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Hollywood

Alice im

Niemandsland



Bewertung:    



Die beiden Regisseure Richard Glatzer und Wash Westmoreland porträtieren in ihrem neuen Film Still Alice - Mein Leben ohne Gestern eine fünfzigjährige Karrierefrau und Mutter, deren Leben durch die Alzheimer-Krankheit eine dramatische Wendung nimmt. Julianne Moore wurde für ihre Rolle als Alice gerade mit dem Oscar als beste weibliche Hauptdarstellerin ausgezeichnet. Verdient hat sie ihn!



Julianne Moore als Still Alice | (C) Polyband


Man kennt das: Mal findet man den Autoschlüssel nicht mehr, mal kann man sich nicht mehr darin erinnern, ob man den Herd ausgeschaltet hat, und mal will einem der Name der neuen Nachbarin nicht mehr einfallen. Julianne Moore alias Alice geht es nicht anders. Nur dass sie an early onset-Alzheimer erkrankt ist, einer recht selten vorkommenden, familiär bedingten Form, deren rasanter Verlauf charakteristisch ist.


Alice steht mitten im Leben, als der Zuschauer sie kennenlernt. Sie, die durch den frühen unfallbedingten Tod von Mutter und Schwester und durch einen abwesenden, alkoholabhängigen Vater einen schweren Start ins Leben hatte, hat nun, an ihrem 50.Geburtstag, endlich das Gefühl, alles erreicht zu haben: Als Linguistikprofessorin genießt sie weltweit einen ausgezeichneten Ruf, ihre Ehe mit John [Alec Baldwin] verläuft glücklich, und ihre drei erwachsenen Kinder gehen auch alle ihren Weg.

Kleine Zwischenfälle häufen sich jedoch: Alice vergisst Verabredungen, Namen, Gesprächsinhalte. Als sie, die Sprachwissenschaftlerin, bei einer Vorlesung plötzlich nach Worten ringt, sucht sie einen Neurologen auf, der ihr nach langen Wochen des Wartens die niederschmetternde Diagnose mitteilt. Alices gesamtes Umfeld, sie eingeschlossen, reagiert am Anfang gleich: mit Verleugnung. Sie selbst versucht den rasanten Abbau ihrer kognitiven Fähigkeiten durch Gedächtnistraining und Wortspiele aufzuhalten. Dabei rennt die gegen die Zeit an. Ihre Krankheit lässt sich nicht aufhalten.

Alice verläuft sich beim Joggen auf dem Campus der Columbia-Universität, ihrem langjährigen Arbeitsplatz. Sie vergisst plötzlich das Rezept, um Brotpudding zuzubereiten, das Lieblingsgericht ihrer jüngsten Tochter Lydia [Kristen Stewart]. Bei deren Premiere (Lydia versucht sich als Schauspielerin in Los Angeles) gratuliert ihr Alice am Ende, als handle es sich um eine Fremde. Auf die Frage ihrer Mutter „Und in welchem Stück werden wir Sie als nächstes bewundern können?“ bricht Lydia in Tränen aus. Wenig später deponiert Alice ihr Handy im Gefrierfach. Ein Abendessen mit der Chefin ihres Mannes (eines nicht weniger erfolgreichen Krebsforschers) vergisst sie schlichtweg und geht stattdessen ins Café.

Als sie in ihrem eigenen Haus die Orientierung verliert, die Toilette nicht rechtzeitig findet und sich in die Hose macht, versteht auch ihr Mann, ein Meister der Verdrängung, endlich die Dringlichkeit von Alices Erkrankung. Dennoch schafft er es nicht, der Bitte seiner Frau nachzugeben und sich ein Jahr („womöglich unser letztes gemeinsames Jahr“) von seiner Arbeit freistellen zu lassen. Zu groß ist sein Schmerz, zu groß die Wut ob der Unaufhaltsamkeit der Krankheit, zu groß die Scham vor dem eigenen Versagen. Das Angebot der Mayo-Klinik im 1800 Kilometer entfernt liegenden Minnesota kommt John daher gelegen. Während er anfangs noch den Plan hegte, Alice mitzunehmen, kommt er rasch von diesem Vorhaben ab: Zu schnell verschlechtert sich ihr Zustand. Stattdessen gibt Lydia kurzerhand ihr Leben in L.A. auf und zieht zurück nach New York, um ihrer Mutter auf der qualvollen Reise beizustehen.




Julianne Moore und Alec Baldwin in Still Alice | (C) Sony Pictures Releasing France


Kurz vor Einzug ihrer Tochter versucht Alice sich das Leben zu nehmen. Durch das Eintreffen der Haushaltshilfe wird sie gerade noch davon abgehalten. Mit Lydias Ankunft endet dann der Film. Ob Alice einen erneuten Selbstmordversuch unternimmt, bleibt offen. Diese Art von Ende ist zwar zunächst etwas unbefriedigend, überzeugt dann aber durch ihren Realismus. Dem Zuschauer wird die Möglichkeit gegeben, Alices Geschichte im Kopf weiterzuspinnen. Julianne Moores Darbietung ist zum Niederknien bewegend: Sie überzeugt durch Ehrlichkeit, Detailgenauigkeit und Einfühlungsvermögen. Bemerkenswert ist, dass die Kamera mehrfach Alices Perspektive einnimmt. Gesichter werden dann unscharf, Personen verschmelzen mit ihrer Umgebung, das Bild wackelt, dreht sich, und wir sehen alles wie durch Milchglas. Es stellt sich ein Gefühl ein, wie wenn man beim Tauchen kurze Zeit nicht mehr weiß, was oben und unten ist. Man hat Angst, nicht mehr aufzutauchen, Panik macht sich breit.

*

Die Regisseure verstehen es, Alices Gefühl, als sich langsam ihr Gehirn auflöst, dem Zuschauer hautnah zu vermitteln. Man vergisst für kurze Zeit die Künstlichkeit der Situation: Leinwand, Kino und weitere Zuschauer verschwinden - man sitzt quasi mit Alice auf der Couch und fühlt mit ihr, als sie ihre Sprache, ihre Erinnerung und letztlich ihre Persönlichkeit verliert. Vielleicht gelingt es Glatzer und Westmoreland mit Still Alice, ein wenig mehr Sensibilität für die circa 36 Millionen Menschen, die weltweit an Alzheimer leiden, zu erzeugen. Emotionen sind eben doch wirkungsstärker als nackte Fakten. Alices zugleich leerer und verzweifelter Blick wird uns noch lange im Gedächtnis bleiben.



Still Alice im Kreise ihrer Familie | (C) Polyband

Lea Wagner - 4. März 2015
ID 8474
Weitere Infos siehe auch: http://stillalice.de


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