierter Altbau, groß und zahlbar, nur scheint diese nicht nur von einem Geist besessen zu sein. Dann erfahren wir endlich Wie alles anfing, warum aus der Toilettenspülung Straßenbahngeräusche kommen, der Kuckuck in der Uhr immer dicker wird, der alte Küchenschrank nicht allen Besuchern der Wohnung wohl gesonnen ist, wie ein Ameisenflüsterer funktioniert und warum Wolkenkratzer sich auf einen langen Marsch von Chicago nach New York machen.
Der lange Marsch der Wolkenkratzer ist auch der Titel dieser Kurzgeschichtensammlung. Die Autorin hat sich teils an persönlichen Lebensereignissen inspiriert und für diesen Band ihre Lieblingsgeschichten und die, die sie am besten repräsentieren, ausgesucht. Auf dem Mars war sie selbst zwar noch nie, denn noch kommt man dort mit dem Wohnmobil nicht hin. Wenn man sich aber durch dieses Buch liest, beschleicht einem das Gefühl, dass sie vielleicht doch den einen oder anderen Abstecher ins All gemacht haben könnte, verkleidet als Bakterie oder Miniaturameise in der Apollo 11. So anders scheint es dann aber im All auch nicht zuzugehen. Probleme wie Klima, Pandemien, Viren, Dekadenz, das Ende der Menschheit, Liebe, Langeweile und Leidenschaft, das Altern und das Bestreben Jung zu bleiben scheinen nicht nur die Erde und deren Bewohner zu betreffen.
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Ellen Nortens Geschichten sind existenzialistisch, unvorhersehbar, makaber, beunruhigend, grausam, aber auch komisch und zärtlich, und sie stimmen nachdenklich. Die Zeit und die Momente dazwischen, die, die man nicht fassen oder verstehen kann, sind ihre Hauptprotagonisten - in all ihren Formen und Verläufen. Ihr Ideenreichtum ist unerschöpflich und brillant. Dunkle Mächte, helle Gestalten, Kannibalismus, Mini- und Maxiwelten, Viren, Bakterien, Zukunft und Vergangenheit und schräge Situationen hier und überall schlagen erbarmungslos um sich. Nicht allen Geschichten gönnt sie ein Happy End. Es sind Träume und Alpträume, die oft bürgerlich und normal beginnen und sich verselbständigen; sie tun, was sie wollen, und sie scheinen nicht mehr aufzuhalten. Das Erwachen kommt nicht immer rechtzeitig. Manchmal droht und kommt der Untergang, denn nicht alle können schwimmen oder wissen, wie man sich über Wasser hält. Die Überraschungseffekte sind frappierend.
Die Autorin veröffentlichte 2023 ihren Debütroman Jamila tanzt. 2024 zeigte sie zum ersten Mal ihre Grafiken und Bilder in der Ausstellung Grenzenlos. Die 34 Geschichten in dem Band Der lange Marsch der Wolkenkratzer sind mit surrealistisch-naiven schwarz-weiß-Zeichnungen der Autorin selbst illustriert und setzen dem 230-Seiten Buch die Krone auf.
Christa Blenk - 30. September 2025 ID 15488
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Langen Marsch der Wolkenkratzer
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