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Gralsritter

wider Willen





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„Er musste an die niederschmetternde Geschichte des Löwenritters denken und stellte sich ein furchtbares Schreckensszenario vor: dass er die Frist verpasste und weiter durch den Zauberwald irren und wie Iwein dem Wahnsinn anheimfallen würde. Um als geläuterter Eremit einsam und alleine einen verrückten Schatz zu bewachen. Dieses weiße Tier – oder Ding –, das anscheinend immer nur er sah, war bestimmt irgendein Vorzeichen. Ein Menetekel. Dupin fuhr sich in einem seltsamen Anflug von Panik heftig durch die Haare.“ (Jean-Luc Bannalec, Bretonische Geheimnisse, S. 312)


*


Ritter haben es mitunter schwer. Um 1200 dichtete Hartmann von Aue einen Versepos über Iwein, einem Ritter der Tafelrunde am Hofe von König Artus. Iweins Verfehlungen lassen ihn alles verlieren, und er muss zahlreiche Abenteuer bestehen, um Frau und Ehre wiederzugewinnen. Jean-Luc Bannalecs Bretonische Geheimnisse (2018) spielt im Forêt de Paimpont, dem größten Waldgebiet der Bretagne, der als mythische Brocéliande oder Zauberwald der Artus-Sage gilt. Hier werden eine Reihe von Erzählungen aus dem arturischen Sagenkreis verortet, wie etwa Iweins Kampf mit dem Schwarzen Ritter.

Der neue Fall des mürrischen, eigenbrötlerischen und koffeinsüchtigen Kommissars Georges Dupin, gewinnt dadurch an Reiz, dass sich Dupin wiederholt mit der sagenumwobenen Figur Iweins beschäftigt (u.a. auch S. 205), dem Ritter, der einen Löwen zum Gefährten hatte.

Der von Paris in die Provinz ins Département Finistère in der Bretagne zwangsversetzt Kommissar bewies seinen analytischen Verstand bereits bei Mordaufklärungen im Künstlerdorf Pont Aven (Bretonische Verhältnisse, 2012), auf den Glénan-Inseln (Bretonische Brandung, 2013), in den Salinen von Guérande (Bretonisches Gold, 2014), in Austernzuchten am Fluss Belon (Bretonischer Stolz, 2015), in einer Fischauktionshalle und auf der Insel Île de Sein (Bretonische Flut, 2016) und an der rosa Granitküste bei Trégastel (Bretonisches Leuchten, 2017).

In den sagenumwobenen Fôret de Brocéliande verschlägt es Dupin, seinen neugierigen und eilfertig-verschrobenen Inspektor Kadeg, seinen ehrgeizigen und eifrigen Inspektor Riwal und seine multitaskingfähige und charmante Assistentin Nolwenn eigentlich vor allem im Zuge eines Betriebsausfluges. Doch natürlich verbindet Dupin das Schöne mit dem Nützlichen und hat noch einen weiteren Grund, diese Gegend zu besuchen. Einem Freund von der Pariser Polizei soll er einen kleinen Gefallen tun und einen Zeugen vor Ort zu einem ungeklärten Fall befragen. Als Dupin jedoch diesen Zeugen nur noch ermordet in einer gewaltigen Blutlache vorfindet, wird er kurzerhand zum Sonderermittler der Pariser Polizei in einem äußerst verwickelten Fall ernannt.

Bannalec würzt die Ermittlungen im sagenumwobenen Artuswald wie in den Vorgänger-Romanen mit detailreichen Naturbeobachtungen, die für atmosphärische Spannung sorgen:


„Aber dieser Wald war kein gewöhnlicher dunkler Wald. Heute Nachmittag hatte er nicht gemerkt, wie laut der Kies beim Gehen knirschte. Ein unheimlicher Lärm. Das Gleiche galt für das Zirpen der Grillen, das hier völlig anders klang als in der sanften Flusslandschaft. Es wirkte sonderbar dissonant, chaotisch. Von sphärischer Harmonie keine Spur. Ab und zu war ein Käuzchen zu hören.“ (S. 194)


Bald zentrieren die Nachforschungen im Artus-Land auf der Suche nach einer mittelalterlichen Schrift. Dem heiligen Gral vielleicht nicht ganz unähnlich fordert diese wertvolle Rarität ausgesprochen brutale taktische Allianzen und Alleingänge in einem illustren Kreis an Artus-Forschern und Mittelalterspezialisten heraus.

Der siebte Teil der Serie um Kommissar Dupin wartet erneut mit viel bretonischem Lokalkolorit auf. Der hinter dem sprechenden Pseudonym Bannalec steckende 52jährige deutsche Autor Dr. Jörg Bong, Programmgeschäftsführer des S. Fischer Verlags, lebt selbst wenigstens zeitweise im südlichen Finistère und führt die Handlung stets an sehenswerte Schauplätze. Eine Karte im Bucheinband bezeugt eine Realität der Handlungsorte. Die Krimi-Bestseller fördern ja bekanntlich auch nachhaltig den gegenwärtigen Bretagne-Tourismus.

Insbesondere Mediävisten könnten Erwähnungen großer Versepen des Mittelalters wie von Wolfram von Eschenbach oder Chrétien de Troyes (S. 273) zusätzlich begeistern. Einige erfrischende Detailbeobachtungen, wenn Dupin etwa während seiner Gespräche mit Kollegen um diese herumläuft, so dass sie sich mitdrehen müssen (S. 272), erinnern daran, dass der Krimi im September ja auch für das Fernsehen verfilmt wird. Neben kleinen Tippfehlern wie "von Dupins Beruf[sic]s" (S. 63), "ein[sic] Flasche" (S. 141) schwächen jedoch der geflissentliche Einbau von Produktnamen oder real existierenden Restaurants und Hotels ein bisschen die Spannung. Insgesamt erscheinen Tempo und Dramatik insbesondere gegen Ende zu moderat, um wirklich zu fesseln. Es gibt jedoch durchaus regelmäßig atmosphärische und verheißungsvolle Passagen, die zum steten Weiterlesen verleiten und mitzureißen vermögen:


„Die Fahrt durch den nächtlichen Walt war eine Fahrt durch tiefste Dunkelheit gewesen. Durch eine konturlose Schwärze. Die Bäume waren nicht einmal im Ansatz auszumachen, nur die tanzenden Scheinwerfer des Citroëns hatten sie ab und an plötzlich und unruhig aufscheinen lassen, den Teil eines Stamms, einen Ast, Blätter. Es war sonderbar, der Wald war da, unmittelbar, überall um Dupin herum, und doch nicht zu sehen. Dupin hatte sich in seinen Wagen fünfzehn Minuten lang gefühlt wie in einem Raumschiff, das durch das Weltall rast. Auch, weil direkt über ihm Myriaden Sterne grell funkelten – sie wirkten sonderbar nah heute Nacht –, vor allem wenn er einen Hügel hinaufschoss. Es war nur ein Streifen Himmel, der von den unsichtbaren Baumwipfeln rechts und links der Straße freigegeben wurde, aber schon das offenbarte ein wahres Sternenmeer, nervös flimmernd, blinkend. Es verstärkte den Eindruck, hier am Boden durch eine unheimliche, enge, lichtlose Gasse zu fahren. Dupin hatte im Wagen ein seltsames Gefühl der Einsamkeit, ja Beklommenheit beschlichen, das er gar nicht kannte.“ (S. 181f.)


Ansgar Skoda - 29. Juli 2018
ID 10819
Link zum Buch: https://www.kiwi-verlag.de/buch/bretonische-geheimnisse/978-3-462-05201-5/


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