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Filme


Sektion: Wettbewerb Berlinale 2006

Grbavica: "Sarajewo, meine Liebe"

Regie: Jasmila Zbanic

D: Mirjana Karanovic, Luna Mijovic

Fotos: Berlinale

Grbavica

„You must show, how a rose smells“ ist eine alte Filmregel.
Zeigen, wie eine Rose riecht, hieße bei „Grbavica“ die ZuschauerInnen spüren zu lassen, wie sich tagelange Vergewaltigungen, Folter und andere Grausamkeiten durch Soldaten für Frauen anfühlen: Feuchte Hände, Magenschmerzen, Atemnot, Übelkeit, Würgen, Erbrechen, Zitteranfälle, Panik, Furcht, Herzrasen, Todesangst. „Grbavica“, der Berlinale-Wettbewerbs-Beitrag der 32-jährigen bosnischen Filmemacherin Jasmila Zbanic erfüllt diese Regel - 90 Minuten lang.
„Grbavica“ - ein schweres Wort für einen Filmtitel - ist ein Stadtteil von Sarajewo und heißt eigentlich Frau mit Buckel. Esma wohnt dort. Töchterchen Sara lebt, aufgrund immenser Anstrengungen ihrer Mutter, ein fast unbeschwertes Tennie-Leben mit TV, Musik, Klamotten. Als Tochter eines Kriegshelden (shaheed) hat sie in der Schule einen Bonus. Sie ist taff, aufmüpfig, und läßt sich auch von Schulkameraden wie Samir nicht die Butter vom Brot nehmen.
Esma staatliche Unterstützung reicht nicht, sie hält sich mit Jobs über Wasser, verdingt sich in einem Nachtclub als Servierin, näht für andere Frauen. Sie ist im Club keine klassische Kellnerin, nicht blutjung, nicht sehr sexy. „Esma“, stellt die ukrainische Prostituierte fest, als sie sich bekannt machen, „das ist genau so schlecht wie aus der Ukraine zu sein.“

Fotos: Berlinale

Mutter Esma scheint manchmal ein wenig sonderbar - aber so sind Mütter nun mal.
Erst als es um Sara‘s Klassenfahrt geht, bei der Kinder von Märtyrern Ermäßigung erhalten -doch nur mit einem Dokument - bricht die sichere Basis von Mutter und Tochter zusammen.
Sara ahnt, es gibt kein Dokument. Mit einer Waffe erzwingt die 12-Jährige die Wahrheit. Wütend und verzweifelt schlägt Esma mit Worten und der Faust auf Sara ein: „Ich bin von Soldaten vergewaltigt worden, daher kommst du. Du bist ein verdammter Bastard“.
Das, was sich vorher so bedrohlich andeutete, wird laut ausgesprochen. Das, von dem man wußte und wünschte, es wäre nicht so, wird bestätigt.
Während der Jugoslawienkriege in den 90er Jahren besetzte die serbisch-montenegrischen Armee 1992 Grbavica, einen Stadtteil von Sarajewo. Er wurde zu einem Kriegslager umgewandelt, in dem mehr als 20 0000 bosnische Frauen systematisch durch Vergewaltigung gefoltert wurden. Der semidokumentarische Spielfilm handelt von dem, was dabei herauskam: Ungewollte Schwangerschaften, Kinder.
Genau weiß es keiner wievielen Frauen es passiert ist - und keiner will es so genau wissen. Die geschätzten Zahlen reichen von 20 000 bis 50 000. Viele Frauen sind ermordet worden und Tote können nicht mehr reden. Traumatisierte Frauen tun es auch kaum. Esma geht ins Zentrum zu den psychotherapeutischen Gesprächsgruppen für Frauen, sprechen tut sie nicht.

Fotos: Berlinale

Die Gewalt der Vergangenheit wird subtil eingeführt, man kann Esma dabei zusehen, wie das Trauma langsam in ihr hochkriecht, bis sie flüchtet, sich übergibt, weinend zusammen bricht: Im Spiel mit der Sara, als die sie fest an den Händen festhält und nicht losläßt, bis Esma ausrastet. Als sie im vollbesetzten Bus sitzt und der fette Bauch des stehenden Mannes an sie stößt, oben die behaarte Brust, ein Goldkettchen. Als der Zuhälter-Typ im Club, braungebrannt, der Prostituierten auf seinem Schoß – zum Spaß - mit einer glühenden Zigarette andeutungsweise auf die Brustwarzen tippt.
Der Film geht direkt unter die Haut, man fürchtet sich mit Esma vor jedem gutgebräunten Goldkettchen-Mann, und auch vor jedem anderen.
Als Bodyguard Pelda, Nachtclubkollege, sie nachts mit der Limousine nach Hause bringen will, stockt einen der Atem. Er meint auch noch, Esma von früher zu kennen. Irgendwie ist man erleichtert, als sie feststellen, dass sie sich „nur“ von der Toten-Identitifizierungs-Stelle her kennen. Kurze Zeit später läßt Pelda den Romantiker raushängen und lädt Esma – anbaggern auf bosnisch - zu einem Grill-Date über den Dächern von Sarajewo ein. Bei trübem Nieselwetter tischt er formvollendet auf: Würstchen, Rotwein in Kelchen, Brot, Musik. Er ist vorsichtig, wenngleich ihm anzusehen ist, dass er sich mehr vorstellen kann. Esma dagegen kann lediglich einen Handkuß erwidern. Ist der Eine wirklich anders als die Anderen? Zumindest ist er geduldig, man ist ihm dafür dankbar, will ihm vertrauen, aber es geht nicht.

