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Doppelbesprechung

Über-Ich und Du und Stereo – zwei Filme mit ungewöhnlichen Paarkonstellationen




Zwei sind einer zu viel

Ich kann das Wort Buddymovie nicht mehr leiden. Schon deshalb, weil Kollegen (weniger Kolleginnen) dieses Etikett verwenden, nur weil in einem Film zwei Leute miteinander zu tun haben, die keine Verwandten sind. Aber nicht jedes Paar besteht aus Buddies, sondern manchmal schlicht aus unterschiedlichen Charakteren, die einander mehr Hindernis als Helfer sind und daher Konflikte auslösen. So geschieht's in den Filmen Über-Ich und Du und Stereo, die beide jetzt nach ihrem BERLINALE-Einsatz (in der Sektion Panorama) in deutschen Kinos gelandet sind. Über-Ich und Du treibt die Absurdität und Verspieltheit seiner Komik sehr weit, und auch der Psychothriller Stereo betont seine Zutaten sehr selbstbewusst, wie man es sonst nur von amerikanischen oder französischen Krimis gewohnt ist.

In beiden Filmen spielt der Österreicher Georg Friedrich sehr markante Figuren (einen charmanten Tunichtgut und einen abstoßenden Unterweltkönig), und beide Filme leben von der Gegensätzlichkeit der beiden aufeinandertreffenden Charaktere. In Über-Ich und Du sind das der windige Kleinkriminelle Nick (Friedrich) und der greise, hochangesehene Psychoanalytiker Curt (gespielt vom Deutsch sprechenden Franzosen André Wilms). Nick will eigentlich in Curts feine Allgäuer Villa einbrechen, wird dabei aber für den bestellten Pfleger gehalten, der sich um Curt kümmern soll. Daran hat Nick kein Interesse, aber umgekehrt wird ein Schuh (und ein bisweilen aberwitziges Drehbuch) daraus: Der schon etwas vergessliche Curt erkennt dank des kriminellen Treibens seines ungebetenen Besuchers einen interessanten Fall, der ihn ermuntert, nach Ewigkeiten wieder einmal eine Blitztherapie zu versuchen. Diese schlägt stark an, aber anders als erwartet: Nick wird zwar nicht "geheilt", aber die Macken von Curt (Augenzucken, Küchenphobie) übertragen sich auf Nick. Curt verhilft der Ausflug ins kleinkriminelle Milieu zu neuem Auftrieb und dem Wunsch, die Öffentlichkeit endlich über seine braune Vergangenheit aufzuklären.

So wird die ohnehin komisch-absurde Ausgangssituation (Dieb mutiert zu Patient, der dem Opfer/Arzt wiederum zur eigenen Genesung verhilft) noch zu einer augenzwinkernden Verballhornung von Psychoanalyse und Vergangenheitsbewältigung deutscher Provenienz. Erstaunlich originell und leichthändig türmt Koautor und Regisseur Benjamin Heisenberg (Milchwald, Schläfer) diese urdeutschen und altbackenen Themen zu einer zwar wackligen, aber kurzweiligen Handlung auf. Besonders gelungen sind Heisenberg die satirischen Spitzen, wenn etwa die halbamerikanisierte, blasierte Familie des Psychoanalytikers auf den Anblick von Nicks zerschlagener Visage mit hilflosem Befremden reagiert. Freilich muss der Zuschauer eine gewisse Toleranz gegenüber einer Erzählweise mitbringen, die sich gerne auf Umwege und Schräglagen begibt und auf Wahrscheinlichkeit pfeift.




André Wilms und Georg Friedrich in Über-Ich und Du - Foto © Piffl Medien GmbH

Jürgen Vogel in Stereo - Foto © Wild Bunch Germany



Viel glaubwürdiger als die Story in Über-Ich und Du ist auch die Ausgangssituation in Stereo nicht, woran man sich aber im Verlauf des Films dank interessanter Charaktere und Schauplätze (Brandenburger Wald- und Wiesenidyll + Berliner Club-Rottigkeit) ebenfalls gewöhnt, ja, es umso besser goutieren kann, je mehr man es als ein Teil des Spiels mit den Genreelementen versteht. Der passionierte Motorradfahrer und –mechaniker Erik (so physisch wie seit Der freie Wille von 2006 nicht mehr) hat ein Problem, was sich schon bald als sehr individuell herausstellt: Nur Erik sieht einen ominösen Mann mit dunklem Parker in seiner Nähe (ebenfalls von starker Präsenz: Moritz Bleibtreu), der sogar mit ihm spricht und ihn zu aggressiven, kriminellen Handlungen anstiftet. Eine esoterisch-mysteriöse Frau mit übersinnlich begabtem Vater, bei denen Erik sich "besprechen" lässt, gibt einen ersten Fingerzeig in Richtung unbewältigter Traumata in der Lebensgeschichte Eriks. Der ahnt allmählich (und immer den Ereignissen hinterherlaufend), dass er sein neues Leben in der Brandenburger Provinz nicht ganz freiwillig begonnen hat. Hartnäckiger und folgenreicher als bei Über-Ich und Du will in Stereo lange Verdrängtes an die Oberfläche.
Immer mehr zwiespältige Gestalten drängen sich in das Leben des Amnesie-Patienten, dessen neue Freundin (Petra Schmidt-Schaller) und ihr Kind Erik die größten Sorgen bereiten. In der zweiten Hälfte wird der Psychothriller zum dann zum recht blutigen zugespitzten Actionreißer, wenn Erik mit seinen früheren Spießgesellen abrechnen muss. Die Identitätsstörungen geraten unerwartet hilfreich: Was dem Popeye der Spinat ist dem Erik die totale Erinnerung – und wenn er dann zulangt, wackelt sogar der Technoclub. Auch hier heißt es in der Bedienungsanleitung für die Zuschauer: Augen auf, Zweifel runterschlucken und durch. Wer anfängt, zu hinterfragen, wie glaubwürdig diese oder jene Drehbuchcharade von Autor und Regisseur Maximilian Erlenwein (Schwerkraft) in der Realität wären, nimmt sich von vornherein den Spaß an den frechen Dialogen und der knalligen Action.

Sieht man von dieser Action ab, ist der Tonfall bei Stereo gar nicht so verschieden von dem in Über-Ich und Du: Zwei Filme mit einer Chuzpe, Grenzen der Glaubwürdigkeit zugunsten des Unterhaltungswerts zu überschreiten – und mit einer für deutsche Verhältnisse ungewöhnlichen Lust an der Verspieltheit, was die Leistung der Darsteller miteinschließt.


Bewertung für beide Filme:    



Max-Peter Heyne - 16. Mai 2014
ID 7833
Über-Ich und Du (D/AT/SUI 2013)

http://www.ueber-ich-und-du.de

Stereo (D 2014)

http://www.stereo-derfilm.de


Post an Max-Peter Heyne



 

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Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal

 


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