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Hollywood

Durch Zufall

ein Held



Bewertung:    



Rund dreieinhalb Jahre nach den der Enthüllungen Edward Snowdens und eineinhalb Jahre nach dem „Oscar“-prämierten Dokumentarfilm Citizenfour kommt nun ein Spielfilm über den Enthüllungsskandal ins Kino – zu spät? Nein. Zwar sind die wesentlichen Fakten über die Affäre medial ausführlich kolportiert worden. Aber die persönlichen Hintergründe, die zu Snowdens Weg an die Öffentlichkeit und schließlich ins erzwungene Asyl geführt haben, sind vermutlich den wenigsten Lesern oder TV-Zuschauern bekannt. Vor allem aber wird durch den Film von Oliver Stone schmerzlich in Erinnerung gerufen, welche Dimensionen das moralisch skrupellose und juristisch illegale, massenhafte Ausspionieren privater digitaler Kommunikation durch die amerikanischen Geheimdienste in den USA und in aller Welt hatte – und wie gering bislang der Reinigungseffekt ausgefallen ist.

Oliver Stone zeigt z.B., mit welcher atemberaubenden Dreistigkeit der ehemalige CIA-Direktor das US-Parlament und die Weltöffentlichkeit vor einem Untersuchungsausschuss darüber belogen hat, dass die Geheimdienste nicht absichtlich die Emails von Privatpersonen sammeln und ausspähen würden. Wurde der Mann selbst jemals wegen Meineids angeklagt? Fehlanzeige! Auch deutsche Politiker scheinen sich mit der illegalen Spionage eines engen Verbündeten nicht mehr zu wehren. Die Klagen von Bundesbürgern und Oppositionsparteien bei der Bundesanwaltschaft werden stiefmütterlich behandelt, die Untersuchungsausschüsse schleppen sich nur noch dank beharrlicher Oppositionspolitiker wie dem IT-Experten der Grünen, Konstantin von Notz, über die Runden.

Stattdessen wird der eigentliche Held der Geschichte in seinem Heimatland noch immer verfemt, drohen Politiker mit harten Strafen oder gar Todeswünschen, verstecken sich andere Staaten, die ihn aufnehmen könnten, feige hinter ihrer Bündnistreue mit den USA. Der Spielfilm Snowden kommt also zu einem Zeitpunkt, in der nüchtern festgehalten muss, dass die aufgedeckten antidemokratischen Exzesse der Geheimdienste keine Sprengkraft in der Öffentlichkeit mehr besitzen – und politische Folgen auf der Kriechspur zu verenden drohen. Gut also für die Welt, dass wir mit Oliver Stone einen Verwandten Edward Snowden im Geiste, einen der letzten unbequemen, kritischen Filmemacher in Hollywood haben, der seine politisch linksliberale Haltung nicht versteckt. Die Geschichte von Edward Snowden und seinen Enthüllungen ist für den alten Haudegen wie geschaffen, der - anders als in der autobiografischen Geschichte Geboren am 14. Juli (1991) - nicht den Fehler begeht, seinen aufrechten Zorn ungebremst und überschäumend in eine anklagende Dramaturgie zu gießen. Sondern der mit seinem Gespür für Spannungssteigerung und identitätsstiftender Figurenzeichnung alle Register eines routinierten Filmschaffenden zieht.

Die Kinozuschauer dürfen sich also auf einen Film freuen, der nicht nur wegen der realen Hintergründe, sondern AUCH durch den virtuosen Einsatz visueller Mittel sehr unterhaltsam ist. Zwar nimmt sich der Regisseur gewisse dramaturgische Freiheiten, aber die wesentlichen Eckpunkte seiner Filmerzählung sind historisch akkurat. So porträtiert Oliver Stone Edward Snowden (zurückhalten gespielt von Joseph Gordon-Levitt) zu Beginn der Story wahrheitsgemäß als einen zum Teil naiven, amerikanischen Patrioten, der nach dem Trauma der Attentate von 2001 bestrebt ist, seine Fähigkeiten der US-Regierung zur Verfügung zu stellen. Und die sind auf dem Gebiet der Informatik und Software-Programmierung außergewöhnlich, ja, sensationell, wie auch der CIA-Abteilungsleiter Corbin O’Brian (diabolisch-charismatisch: Rhys Ifans) bei Snowdens Eignungstest rasch feststellen muss.

O’Brian wird zu einem väterlichen Unterstützer des damals schon End-Zwanziger Snowdens, dem er einflussreiche Jobs bei Beraterfirmen und der CIA selbst verschafft. Als Snowden mehr und mehr erfährt, dass auch auf einer niederen Ebene mit illegal beschafften Informationen über Privatpersonen – z.B. von Geschäftsleuten im Nahen Osten – Einfluss auf politische Prozesse genommen wird, bekommt er mehr und mehr Skrupel. Seine Abneigung gegenüber diesen Machenschaften wird immer größer, als er erkennen muss, dass mit einer von ihm selbst mitentwickelten Software massenhafte Spionage im Email-Verkehr und in den sozialen Medien betrieben wird. Höhepunkt des Ekels überkommt Snowden, als er mitansehen muss, wie durch sein Zutun programmierte Drohnen im Irak und Afghanistan für die direkte Ermordung von Verdächtigen eingesetzt werden.

Der Weg Edward Snowdens ähnelt dem des Regisseurs, der Ende der 1960er Jahre als Frontsoldat der US-Truppen in Vietnam zur Erkenntnis kam, dass Kriegsverbrechen dort an der Tagesordnung waren (siehe dazu die autobiografischen Filme Platoon und Geboren am 14. Juli) und der seither zum kritischen Hinterfragen politischer Entscheidungen ermuntert. Snowden leidet auch unter einer Form der Epilepsie, was seine Abkehr von der Maschine CIA, die ständig und überall sklavische Loyalität einfordert, noch verständlicher macht. Loyalität ohne perverse Abhängigkeitsverhältnisse erlebt Snowden mit der aus liberalem Hause stammenden Lindsay Mills (Shaylene Woodley) die Frau seines Lebens, die schließlich ebenfalls ihr bisheriges Leben opfert, um ihrem Mann im Exil beizustehen.

In der zweiten Hälfte des Films verzahnt Oliver Stone spannungsreich die innere Unruhe seines Helden mit der äußeren Dramatik; wie der bereits unter äußerstem (Entdeckungs-)Druck stehende Snowden versucht, einerseits Medienvertreter seines Vertrauens anzusprechen und zugleich seine heimlich kopierten Informationen aus einer CIA-Filiale herauszuschmuggeln. Für beide Coups findet Stone effektvolle Bildmetaphern (mit einer überlebensgroßen Reminiszenz an den Big Brother in George Orwells Roman 1984), sodass Snowden eine berechtige Ergänzung zu Laura Poitras‘ Dokumentarfilm Citizenfour wird – dessen Entstehung in den Szenen im Honkonger Exil-Hotel bei Stone ebenfalls nachinszeniert wird.

*

Wie gesagt, gut, dass wir jemanden wie Oliver Stone haben, der seine Mittel nutzt, um uns zu erinnern, dass demokratische Rechte nichts Selbstverständliches sind – und Bürgerengagement mehr denn je gefragt. Der Regisseur erzählt eine wahrhaftige Heldengeschichte mit einem Helden wider Willen, dem man die Daumen drücken muss, jetzt, wo seine Aufenthaltserlaubnis im Moskauer Exil abläuft.



Snowden | (C) Universum Filmverleih

Max-Peter Heyne - 23. September 2016
ID 9568
Weitere Infos siehe auch: http://www.snowden-film.de


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