Die 32jährige Regisseurin Jasmila Zbanic will mit ihrem ersten Spielfilm ein Zeichen setzen. Sie wohnte damals in Grbavica und hörte von den grausigen Geschichten der Frauen, die aus dem Lager zurückkehrten: „1992 ...begriff (ich) auf einmal, dass ich mich in einem Krieg befand, in dem Sex als Kriegsstrategie benutzt wurde, um Frauen zu erniedrigen und damit die Vernichtung einer ethnischen Gruppe herbeizuführen! Während des Krieges wurden in Bosnien 20.000 Frauen systematisch vergewaltigt. Ich wohnte damals 100 Meter von der Front entfernt und hatte schreckliche Angst vor dieser Art des Kampfes. Seitdem wurden Vergewaltigung und die Konsequenzen daraus für mich zu einer Obsession: Ich verfolgte und las alles, was mit diesem Thema zu tun hat.“
Erst wollte sie einen reinen Dokumentarfilm drehen,sie entscheidet sich dann aber dafür, wahre Geschichten und Gesichter mit fiktiven Szenen und Schauspielerinnen zusammen zu setzen. Beiläufig zeigt sie auch das Leben in Sarajewo. Die immer noch zerstörte Stadt, die Einschußlöcher und Ruinen und viele zumeist arbeitslose Menschen, die irgendwelchen legalen oder illegalen Geschäften nachgehen, oder versuchen, sich zu amüsieren.

Das Stigma, Kind eines Vergewaltigers, eines Feindes zu sein trifft Sara schwer. Sie rasiert sich den Kopf kahl, bekennt sich so zu ihrer Schande. Der volle Klassenfahrt-Beitrag kann bezahlt werden, denn Sabina startet in der Schuhfabrik eine Sammelaktion. Sara tritt kurzgeschoren ihre Reise an. Erst als der Bus anfährt, versöhnen sich Mutter und Tochter. Die Mädchen singen „Sarajewo, meine Liebe“ - auf Klassenfahrten sehr beliebt -und Kemal Montano bringt zum Schluß die schnulzige Original-Version.
Das einfühlsame Drama wäre würdig, den Goldenen Bären zu gewinnen. Doch ein Spielfilm, der auf der Realität beruht, und in dem es ausschließlich um, durch männliche Gewalt und Vergewaltigung, traumatisierte Frauen geht, ist kein hippes Berlinale-Thema. Dementsprechend knapp fällt in allen Journalen die Besprechung dieses Filmes aus. Bei manchen wird er – obwohl Wettbewerbsbeitrag- sogar ganz vergessen. Denn mißhandelte Frauen haben weltweit keine Lobby.

Fotos: Berlinale

„Und Hoffnung? Gibt es die in Sarajewo“, wird die Regisseurin oft gefragt. „Für die Frauen,“ sagt sie, „gibt es kein Entkommen, kein Vergessen, keine Bewältigung des Schmerzes. Um die Frauen wird immer ein großes schwarzes Geheimnis sein. Sie werden nicht entschädigt und als Kriegsversehrte anerkannt.“ Sie wünscht sich für die Frauen, dass der Film für sie eine „Katharsis“ sein wird. Sie selbst sei Optimistin und will mit ihrem Kind in Sarajewo leben. Dort wären wieder Lebenslust und Lebensfreude zu spüren, und Alle sind eingeladen, es sich selber anzusehen.


Hilde Meier - red.-berlin / 15. Februar 2006
ID 2255
Titel: GRBAVICA
Länge: 90 min
Format: 35 mm
Original Sprache: Bosnisch
Jahr der Produktion: 2005
Genre: Drama
Produktionsland: A / BIH/ D / CRO
( Austria / Bosnia and Herzegovina / Germany / Croatia)
Drehbuch und Regie: Jasmila Žbanic
Drehbuchmitarbeit Barbara Albert
Kamera Christine A. Maier
Kameraassistenz Sandra Merseburger
ProduzentInnen Barbara Albert, Damir Ibrahimovic, Bruno Wagner
Koproduzenten Boris Michalski, Damir Richtaric

Die DarstellerInnen: Mirjana Karanovic (Esma), Luna Mijovic (Sara), Leon Lucev (Pelda, Kenan Catic (Samir), Jasna Ornela Berry (Sabina), Dejan Acimovic (Cenga), Bogdan Diklic (Saran), Emir Had`ihafizbegovic (Puska)

Redaktion ZDF – Das kleine Fernsehspiel Jörg Schneider

Weltvertrieb: The Match Factory
Sudermannplatz 2
50670 Köln/ Germany
+49-221-9733211
info@matchfactory.de
web: www.the-match-factory.de

Weitere Infos siehe auch: http://www.coop99.at/grbavica_website/






 

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