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Ausstellung

Die Umkehr

des Blicks



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Gleich am Eingang steht die Figur eines englischen Kolonialsoldaten, den ein Ureinwohner von den Nikobaren als Schreckfigur angefertigt hat. Er streckt den linken Arm hoch und hat sehr gefährlich aussehende Zähne. So wird gleich klar: Es ist nicht der europäische Blick auf die zur Kolonialzeit als primitiv gewertete Kunst der okkupierten Länder und Menschen, sondern die Sichtweise der eroberten und teilweise missionierten Einheimischen auf die Kolonialherren. Die Schreckfiguren wurden von den Ureinwohnern am Eingang aufgestellt, um beispielsweise Krankheiten abzuwehren, und sind ein deutlicher Hinweis auf die Schreckensherrschaft der Europäer.

Das „Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt“ (RJM) geht nicht nur auf die Kolonialgeschichte ein, sondern auch auf seine eigene. Einige der Exponate gehen auf die Sammlung von Julius Lips (1895-1950) zurück, der 1928 Direktor des RJM war und in den 1920er Jahren eine Sammlung von Europäerdarstellungen begann. Er gehörte zu den Pionieren, die den Wert der Kunst der indigenen Völker erkannten und außereuropäische Kulturen als ebenbürtig betrachtete und durch kulturvergleichende Ausstellungen darüber aufklären wollte. Das war aber mit der Rassenlehre der Nationalsozialisten nicht vereinbar, die die Ethnologie dazu anhielten, die Minderwertigkeit nicht-arischer Rassen zu bestätigen. Dazu war Lips nicht bereit. Ihm wurden u.a. seine Pensionsansprüche und Staatsangehörigkeit aberkannt. Er ging ins Exil und verfasste 1937 das Buch The Savage Hits Back or The White Man Through Natives Eyes, dessen provokanten Titel die jetzige Ausstellung [Der Wilde schlägt zurück]übernommen hat.

Das RJM verfügt über 33 Objekte aus der Sammlung Lips, die meisten davon sind aus Afrika. Es sind allein drei Frauengestalten darunter, und eine davon war die berühmteste Europäerin ihrer Zeit: Königin Victoria. Als Herrscherin eines Weltreichs war sie eine beliebte Figur und durch das neue Medium Fotografie und den Personenkult um sie auch in den entferntesten Winkeln ihres Empires bekannt.



Queen Victoria. Unbekannter Künstler, Yoruba, Nigeria, Westafrika, um 1900. Die britische Königin Victoria als Holzskulptur, geschnitzt nach einer weit verbreiteten Fotografie | © Rheinisches Bildarchiv Köln, Wolfgang F. Meier


Da die Kunst der indigenen Völker oft Ausdruck ihrer Spiritualität und Schöpfungsmythen sind und waren, haben sich damals die Künstler auf eine sehr viel naturalistischere Darstellung der Europäer eingestellt. So ist für sie ein neues Genre entstanden, und ihre Auseinandersetzung damit beweist, dass sie sich dem Unbekannten mit viel Kreativität und Innovation gestellt haben. Einige der Exponate können als Karikaturen angesehen werden, die nachweisen, dass die Einheimischen die Europäer durchschaut haben. Da ist Satire und Kapitalismuskritik durchaus erkennbar. Sie stellten u.a. Objekte her, die halb menschlich und halb tierisch sind. Der Affe ist bei den Einheimischen nicht sehr beliebt und steht für die Gier. In ihrer Kunst wird er deshalb mit den Europäern in Verbindung gebracht. Die meisten Figuren waren männlich, stellten Soldaten und Kolonialbeamte dar, aber auch Schiffe, Waffen und militärisches Gerät.

Bei vielen Ausstellungsstücken lässt sich der Künstler nicht mehr ermitteln, doch zwei der bekanntesten werden besonders hervorgehoben. Der Aborigine aus dem Südwesten Australiens Tommy McRae, der auf Papier malte, was für ihn ungewöhnlich war, aber seine Kunst transportabel machte, was bei Felsmalereien beispielsweise nicht möglich ist.

Ein weiterer sehr bekannter Künstler war der Nigerianer Thomas Onajeje Odulante (um 1900-1950), dessen Sohn William bei der Presseführung und der Eröffnung zugegen war. Es gibt ein schönes Foto von seinem Vater und ihm aus dem Jahr 1938, als William Ayudele Odulante sechs Jahre alt war. Danach gefragt, ob er damals schon wusste, wie berühmt sein Vater war, sagte er: „Ja, mein Vater war ein Mann mit hohem Ansehen und wurde sehr respektiert. Es kamen Leute von weit her, um ihn aufzusuchen.“ Das zeigt den damaligen Stellenwert der Künstler in Afrika.

Was die Kultur in Köln und vielen anderen Orten überschattet, sind die leeren Stadtkassen, und es ist immer wieder erstaunlich, was die Museen trotzdem auf die Beine stellen. Wir haben über Pilgern sowie Wüste – Meer – Schöpfungsmythen im RJM berichtet.

Der Wilde schlägt zurück ist eine ziemlich abgespeckte Ausstellung, was auf den Finanz- und Personalmangel zurückzuführen ist. Es gibt Sitzgelegenheiten, wo man in Büchern stöbern und sich die vielen Fotos anschauen kann, die mit einem Beamer an die Wand projiziert werden. Es wird auch die schillernde und umstrittene Persönlichkeit von Julius Lips deutlich, der nach dem Zweiten Weltkrieg nach Leipzig in die DDR zog und wegen seiner antifaschistischen Haltung dort gefeiert wurde, während die westlichen Medien ihn kritisierten. Nun – rund 85 Jahre nach seinem gescheiterten Versuch, im RJM diese Ausstellung zu realisieren – ist ihm vielleicht späte Gerechtigkeit zuteil geworden.

Kultur ist bedeutsam und verdient Unterstützung. Das RJM hat sich auf Kulturen der Welt spezialisiert und öffnet damit das Denken und die Würdigung des Fremden. Mit der Sichtweise der anderen auf uns bietet Der Wilde schlägt zurück noch mal eine spannende Variante: „Sich selbst aus der Sicht eines anderen zu sehen, kann festgefahrene Selbst- und Fremdbilder ins Wanken bringen“, heißt es im Katalog zur Ausstellung. Und es kann zur Hinterfragung der eigenen Kultur anregen, was wegen der derzeitigen Nationalismusdebatte von besonderer Bedeutung ist.
Helga Fitzner - 17. März 2018
ID 10588
Weitere Infos siehe auch: https://museenkoeln.de/rautenstrauch-joest-museum/Sonderausstellungen


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