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Rezension


Filmstart: 10. Oktober 2013

Spieltrieb (D 2013)

nach dem Roman von Juli Zeh



Aufgehobene Schlagbäume


„Die Hölle, das sind die anderen“, sagt Sartre. In Szymon Smuteks Hölle heißen die anderen Ada und Alev. Die Schüler eines Bonner Internats und Privatgymnasiums locken ihren Deutsch- und Sportlehrer in eine Sexfalle. Sie prüfen so Alevs Spieltrieb-Theorie in der Praxis. Doch folgt die Theorie nicht der Logik von Johnny Cashs „most evil reason for killing a man: just to watch him die“. Vielmehr soll „der Gefangene“ unter erpresserischem Druck seine Freiheit entdecken. Das klingt erst einmal wahnsinnig ausgedacht.

In einer Schlüsselszene steht Smutek mit herabgelassenen Hosen im Raum der Kartenständer. Sein Gesäß stiftet der Ratlosigkeit ein Sinnbild. Das beschreibt einen späten Moment und die verschleppte Katharsis in Spieltrieb. Der Film reagiert auf einen Roman von Juli Zeh aus dem Jahr 2004. Er holt die bis zur Gegenwart verlorene Zeit ein. Er liest die Zukunft aus dem Kaffeesatz des Romans. Im Handlungsjetzt der Jahrtausendwende stand das noch in den Sternen: "Als ich Spieltrieb schrieb, wussten wir nichts von der Finanzkrise. Inzwischen reden wir von 'Zockern' und 'Global Players' und wissen, dass der Spieltrieb in einer global vernetzten Welt ganze Volkswirtschaften in Gefahr bringen kann." (Juli Zeh in einem Interview)

Angelfigur ist die fünfzehnjährige Ada, hochbegabt und eigensinnig – eine Außenseiterin, die im Trubel düster bleibt. Sie liest Dostojewski im Original, während der Wille zur Exklusivität sich bei anderen in Markenoriginalität erschöpft. Spieltrieb dreht dem Unglück des Zögling Törleß eine Locke: Mitschüler verschleppen die schlechter als die meisten versorgte Ada auf das Jungenklo und taufen ihre soziale Inferiorität in einem Urinal. Musil bestimmt den Unterricht, die Klasse scheitert am Mann ohne Eigenschaften.




Jannik Schümann als Alev und Michelle Barthelin als Ada in Spieltrieb - Foto © Concorde Filmverleih GmbH

Maximilian Brückner spielt Szymon Smutek in Spieltrieb - Foto © Concorde Filmverleih GmbH

Jannik Schümann, Maximilian Brückner und Michelle Barthel in Spieltrieb - Foto © Concorde Filmverleih GmbH



Ada scheitert nicht. Michelle Barthel spielt Ada geladen wie zum Abschuss. Sie spielt mit zersetzendem Charme. Man spürt eine treibende Kraft in der Person und nimmt ihr ohne weiteres ab, dass Smuteks professionelle Barrieren wie Schlagbäume aufgehoben werden. Mit Michelle Barthel entgeht Spieltrieb einer Gefahr, die zur schematischen Spielanordnung einlädt – und leicht ein Spiel wie mit Kegeln evozieren könnte.

Maximilian Brückner spielt Szymon Smutek. Alev hält den Lehrer für eine Niete aus Polen, Smutek hat keine Chance gegen den smarten Schüler und gegen die gespaltene – und in der Spaltung effektive Ada. Wer bei ihr an Lolita denkt, nimmt den Holzweg. Stattdessen taugt Lessing zum Verständnis: „Verführung ist die wahre Gewalt.“ Ada und Alev bringen den Lehrer seelisch an den Stock, trotzdem erhält sich seine nicht unbedingt komplexe, doch kompakte Distinktion. Maximilian Brückner spielt Smutek wie unter die Räuber gefallen.

Adas Mentor ist Geschichtslehrer. Richy Müller spielt den beeinträchtigten „Höfi“. Er schleppt sich über die Korridore und durch den Lärm der Kinder Besserverdienender. Man sieht Ada in der Zentrifuge seines unbestechlichen Charakters. Kein pädagogischer Eros beschleunigt diese Verbindung, vielmehr variiert Höfis Verhalten einen Gedanken im Mann ohne Eigenschaften: wenn Musil vom „Möglichkeitssinn“ spricht – als von einem Motor der geistigen Evolution. Höfi vermutet bei Ada dieses Potential.

Alev El Qamar wird von Adas Schlagfertigkeit eingenommen. Einmal sagt er: „Wenn ich Schriftsteller werden wollte, würde ich eine Heldin wie dich erschaffen.“

Alev ist der Neue an der „Ernst Bloch“. Der Schulname bleibt für ihn ein Witz, Blochs Prinzip Hoffnung ein intellektuelles Ausweichmanöver. Jannik Schümann spielt den in einigen Weltgegenden aufgewachsenen, ethnisch breit aufgestellten Alev als explosive Mischung. Am Ende wird man Alev bloß größenwahnsinnig nennen, doch steckt in der Feststellung kein analytischer Mehrwert. Er ist der Unverbundene im Spiel. Seine versagende Empathie führt in grassierende Verständnislosigkeit. Am Anfang seines Spiels weiß Alev noch nicht, dass Verständnislosigkeit und Konkurrenz ein Paar abgeben. Am Ende muss er Ada – in einer idiotischen Szene – „zu ihrem Sieg“ über ihn gratulieren.

Jannik Schümann spielt gegen das Übergewicht in seiner Rolle an, es ist alles zu viel und gleichzeitig zu wenig. An den Haaren herbeigezogene Bedeutungsfrachten ramponieren seine Sätze, Alev will „das Leben aufmischen und Schicksal spielen mit Menschen“. Was soll man da noch sagen.



Bewertung:    





Jamal Tuschick - 6. Oktober 2013
ID 7222

Weitere Infos siehe auch: http://www.spieltrieb-derfilm.de


Post an Jamal Tuschick



 

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