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Filmbesprechung


Starttermin: 29. Juni 2006

„Offside“ (Iran, 2006)

Regie: Jafar Panahi


Liebevolle Fußball-Komödie aus dem Iran

„Offside“ ist wohl der einzige Film der Filmgeschichte, dessen Entstehung vom Ausgang eines Fußballspiels abhing. Als sich der iranische Regisseur Jafar Panahi an das Projekt wagte, brauchte er die dokumentarischen Bilder des Freudentaumels, der durch das gewonnene Qualifikationsspiel ausgelöst werden würde – oder eben nicht. Im Juni 2005 fand in Teheran die Zitterpartie gegen Bahrain statt, die der Fußballer Mohammad Nosrati durch das einzige Tor des Spiels für den Iran entschied. Das war Irans Ticket zur WM nach Deutschland.


Der Film beginnt kurz vor dem Spiel. Die Stimmung in Teheran ist aufgeheizt. Tausende von Männern machen sich auf den Weg zum Stadion. In die Menge haben sich ein paar seltsame Gestalten gemischt. Es sind fußballbegeisterte Frauen, die sich verkleidet haben, um die Kontrollen am Eingang auszutricksen. Viele von ihnen werden erwischt und wieder nach Hause geschickt. Einigen gelingt der Einlass ins Stadion, aber sie werden drinnen festgenommen. Junge Soldaten bilden eine provisorische Absperrung, in der sich die Frauen aufhalten müssen, bis das Spiel zu Ende ist. Danach sollen sie der Sittenpolizei vorgeführt werden. Eine von ihnen erwartet auf jeden Fall eine Strafe, denn sie hat sich eine Soldatenuniform angezogen.


Während das Spiel im Hintergrund läuft, gibt es ein „Spiel“ der ganz anderen Art zwischen den Frauen und den Soldaten. Die Diskussion dreht sich darum, warum Frauen nicht ins Stadion dürfen. Ganz klar: Die Männer fluchen dort, und das kann man Frauenohren nicht zumuten, wissen die Soldaten. Aber warum dürfen dann die Frauen aus Bahrein ins Stadion? Den Männern gehen immer wieder die Argumente aus. Und eigentlich ist es ihnen ganz egal. Einer der Soldaten ist ein Landwirt aus Azari. Der hat ziemliches Heimweh, sorgt sich um sein Vieh und weiß nur, dass er bestraft wird, wenn er seine Befehle nicht befolgt. (Im Iran muss jeder wehrfähige Mann zum Militär, Zivildienst gibt es dort nicht).




Eine der jungen Frauen gibt vor, zur Toilette zu müssen. Nach skurrilen Diskussionen mit einem der Soldaten begleitet der sie zur sanitären Anlage. Es gibt selbstverständlich nur Herrentoiletten, und die muss der Soldat räumen. Da er den wahren Grund dafür verheimlichen muss, kommt es zu einem Gemenge mit einigen Besuchern der Bedürfnisanstalt. Dabei gelingt dem Mädchen die Flucht. Die Katastrophe ist perfekt. Die Soldaten befürchten, ziemlichen Ärger zu bekommen. Doch dann kommt das Mädchen freiwillig zurück. Es hat an die notdürftig versorgten Nutztiere des Soldaten vom Lande denken müssen und wollte ihm keinen Ärger machen...

Panahi zeigt das Dilemma der verletzten Frauenrechte im Iran von der zwischenmenschlichen Seite. Er vermeidet es, zu polarisieren, anzuklagen oder Partei zu ergreifen. Mit großem Geschick lässt er den Mut der Frauen und die Hilflosigkeit der Männer auf den Zuschauer wirken. Er surft praktisch an der Nahtstelle von religiösen Einschränkungen und dem Selbstbestimmungswillen der Menschen entlang. Es wird sehr schnell klar, dass auch die Männer den Restriktionen der archaischen Strukturen unterliegen.



Panahi zeigt uns auch einen Iran jenseits der Nachrichtenmeldungen über Atomstreit und der Aberkennung des Existenzrechts Israels. Er erzählt von der geschlechterübergreifenden und einigenden Macht des Sports und von Menschen, deren Interessen und Sehnsüchte sich von unseren gar nicht so sehr unterscheiden. Erst als eine der Frauen reuig ihren Schleier, den Tschador, wieder umwirft, kommt der westliche Zuschauer vielleicht ins Grübeln. Als sich die junge Frau von der Situation überfordert fühlt, zieht sie sich ins Muslimische zurück. Da bieten die Regeln und Dogmen auf einmal wieder Schutz und Sicherheit. Das ist ein Phänomen, dass sich allgemein beobachten lässt. Wenn ein Staat oder ein Volk in die Enge getrieben wird, steigt fast proportional der Hang zum Fundamentalismus an. Das gilt nicht nur für arabische Länder. In Deutschland lässt sich der Aufstieg Hitlers teilweise durch die als Knebel empfundenen Versailler Verträge erklären.

Zum Schluss erinnert Panahi daran, dass dem Iran sehr viel Unrecht zugefügt wurde: „Das Lied, mit dem ich den Film enden lasse, ist eine Art Nationalhymne,“ erklärt er. „Als vor sechzig Jahren die Westmächte im Iran waren, wurde einer unserer Dichter Zeuge der Misshandlungen, die dem iranischen Volk angetan wurden. Was er sah, schmerzte ihn so, dass er ein Lied schrieb. Dieses erzählt von unseren Land und unserem Volk, nicht von den Staaten, die es beherrscht haben.“

In Deutschland war die Fußballmannschaft des Iran nicht sehr willkommen, trotz des Mottos „Zu Gast bei Freunden“. Wegen der Israel-Frage hat der Iran einen alten deutschen Nerv getroffen. Die Proteste gegen den Iran während der WM waren verständlich, haben aber die Falschen getroffen. Insgesamt sind die bilateralen Beziehungen schwierig. Um so wichtiger, dass Panahi ein Film gelungen ist, der den Iran von seiner sympathischen und menschlichen Seite zeigt.


Helga Fitzner - red / 1. Juli 2006
ID 00000002503
Offside, Iran 2006
Start: 29.06.2006

Regie: Jafar Panahi
Drehbuch: Shadmehr Rastin
Schauspieler: Sima Mobarak-Shahi, Shayesteh Irani, Ayda Sadeqi, Golnaz Farmani, Mahnaz Zabihi, Nazanin Sediq-zadeh, Melika Shafahi, Safdar Samandar, Mohammad Kheir-abadi, Masoud Kheymeh-kabood, Mohammed-Reza Gharebaghi, Hadi Saeedi, Masoud Gheyas-vand, Ali Baradari, Ali Roshan

Weitere Infos siehe auch:






 

FILM Inhalt:

Rothschilds Kolumnen

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EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM
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= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal

 


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