Über Einsamkeit ... . .. ein Streifzug
von Malte Borsdorf
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Einsamkeit ist nicht schön. Literatur über sie kann schön sein.
In seinem Stück „Kaspar“ lässt Peter Handke diesen die Umwelt erfahren. Kaspar Hauser ertastet sie sich. Dabei stellt er sich tölpelhaft an, da er die Zusammenhänge nicht kennt. Ähnlich mag sich Marguerite Duras fühlen, als sie in „Das tägliche Leben“ schreibt, dass Schreibende in der Liebe sich oft dumm anstellten, da in ihrem Kopf nur die Figuren seien über die sie schrieben. Yann Andrea, ihr Geliebter, weiß in „M. D.“ etwas anderes zu berichten und letztlich liegt das womöglich daran, dass Duras oft über ihn schrieb, er die Figur war, die sie sich im Schreiben vorstellte und formte (etwa in „Yann Andrea Steiner“, ihrem letzten Buch).
Im „täglichen Leben“ jedenfalls heißt es: „Allein mit dem Alkohol habe ich den ganzen Sommer in Neauphle verbracht.“ Ähnlich geht es Herrn Geiser in „Der Mensch erscheint im Holozän“. Doch bei Max Frisch ist es die Hauptfigur, die sich in der Einsamkeit mit Büchern umgibt; Lexika. Das geht, so denke ich, vielen Leserinnen und Lesern so und mithin ist diese Einsamkeit einer der Gründe für das Schreiben. Doch die Einsamkeit ist ebenso schwer, wenn sie nicht aufgezwungen sondern frei gewählt ist. Es dauert einige Zeit ehe man erkennt, dass das Alleinsein schön sein kann; frei. Das warten auf eine Person hingegen, die doch nie kommt, ist beengend. In Handkes „Die linkshändige Frau“ verhält es sich so. Und die Gesellschaft ist – so scheint es – eine Art Sucht. Man begehrt die anderen. Doch will man sich auch von ihnen lösen, da das Begehren Angst erzeugt. Bruno löst sich von seinen Menschen vollends, nachdem alle Menschen aus seiner Umgebung noch einmal zusammentrafen. Dieses letzte Zusammentreffen taucht bei Handke oft auf – auch in: „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ – und es ist wohl auch die klügste Methode, die Vereinzelung der Menschen darzustellen.
Die Einsamkeit nimmt „Einer“ bei Norbert Gstrein in kauf. Er ist wie er ist, anders. Und Teil dieses Andersseins ist, von den anderen losgelöst zu sein. Diese Loslösung wird im Buch immer stärker. Jakob, so heißt die Hauptfigur, schließt sich ein und geht nur noch aus dem Zimmer um sich mit Wein zu versorgen. Jakob ist hier einer, einer von vielen. Und wie viele, scheitert auch er daran. Er scheitert auf dieselbe Art, wie manche Figuren bei Thomas Bernhard. Das Alleinseinwollen ist in dessen Literatur ein Hauptthema. Hieran zeigt sich, was meiner Ansicht nach die Bernhardrezeption oft falsch interpretiert: Thomas Bernhard schreibt nicht über die Einsamkeit, denn einsam sind doch nur die, die die Gesellschaft missen. Einsam ist Kaspar. Doch bei Kaspar ist es umgekehrt als etwa in Bernhards „Korrektur“. Hier ist die Gesellschaft etwas, das die Figur nicht erträgt. Auch in anderen Texten Bernhards finden sich Protagonisten, die die Gesellschaft zu einem einzigen Menschen suchen (etwa in: „Alte Meister“) und selbst dieses Beisammensein ist meist tragisch. Vermutlich liegt darin Bernhards Grundpessimismus begründet.
Hier verhielte es sich ähnlich wie bei Sartres Antoine, der sich nur nach einer Frau sehnt: Anny. Ähnlich geht es Michel in Houellebecqs „Plattform“. Er liebt die Frauen, ihre Körper. Doch ist er zu einer langwierigen Konversation nicht fähig. Und die Liebe, sie kann hier kaum mehr zustande kommen. Auf gut hundert Seiten des Romans schildert Houellebecq, wie Michel mit Valerie zusammenkommen möchte, es jedoch nicht schafft. Der Sex dient hier, wie so oft in der Literatur, zur Illustration der Befindlichkeit. Houellebecq scheint zu meinen, dass er das letzte ist, was die Menschen miteinander erleben können (das letzte „metaphysische Gefecht“, Sloterdijk). Ähnlich ist das auch bei Thomas Hettches „Nox“. Hettche erwähnt Platons Kugelwesen, die die Verbindung mit dem Partner suchen um ihre Unvollkommenheit und Geteiltheit rückgängig zu machen. Dadurch illustriert er die Teilung Deutschlands und seiner Gesellschaft, die sich bei ihm deshalb – so denke ich – nach dem Mauerfall in Sexpartys ergeht.
Die Einsamkeit ist also Befindlichkeit von Schreibenden und Lesenden, sie ist Merkmal von Gesellschaft und Zeit.
Malte Borsdorf, Januar 2005 ID 1560
Die Romane „Der Ekel“ von Jean-Paul Sartre und „Plattform“ von Michel Houellebecq erschienen im Rowohlt Verlag.
Die Texte „Kaspar“, „Die linkshändige Frau“, „Der kurze Brief zum langen Abschied“, „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ von Peter Handke, sowie: „Das tägliche Leben“, „Yann Andrea Steiner“ von Marguerite Duras und „M. D.“ von Yann Andrea und „Korrektur“, „Alte Meister“ von Thomas Bernhard erschienen im Suhrkamp Verlag wie auch „Der Mensch erscheint im Holozän“ von Max Frisch.
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